Matthias Schwartz, 33 Jahre alt, von Beruf Lehrer, ist auf der Suche nach seinem Kollegen. Er soll ihn einweisen, ihm erklären, was er gleich als Ordner zu tun hat. Matthias Schwartz unterrichtet heute nämlich nicht Französisch und Mathe an seiner integrierten Sekundarschule in Berlin-Steglitz. Der angestellte Studienrat streikt. Für mehr Lohn und mehr Gerechtigkeit. Der 33-Jährige findet es unfair, dass seine verbeamteten Kollegen für die gleiche Arbeit mehr Geld bekommen. Im Monat können das bis zu 500 Euro mehr im Portemonnaie sein:
"Ich mache unheimlich gerne die Arbeit, die ich tue, ich kriege meines Erachtens dafür unterm Strich angemessen Geld, kann gut leben, ich bin da nicht unzufrieden. Aber diese Ungerechtigkeit, die da existiert, dass man für ein und dieselbe Arbeit, häufig auch ein bisschen motivierter und dynamischer, weil man einfach jünger ist, als die verbeamteten Kollegen, das geht so nicht."
Das Land Berlin hatte 2003 beschlossen, Lehrer nicht mehr zu verbeamten. Das geschah nicht zuletzt wegen der hohen Pensionszahlungen, die sich in den kommenden Jahrzehnten noch einmal deutlich erhöhen. Der Entschluss hatte allerdings zur Folge, dass viele junge Männer und Frauen nach ihrem Lehramtsstudium in andere Bundesländer abwanderten. Berlin drohte ein dramatischer Lehrermangel. Um dieses Loch wieder zu füllen, bastelte der Berliner Senat ein besonderes Angebot für Junglehrer: Wer sich bis 2017 nach seinem Referendariat fest anstellen lässt, der rutscht sofort fünf Gehaltsstufen hoch.
Einstiegsgehalt von 4.700 Euro brutto
Diese Sprosse erreichen Lehrer normalerweise erst nach fünfzehn Jahren Unterricht. Für Matthias Schwartz war das ein Angebot, dass er nicht ablehnen konnte. Als Berufsanfänger verdient er jetzt 4.700 Euro brutto monatlich. Was allerdings zu der paradoxen Situation führt, dass der junge Lehrer jetzt für Tarifforderungen auf die Straße geht, die für viele Berliner Beschäftigte eine Verschlechterung bedeuten würde.
"Es ist unheimlich komplex und es ist irgendwie paradox. Und trotzdem stellt sich mir nicht die Frage, ob ich streiken gehe oder nicht. Das hat natürlich viel mit Solidarität zu tun, auch mit dem Selbstverständnis, dass ich von meinem Recht Gebrauch mache, auf Verhältnisse aufmerksam zu machen, die gerade gerückt werden müssen, auch bundesweit. Aber ehrlicherweise muss man natürlich sagen, dass die Hoffnungen sehr groß sind, dass diese Tarifverhandlungen möglichst schnell scheitern."
So wie Matthias Schwartz geht es vermutlich vielen streikenden Lehrern - zumindest in Berlin. Doreen Siebernik, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, kurz GEW, ist über diese paradoxe Situation darum auch alles andere als erfreut. Denn im Grunde gehe es in aktuellen Tarifverhandlungen um eine ganz wichtige Sache: Neben den Forderungen nach 5,5 Prozent mehr Lohn sollen die angestellten Lehrer endlich einen flächendeckenden Tarifvertrag bekommen. Für alle anderen Angestellten im Öffentlichen Dienst sei das Usus.
Entgeltforderungen dürfen nicht zu Verschlechterungen führen
Nicht so für die 200.000 Lehrer. Sie bekommen von ihren Landesregierungen diktiert, wie viele Stunden sie unterrichten müssen und wie viel Geld sie dafür bekommen. Weil es reiche und arme Bundesländer gibt, führe das zu einer sehr heterogenen Besoldung und einem enormen Konkurrenzdruck in Zeiten von Lehrermangel, beklagt Doreen Siebernik. Doch dann stellt sie klar: die geforderte Entgeltordnung dürfe nicht zu einer Verschlechterung führen:
"Das stellt uns auch als Berliner Landesverband vor eine Riesenaufgabe. Wir haben uns auf Bundesebene sehr laut und sehr massiv eingebracht, dass, wenn es eine Entgeltordnung gibt, muss für alle im System etwas dabei sein. Es darf nicht zu Verschlechterungen führen. Im Moment sehen wir hier in Berlin tatsächlich nur eine Verbesserung für die Grundschullehrkräfte. Für alle anderen Lehrkräfte im System ist da nix drin, im Gegenteil, es kann sogar zu Verschlechterungen führen.
Trotzdem sind an diesem Vormittag mehrere tausend Lehrkräfte in Berlin dem Warnstreikaufruf gefolgt. Denn schließlich gehe es ihnen auch darum, die ungerechten Verhältnisse in den Lehrerzimmern bundesweit abzuschaffen, sagt Matthias Schwartz.
"Ich denke, dass dieses Konkurrenzgehabe, was da verständlicherweise zwischen den Bundesländern passiert, wo irgendwelche Anreize geschaffen werden, dass das aufhören muss und dieser Wandertourismus von Ausbildungsstadt hier zu Einsatzstelle dort und wir bieten noch dieses oder jenes, finde ich problematisch."