Manfred Götzke: Arbeiten von acht bis zwölf, dann noch drei Monate Ferien pro Jahr. Das Klischee, Lehrer hätten ein megaentspanntes Arbeitsleben hält sich ja hartnäckig, obwohl sich die Arbeitswelt der Lehrer in den letzten sagen wir mal zehn Jahren völlig verändert, besser gesagt verdichtet hat. Wie viel Lehrer aktuell tatsächlich so arbeiten, hat die Universität Göttingen jetzt im Auftrag der Lehrergewerkschaft GEW untersucht, und das Ergebnis dürfte so manchen notorischen Lehrerkritiker überraschen: 48 Stunden und 18 Minuten pro Woche. Wie die Ergebnisse zustande gekommen sind und welche Schlüsse man daraus ziehen kann und sollte, das möchte ich jetzt mit der Bundesvorsitzenden der GEW, mit Marlis Tepe, besprechen.
Marlis Tepe: Hallo, Herr Götzke!
Götzke: Frau Tepe, in der Schule gibt es ja keine Stechuhr, genau erfassen lässt sich ja eigentlich nur, wie viele Stunden Lehrer unterrichten. Das sind bei Gymnasiallehrern im Schnitt 25 Stunden. Wie kommt man auf diese gut 48 Stunden?
Tepe: Außer der Pflichtstunde, die ich direkt mit dem Kind arbeite, arbeitet ja jede Lehrerin, jeder Lehrer in der Vorbereitung, in der Korrektur, in der Kommunikation mit Eltern. Wir erstellen in den Grundschulen Förderpläne für Kinder, die Lernschwierigkeiten haben, wir sind in Stadtteilkonferenzen, wenn es darum geht, dass ein Kind große soziale Probleme hat. Das sind nur einzelne Beispiele.
Wir müssen viel mit unseren Kolleginnen kommunizieren, sodass der Anteil der Pflichtstunde an der Arbeit gesenkt worden ist in der letzten Zeit, und der Anteil der Arbeit, die wir oben drauf machen, steigt.
Götzke: Jetzt lässt sich aber eben nicht so genau erfassen, wie viel zum Beispiel der einzelne Lehrer, die einzelne Lehrerin braucht, um den Unterricht vorzubereiten oder wie viel Zeit drauf geht in der Kommunikation mit Eltern. Wie haben Sie das rausgefunden, wie haben Sie das untersucht?
Tepe: Doktor Mußmann hat eine Arbeitszeitstudie für Niedersachsen durchgeführt, in der Lehrkräfte über ein Jahr ihre Arbeitszeit genau notiert haben. Das ist heutzutage über technische Möglichkeiten gut möglich, und so hat er diese Daten erfasst.
Götzke: Nun haben Lehrer mit den Ferien ja deutlich mehr Urlaub als andere Arbeitnehmer. Wenn man das gegenrechnet, dann müsste ein Lehrer 46 Stunden pro Woche arbeiten, damit man das Ganze mit einer klassischen 40-Stundenwoche zum Beispiel vergleichen kann. Dann sind diese Werte, 48 Stunden 18 Minuten nicht mehr ganz so krass, oder?
Tepe: Ja, aber diese umgerechneten Ferienzeiten in Wochenarbeitsstunden sagen ja, dass die Lehrkräfte in den Ferien gar nicht arbeiteten, und das stimmt natürlich nicht. Ich bin ja selbst bis vor Kurzem Lehrerin gewesen. In den Weihnachtsferien war eigentlich eine Woche lang Zeugnisse schreiben angesagt, insbesondere Berichtszeugnisse nehmen ja auch viel Zeit in Anspruch.
In den anderen Ferien haben wir ja auch in vielen Schulen schon Präsenztage. Wir bereiten ja am Ende aller Ferien vor, und am Anfang aller Ferien nach. Die sind in diesen 46 Stunden nicht inbegriffen, diese Stunden.
"Wir haben natürlich Möglichkeiten, Entlastungen zu suchen"
Götzke: Welche Schlüsse sollte man denn jetzt daraus ziehen? Weniger Pflichtstunden, oder müsste man eher an diese zusätzlichen Aufgaben gehen? Wieder weniger Kommunikation mit den Eltern zum Beispiel. Die ist ja dazugekommen in den vergangenen Jahren.
Tepe: Ich glaube, es hat kein Mensch Interesse, die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften zu verringern. Aber wir haben natürlich Möglichkeiten, Entlastung zu suchen zum Beispiel dadurch, dass Schulen technische Assistentinnen haben, die zum Beispiel für Laptop-Klassen zum Beispiel die Dinge vorbereiten. Solche Entlastung kann es geben. Aber insgesamt brauchen wir eine Pflichtstundenentlastung auf Dauer. Die meisten Lehrkräfte haben ja sogar Pflichtstundenerhöhungen hinnehmen müssen in den letzten Jahren. Brandenburg zum Beispiel ist ein Land, in dem die Pflichtstundenzahl abgesenkt werden konnte.
Götzke: Frau Tepe, lassen Sie uns noch kurz über eine andere Untersuchung sprechen, die Sie heute veröffentlicht haben zum Thema Lehrermangel. Ihre Gewerkschaft hat abgefragt, wie viele Grundschullehrerinnen und -lehrer fehlen aktuell. Wie dramatisch ist da die Lage?
Tepe: Die Lage ist sehr dramatisch, hat sich in den letzten Jahren weiter zugespitzt, weil zu wenig Lehrkräfte oder zu wenig Menschen auf Grundschullehramt studieren, und weil auch die Schüler*innenzahl zunimmt. Das wird sich noch weiter zuspitzen, weil die Zahl der Geburten stark steigt. Bis 2025 ist da eine Voraussage auf eine große Steigerung an Bedarfslücke von circa 30.000 Lehrkräften.
Beruf des Grundschullehrers attraktiver machen
Götzke: Eine unglaublich hohe Zahl. Wie realistisch ist vor diesem Hintergrund der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsunterricht an Grundschulen, den SPD und Union jetzt in der Sondierung vereinbart haben?
Tepe: Der ist pädagogisch natürlich sehr gut, aber wirkt sich erst dann positiv aus, wenn er auch gut ausgestaltet ist. Das ist ja im Moment nicht überall der Fall. Aber das ist natürlich auch eine weitere Steigerungszahl von Lehrkräften oder Erzieherinnen und Erziehern, die ja auch den Nachmittag gestalten könnten in der Grundschule. Die Regierungen müssen deutlich die Arbeitsbedingungen so verbessern, dass der Beruf wieder attraktiv ist, die Arbeitsbedingungen verbessern und die Entlohnung verbessern. Sie wissen vielleicht, die Grundschullehrerinnen werden in allen Bundesländern schlechter bezahlt. Nur Berlin und Brandenburg haben jetzt gestartet, sie gleich zu behandeln.
Götzke: Also Sie sagen im Fazit, sinnvoll, aber momentan eher unrealistisch, dass man das Ganze durchsetzen kann?
Tepe: Man muss da nach Wegen suchen, mit welchem Personal dieser Ganztag qualitätsvoll gestaltet werden kann.
Götzke: Sagt Marlis Tepe, die Bundesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW. Vielen Dank für das Interview.
Tepe: Gern, Herr Götzke!
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