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Lehrerfeuerwehr "funktioniert nicht"

Ilse Schad von der Lehrergewerkschaft GEW kritisiert die Zunahme der prekären Arbeitsverhältnisse gerade im Bereich der sogenannten Lehrerfeuerwehr. So würden die Beschäftigten "im Prinzip um eine Berufsperspektive betrogen". Und auch für die Schüler sei das schlecht: Der pädagogische Prozess benötige Kontinuität und die könne nicht mit "ständig wechselnden Personen absolviert werden".

Ilse Schad im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Jörg Biesler: Prekäre Arbeitsverhältnisse, das sind bei Lehrerinnen und Lehrern mittlerweile nicht mehr nur Ausnahmen. Bis zu den Ferien Lehrer, dann arbeitslos, sechs Wochen lang, und dann wieder vor der Klasse. Die beiden Lehrerinnen, die vor dem Arbeitsgericht in Osnabrück klagten, wurden Lehrprüfungen unterzogen, nach denen klar wurde, jetzt müssen sie fest angestellt werden nach 24 Monaten Arbeit – wir haben gerade darüber berichtet –, und so wie ihnen geht es vielen Lehrerinnen und Lehrern: Es sind Kollegen dritter Klasse, denn zwischen ihnen und den beamteten Normallehrern gibt es ja noch die im Angestelltenverhältnis. Ilse Schad ist bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft für die Lehrer zuständig. Guten Tag, Frau Schad!

    Ilse Schad: Guten Tag!

    Biesler: Frau Schad, jetzt haben wir hier von zwei Einzelfällen gehört. Vielleicht gehen wir zunächst noch mal auf diese beiden Einzelfälle ein – sind die symptomatisch für das, was passiert, oder sind es wirklich Einzelfälle, die so sehr selten vorkommen?

    Schad: Symptomatisch ist das mit Sicherheit nicht, das ist eine Ausnahme, und ich habe ja Ihre Vorberichterstattung gehört, selbstverständlich ist es zulässig – sogar notwendig! –, dass Kolleginnen und Kollegen, die sich in der Probezeit – das sind die ersten sechs Monate eines Anstellungsverhältnisses – befinden, dass man bei denen guckt, wie sie ihre Arbeit erledigen. Insofern ist diese Lehrprobe in Ordnung, die Frage ist nur, ob diese Probezeit in Ordnung war. Und da ist eindeutig: Die Kollegen sind seit 24 Monaten beschäftigt, alle beide, und haben in diesen 24 Monaten, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, zweimal bereits eine sechsmonatige Probezeit, mindestens einmal eine sechsmonatige Probezeit hinter sich gebracht. Man darf die Probezeiten nicht willkürlich verlängern. Beide haben eine Probezeit absolviert, und insofern wäre eine zweite oder dritte Probezeit auch bei beiden Kolleginnen unzulässig, weil es nicht drauf ankommt, an welcher Schule – oder ob ich an der gleichen Schule beschäftigt bin, denn der Arbeitgeber von Lehrern ist nicht die Schule, sondern das Land Niedersachsen. Und an welcher Schule ich für das Land Niedersachsen arbeite, das entscheidet das Land und nicht die beschäftigte Person. Insofern halte ich eine Überprüfung in einer unrechtmäßig geschaffenen Probezeit mit der Folge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses für rechtswidrig. Aber wie gesagt, ...

    Biesler: Das Urteil ist noch nicht gesprochen, ...

    Schad: ... eine Ausnahme.

    Biesler: Genau, und das Gericht scheint offenbar nur in einem Fall der gleichen Meinung zu sein wie Sie. Aber jetzt mal weg von diesen Einzelfällen: Wie groß ist denn das Problem für die Beschäftigten überhaupt, dass es eben mindestens drei Klassen unterschiedlicher Lehrer gibt?

    Schad: Sie haben ja selber in einer Zeit, wo genügend Lehrer auf dem Arbeitsmarkt sind, nicht wirklich die Wahl, in welches Beschäftigungsverhältnis Sie gehen, sondern Sie nehmen das an, was Ihnen angeboten ist. Gerade im Bereich dieser sogenannten Lehrerfeuerwehr werden ja nicht nur die Beschäftigten in prekäre Beschäftigungsverhältnisse gedrückt – und damit im Prinzip um eine Berufsperspektive betrogen –, sondern auch die Eltern. Denn der pädagogische Prozess ist ein Prozess, der Kontinuität benötigt und nicht mit ständig wechselnden Personen absolviert werden kann. Das heißt, es ist auch ein bisschen ein Betrug an den Eltern im Bezug auf ihre Erwartungen an gute Qualität im Unterricht.

    Biesler: Und an den Kindern wäre das natürlich dann ...

    Schad: Ja, an den Kindern auch, ...

    Biesler: ... auch in jedem Fall so.

    Schad: ... selbstverständlich!

    Biesler: Über wie viel Lehrer sprechen wir denn da, über wie viel Lehrerinnen und Lehrer bundesweit?

    Schad: Das ist schwer, genau zu beziffern, weil die Offenherzigkeit mit diesen Daten in allen Bundesländern ist ziemlich beschränkt. Die Länder als Arbeitgeber reden nicht gerne drüber, in wie viel Fällen sie prekäre Beschäftigungsverhältnisse begründen ...

    Biesler: Eine Zahl habe ich: In Hessen waren es im letzten Jahr 1000 Lehrer, die sich vor den Sommerferien arbeitslos gemeldet haben.

    Schad: Ja, das sind die, die sich arbeitslos gemeldet haben. Ich wette aber, es waren vier- bis fünfmal so viel, die in den Sommerferien nicht bezahlt worden sind und sich aus anderen Gründen – entweder, weil sie in ein anderes Bundesland gegangen sind – nicht arbeitslos gemeldet haben. Hessen ist – da gab es eine kleine Anfrage im Landesparlament – Hessen ist da, sagen wir mal, auf der Sünderdatei ganz weit oben. Es gibt aber auch eine Auswertung der Bundesagentur für Arbeit, die für diese Unterbrechung der Sommerferien Arbeitslosengeld in Höhe von 33 Millionen Euro zahlt, die die Länder sich sparen, obwohl diese Unterbrechung rechtswidrig ist.

    Biesler: Jetzt gab es ja auch schon im Februar wieder Streiks der angestellten Lehrer. Wieso gelingt es eigentlich nicht, das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit bei den Lehrern durchzusetzen.

    Schad: Ja, das mit dem gleichen Lohn für gleiche Arbeit ist immer schnell dahingesagt. Man muss sich ja genau angucken, um welche Arbeit es sich handelt.

    Biesler: Ist aber eine Forderung die auch die GEW formuliert!

    Schad: Ja, aber so pauschal hat man mit der Forderung kein Problem. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das sagt Ihnen jeder Politiker, da stehe ich auch dahinter. Wenn es dann aber zum Detail kommt, wird es schwierig. Wir haben im Lehrerbereich zwei Statusgruppen, das sind einmal die Angestellten, einmal die Beamten. Diese zwei Statusgruppen haben unterschiedliche Beschäftigungsbedingungen und unterschiedliche Versorgungssysteme. Das zu vergleichen ist nicht so ganz einfach. Die Kollegen vor Ort vergleichen immer ihr Nettoeinkommen, Tarifpolitik oder Entgeltpolitik kann eine Gewerkschaft aber immer nur als Bruttolohnpolitik machen, denn wir haben ja keinen Einfluss, wie die steuerrechtliche Zuordnung des einzelnen Beschäftigten ist. Die dritte Gruppe – und das ist das, worum es ja hier in dem Fall geht –, ist das in der Gruppe der Angestellten auch noch eine Gruppe geschaffen wird, die prekär beschäftigt wird. Wir haben in Hessen inzwischen einen Gesetzentwurf, dass Leiharbeit in Schulen zugelassen werden soll. Bei den Bundeswehrfachschulen gibt es Leiharbeit. Wir haben überall das Eindringen von Beschäftigtengruppen, deren Arbeitsbedingungen und Bezahlungsbedingungen so schlecht sind, dass möglichst die Politiker nicht so gerne drüber reden. Aber die Gruppe ist groß, geschätzte 60.000, die in solchen Beschäftigungsverhältnissen sind. In Hessen heißt es Unterrichtsgarantie plus, was ja jetzt inzwischen kassiert ist, Lehrerfeuerwehr oder jedes Land hat da ein anderes Modell. Die eint alle eins: Es funktioniert nicht.

    Biesler: Nun muss man natürlich aufpassen, dass man irgendwie nicht alles nach unten durchkorrigiert, also, dass man sozusagen den niedrigsten Standard als den Standard setzt, da muss man natürlich sehr vorsichtig sein. Aber ich glaube, das Missverhältnis ist ja auch gerade in dem Bereich so groß, weil verbeamtete Lehrer vergleichsweise viel verdienen, inzwischen manchmal mehr als Hochschulprofessoren oder fast in der Regel mehr als Hochschulprofessoren, und die können ja – die Hochschulprofessoren – erst mit 40 Jahren anfangen zu arbeiten. Könnte es nicht so einen solidarischen Ausgleich geben oder zumindest ein Teil dieses Ausgleichs solidarisch sein, dass also die beamteten Lehrer vielleicht alle freiwillig in Angestelltenverhältnisse wechseln und die Unterschiede so nivelliert werden?

    Schad: So einfach ist es auch nicht. Erstens ist es ein gängiges, aber nicht stimmendes Vorurteil, dass beamtete Lehrer gut verdienen, ...

    Biesler: ja, aber vergleichsweise ...

    Schad: Nein, auch nicht vergleichsweise!

    Biesler: ... nicht so schlecht.

    Schad: Die Lehrer sind die einzige Berufsgruppe, wo eine vollakademische Ausbildung mit zwei Staatsexamen beziehungsweise mit einem Masterabschluss – nicht wie bei Informatikern, Volkswirtschaftlern, Juristen und, und, und – in den höheren Dienst führt, sondern bei Lehrern gilt eine Ausnahme: Die Grundschullehrerin kommt in die Entgeltgruppe 11 oder in die Besoldungsgruppe A12. Und damit wir mal wissen über welche Summen ...

    Biesler: ... klar, es gibt einen großen Unterschied. Das ist klar.

    Schad: ... nur die Lehrer. Die Lehrer sind die einzige Gruppe, wo das Prinzip "vollakademische Ausbildung kommt in A13 oder E13" nicht stimmt. In jedem Gesetz steht: Alle Master kommen in A13, eine Ausnahme gilt für die Lehrer, die kommen nach A12. Insgesamt sind die Lehrer bei gleichwertiger Ausbildung die am schlechtesten bezahlte Gruppe – auch gegenüber Professoren! Alles ...

    Biesler: Also, es klingt insgesamt – wir haben gleich noch die Nachrichten, deswegen muss ich jetzt noch mal direkt fragen – es klingt insgesamt so, als ob wir noch eine ganze Zeit lang mit dieser Situation leben müssten.

    Schad: Länder, die jetzt noch im Schulbereich mit prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, die haben nicht erkannt, dass wir mitten in einer gravierenden Lehrermangelsituation sind. Die Länder werben sich untereinander die Lehrer ab, und wer jetzt nicht alles tut, um Lehrer in seinem Land zu halten, der handelt verantwortungslos für die Zukunft.

    Biesler: Ilse Schad von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft über die prekären Lehrebeschäftigungsverhältnisse.