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Lehrerfrust und Lehrermangel

In Deutschland droht erneut ein Lehrermangel, warnt der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm. Bis 2015 werden rund 300.000 Lehrer aus Altersgründen aus dem Dienst ausscheiden, denen nur 26.000 Junglehrer jährlich gegenüberstehen. Trotz sinkender Schülerzahl entstehe dabei eine Versorgungslücke, so Klemm.

Klaus Klemm im Gespräch mit Regina Brinkmann |
    Regina Brinkmann: Ein Beispiel für die viel beklagte Bildungsmisere ist auch der Lehrermangel, der sich akut abzeichnet. 300.000 Lehrer werden bis 2015 aus Altersgründen ausscheiden, und die jährlichen Absolventenzahlen an den Hochschulen reichen kaum aus, um die Lücken mit jungen Lehrern zu schließen. Der Bildungsforscher Klaus Klemm hat diese Zahlen jetzt vorgelegt. Herr Klemm, wie groß ist denn die Lücke, die uns erwartet?

    Klaus Klemm: Also man muss eigentlich von unterschiedlichen Lücken sprechen. Wenn wir nur die Lehrer einstellen, die wir brauchen, um den bestehenden Bestand aufzufüllen, wenn wir das machen, dann ist die Lücke sehr, sehr groß, dann brauchen wir bis zu 38.000 Lehrer jährlich neu, das ist weit mehr, als wir ausbilden. Wenn wir dagegen noch sparsamer sind und sagen, in dem Umfang, in dem wir Schülerzahlen weniger haben werden – und das wird in den nächsten Jahren etwa ein Rückgang auf 80 Prozent sein –, in dem Umfang sparen wir auch Lehrerstellen ein, ziehen also die frei werdenden Lehrerstellen aus dem System raus, dann brauchen wir jährlich in den nächsten Jahren bis zu 27.000 Lehrer. Dafür, für die 27.000 oder 38.000 Lehrer, haben wir aber auf der anderen Seite nur zu erwarten etwa 26.000 junge Leute, die in den Schuldienst eintreten wollen, ausgebildet. Das heißt, wir haben in jedem Fall eine Lücke. Bei der Sparvariante eine Lücke von jährlich 1000 und bei der aufwendigeren Reformvariante eine Lücke von mehr als 10.000 jährlich. Wenn wir 26.000 Lehrer für 27.000 Stellen haben, in der Sparvariante, dann sind die 26.000 Lehrer ja nicht unbedingt für die richtigen Schulformen und mit den richtigen Unterrichtsfächern ausgebildet. Wir haben zu viele Deutsch- und Geschichtslehrer fürs Gymnasium, aber zugleich fehlen uns Englischlehrer, Mathematiklehrer, Informatiklehrer und so weiter.

    Brinkmann: Wie ist denn dieser Lehrermangel zu erklären?

    Klemm: Also er ist aus verschiedenen Gründen entstanden. Zum einen, die jungen Leute erfahren nicht regelmäßig von den Kultusministerien, wann wie viel Lehrer gebraucht werden – die letzte Aussage war da aus dem Jahre 2003, das ist ja nun schon etwas länger her –, sodass sie sich an dem aktuellen Arbeitsmarkt informieren. Der aktuelle Arbeitsmarkt informiert sie aber so, dass bis in die letzten Jahre hinein jährlich auch noch Tausende von Lehrern nicht eingestellt wurden, und dann haben sie die Wahrnehmung – die Abiturienten überlegen, was soll ich denn studieren –, sie haben die Wahrnehmung, wir werden nicht so sehr gebraucht im schulischen Bereich, deshalb studieren sie das nicht. Das ist der eine Grund. Und der zweite Grund: Deutschland hat international gesehen eine relativ geringe Abiturientenquote, wir produzieren nicht so viele Abiturienten wie andere Länder, wir haben weniger Studenten in Universitäten, als das in anderen Ländern der Fall ist. Und um diese Studenten reißen sich jetzt viele Abnehmer. Wir brauchen mehr Mediziner, wir brauchen mehr Ingenieure. In den letzten Jahren ging regelmäßig durch die Presse, vor der Wirtschaftskrise, dass wir 60.000 unbesetzte Ingenieurstellen haben und so weiter und so weiter. Da gibt’s viel Konkurrenz. Und die Leute, die von ihren Fachinteressen die Möglichkeit haben, etwas anderes als im geisteswissenschaftlichen Bereich heute zu tun, die gehen dann lieber in einen Ingenieurberuf, zumal der viel, viel besser bezahlt wird, als dass sie als Mathematik- und Physiklehrer sich ausbilden lassen.

    Brinkmann: Ab morgen tagen ja die Kultusminister, die Länder graben sich ja selbst das Wasser, wenn man so will, ab, sie werben Lehrer untereinander ab. Was sollten sie tun, um die Lücke gemeinsam zu schließen?

    Klemm: Na ja, wir haben zunächst mal das Gegenteil getan. Sie haben in der Föderalismusreform I oder vor zwei Jahren sich darauf verständigt, dass ihre Kompetenzen in den Bildungsfragen noch mehr wachsen und der Bund und die Gemeinsamkeit noch mehr zurückgeschraubt wird. Inzwischen ist es so, dass jedes Land für sich die Besoldung für Lehrer regeln kann. Und ich prognostiziere – im Augenblick ist das Prognose, aber eine ziemlich realistische –, dass in einigen Jahren die reicheren Bundesländer die Mangellehrer vom Markt wegkaufen zulasten der ärmeren Bundesländer. Also ich sage mal etwas salopp: Bayern wird dann die Mathematiklehrer aus Mecklenburg-Vorpommern mit hohem Geld anlocken, und dann haben die ärmeren Länder das Nachsehen. Die Kultusminister haben sich ja auf der letzten KMK vor ein paar Monaten nur darauf verständigen können, fair miteinander umzugehen. Was das meint und wie es dann konkret aussieht, weiß keiner.

    Brinkmann: Besoldung ist ein gutes Stichwort, die wird auch in der aktuellen OECD-Studie beklagt, wo 23 Länder untersucht wurden und Aussagen getroffen wurden über den Lehrerberuf. Und man hat so ein bisschen den Eindruck, dass das Image des Lehrerberufs dadurch, was dargestellt wird, auch in ein sehr schlechtes ist. Hat das denn auch einen Eindruck auf junge Studierende, die sich jetzt für diesen Lehrerberuf beispielsweise nicht entscheiden können?

    Klemm: Also in Deutschland ist das Ansehen des Lehrers nicht so, wie es zum Beispiel in Finnland ist. Die finnischen Hochschulen können sich jährlich von zehn Bewerbern einige wenige aussuchen, die sie zum Lehrerstudium zulassen, da wollen mehr Leute Lehrer werden, als gebraucht werden. In Deutschland ist das Image nicht so, wir haben immer, wie ja schon angesprochen, zu wenig, und daran hat die Politik auch mitgewirkt. Ich denke nur an solche Worte von den Lehrern als faulen Säcken, was mal ein Bundeskanzler gesagt hat. Das Image des Lehrers, dass er mittags schläft und nachmittags Tennis spielt und morgens ein paar Stunden in die Schule geht, entspricht ja nun überhaupt nicht der Arbeitswelt eines Lehrers, aber so wird es verbreitet, und das trägt nicht zum Ansehen bei.