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Lehrergewerkschaft zu Rückkehr an die Schule
Eine Mischform zwischen Präsenz- und Fernunterricht finden

Angesichts einer zweiten beginnenden Infektionswelle in Asien müsse man damit rechnen, dass Unterricht eine Mischform von Ferne und Präsenz bleiben werde, sagte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe im Dlf. Nun müsse überlegt werden, wie nach den Sommerferien so eine Mischform gestaltet werden könne.

Marlis Tepe im Gespräch mit Raphael Smarzoch |
Eine Lehrerin der Primarschule (1./2. Klasse) Wileroltigen filmt ihren Schulinhalt, den sie anschliessend digital an ihre Klasse als Fernunterricht digital verschickt.
Teils per Video, teils mit Präsenz - Lehrer und Schüler müssen sich in Zeiten von Corona wohl auf eine Mischform beim Lernen einstellen, so die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe (pa/KEYSTONE/C. Beutler)
Seit vergangener Woche sind in den meisten Bundesländern nicht nur die Abschlussjahrgänge wieder im analogen Unterricht, sondern auch viele Schülerinnen und Schüler aus anderen Klassen. Die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten hatten sich darauf verständigt, dass bis zu den Sommerferien jeder Schüler noch mal ein Klassenzimmer von innen gesehen haben soll. Die tatsächliche Umsetzung der Abstandsregeln ist nur eine der vielen Aufgaben, die jetzt den Lehrkräften und Leitungen vor Ort überlassen bleibt. Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat Rückmeldungen aus Kollegien über die ersten Tage erhalten.
Marlis Tepe: Diejenigen, die mich anrufen, sagen Unterschiedliches. Die einen sagen, ja, es hat gut geklappt. Das sind insbesondere solche, die, wie wir das auch vorgeschlagen haben, einen Krisenstab in der Schule eingerichtet haben. Dieser Krisenstab überprüft die Maßnahmen, die besprochen worden sind, täglich und justiert nach. Sowas funktioniert gut, entlastet auch etwas die Schulleitung. Also wenn das Kollegium gut mitgenommen wird, glaube ich, funktioniert vieles, aber natürlich gibt es auch viele Schwierigkeiten.
Probleme bei der Abstandswahrung
Smarzoch: Zum Beispiel?
Tepe: Zum Beispiel, dass es schon schwierig ist, insbesondere an den neuralgischen Stellen, an den Eingängen, bei den Schulhöfen, tatsächlich dann auch die Abstände zu wahren und dafür zu sorgen, dass sie eingehalten werden.
Präsenz- und Fernunterricht, Vertretung, Krisenmanagement
Smarzoch: Lässt sich denn die Rückkehr mit der vorhandenen Lehrerschaft denn auch tatsächlich stemmen? Wir haben ja zum einen geteilte Klassen, hört man wieder, und damit doppelten Unterricht, aber ebenfalls auch buchstäblich weniger Lehrkräfte, weil einige der Lehrerinnen und Lehrer ja auch zur Risikogruppe gehören und wegfallen. Ist das dann nicht eine Sisyphosaufgabe, geht das?
Tepe: Ja, das ist für die Kollegien eine Sisyphosaufgabe, den Präsenzunterricht, den Fernunterricht, die Vertretung und das Krisenmanagement zu gestalten und dann auch mit neuen Techniken zurecht zu kommen. Es muss ja weiterhin mit bestimmten Klassen der Fernunterricht gestaltet werden, und es muss der Kontakt gestaltet werden. Da höre ich Unterschiedliches. Manche Schulen versuchen auch, über Videokonferenzen die Schulklassen regelmäßig zu erreichen. Das klappt gut, wenn die Schülerinnen und Schüler schon lange auf diese Technik vorbereitet waren, die Schulen, die digital weiter waren, sind hier im Vorteil. Für viele Grundschulklassen bedeutet das, dass die Eltern oder die Schüler oder Schüler mit Eltern in die Schule kommen, die Klassenlehrkraft sehen, Material austauschen. Aber wenn Sie sich das vorstellen, Sie haben die Klasse mit 27, wenn Sie nur 15 Minuten für jedes Kind wahrnehmen, dann sind das schon eine ganze Menge Stunden, die alleine für diese Übergabe aufgebraucht werden. Wenn dazu dann noch der Fernunterricht kommt oder der Unterricht in einer halben Gruppe, dann ist das sehr schwer zu stemmen.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Wie es nach den Sommerferien weitergeht
Smarzoch: Also lässt sich eigentlich kein vernünftiger Unterricht gestalten?
Tepe: Das würde ich so nicht sagen. Es findet ja sowohl über die Ferne als in der Präsenz Unterricht statt, aber nicht zu den normalen Bedingungen, und darauf werden wir uns, glaube ich, über längere Zeit einlassen müssen, gerade wenn man sieht, dass in den asiatischen Ländern jetzt die zweite Welle beginnt. Also auch wir haben damit zu rechnen, sodass es immer eine Mischform bleiben wird, und die Aufgabe wird sein, zu überlegen, wie nach den Sommerferien diese Mischform gut gestaltet werden kann.
Individuelle Lösungen für Schulleitungen ermöglichen
Smarzoch: Wir hatten an dieser Stelle auch vergangene Woche eine Schulleiterin, die sagte, wir brauchen Gestaltungsspielraum. Diesen Gestaltungsspielraum gibt es jetzt, und was macht diesen Gestaltungsspielraum aus, und wie wird er genutzt?
Tepe: Wenn Sie eine Schule haben, die auf dem Land liegt, eher rückgehende Schülerzahlen hat, dann ist natürlich in der Regel im Gebäude und auch im Draußengelände Platz. Es gibt aber auch Schulen, wie zum Beispiel in Berlin, in der praktisch jeder Raum genutzt wird, auch, was früher ein Kartenraum war, jetzt zum Klassenraum gemacht werden musste, weil die Zuzüge in der Stadt Berlin enorm sind, und zugleich sind die Pausenhöfe enge. Das sehe ich auch in der Schule, die ich vor meinem Balkon meiner Frankfurter Dienstwohnung aus sehen kann. Dann ist die Aufgabe natürlich viel schwerer zu bewältigen, und deswegen ist es sinnvoll, den Schulleitungen individuelle Lösungen zu eröffnen, aber was gemeinschaftlich klar sein müsste, wäre, wie mit den Risikogruppen umzugehen ist, wie Hygienepläne eingehalten werden müssen.
Ein leeres Klassenzimmeer mit blau gestrichener Wand und viel Dekoration.
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Teils bringen Lehrer Flüssigseife und Einmalhandtücher mit
Smarzoch: Genau, Stichwort Hygiene: Sie sprachen vor der Öffnung der Schulen von einer sorgfältigen Vorbereitung, die erfolgen müsse, zum Beispiel in Hinsicht auf die Hygienebedingungen, und da sah es ja meistens desaströs aus an deutschen Schulen, wie wir aus der Vergangenheit wissen. Wie ist es denn jetzt um die Hygiene bestellt? Können Sie jetzt flächendeckend einen anderen Umgang und eine Nachrüstung beobachten?
Tepe: Also eine Nachrüstung mit Flüssigseife und Einmalhandtüchern erfolgt vielfach, zum Teil allerdings auch so, dass die Lehrkräfte das Material mitbringen sollen. Sehr unterschiedlich wird mit der Reinigung umgegangen. Es sind ja zusätzliche Reinigungsnotwendigkeiten vorhanden, und das Problem ist ja da, dass die Reinigungen bei den Kommunalen, bei den Trägern der Schulen liegt. Also ich glaube, die Schulträger brauchen, die Kommunen brauchen das nötige Geld, um Reinigungskräfte ordentlich zu bezahlen, ihnen ordentlich Zeit zu geben, damit sie die Aufgaben lösen können. Das ist nicht überall vorhanden, diese Einsicht und die gute Zusammenarbeit.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.