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Kommentar zum Lehrermangel
Niemand im Bund fühlt sich so richtig zuständig

Die Dimension des Lehrermangels habe Ausmaße angenommen, die ein gemeinsames Vorgehen aller Bundesländer erforderlich machten, kommentiert Niklas Ottersbach. Dazu müsste auch der Bildungsföderalismus ein Stück weit aufgegeben werden.

Ein Kommentar von Niklas Ottersbach |
Bei einer Demonstration wird ein Schild mit der Aufschrift "Guhte Schule geet anderst. Neue Lehrer braucht das Land" hochgehalten
Der jüngste Schulbarometer der Bosch-Stiftung benennt den Lehrermangel als größtes Problem der Schulen in Deutschland (picture alliance / dpa / Nicolas Armer)
Grundschüler, die in Magdeburg auf dem Gang unterrichtet werden, weil nicht mehr als 30 Kinder in den Klassenraum passen. Eine Sekundarschule in Halle, die alle Schüler mit schwachen Leistungen und vielen Fehlzeiten in eine Klasse verfrachtet und hofft, dass es so besser wird. Und eine Schule im Harz, die händeringend Seiteneinsteiger sucht, damit mal wieder Musikunterricht stattfinden kann. Alles reale Geschichten des Bildungsnotstands aus Sachsen-Anhalt.

Lehrermangel ist kein regionales Problem

Der Lehrermangel ist ein gesamtdeutsches Problem. In Sachsen-Anhalt ist es allerdings besonders groß. Die Unterrichtsversorgung liegt bei gerade mal 92 Prozent. Das ist historisch niedrig und das Erbe einer jahrelangen Sparpolitik. Nach der Wende wurden knapp zwei Jahrzehnte lang viel zu wenig neue Lehrer eingestellt. Und das rächt sich nun. Konkret heißt das:  Knapp jede zehnte Schulstunde kann in Sachsen-Anhalt nicht wie geplant stattfinden. Speziell der sogenannte Mittelbau in den Lehrerzimmern in Ostdeutschland, sprich: die 40- bis 45-Jährigen, man muss sie mit der Lupe suchen.
Vergleichszahlen innerhalb der Bundesländer zu finden, ist gar nicht so einfach, weil jedes Bundesland andere Berechnungen anstellt. Und das ist Teil des Problems. Beim Thema Bildungspolitik lässt sich beobachten, wie Verantwortungsverlagerung funktioniert. Bildung ist Ländersache, also fühlt sich im Bund niemand so richtig zuständig.
Und selbst in den Ländern verweisen Ministerien darauf, dass es für spezifische Statistiken keine Zahlengrundlage gibt. Und die Kultusministerkonferenz als gemeinsames, föderales Bildungsgremium hilft da nicht weiter. Karin Prien, bis vor kurzem KMK-Chefin sagte noch im letzten Jahr: Die Bewältigung des Lehrermangels sei Aufgabe der einzelnen Länder. Ganz so, als ob das ein regionales Problem sei, was sich vor Ort beheben ließe.

Gemeinsames Vorgehen der Länder erforderlich

Mehr Ganztagsschule, mehr Flüchtlingskinder in den Schulen, mehr Inklusion: wie soll das zwischen Flensburg bis Bad Reichenhall, von Frankfurt Oder bis Aachen funktionieren, wenn die Babyboomer in den Klassenzimmern demnächst in Rente gehen? Nein, die Dimension des Lehrermangels in ganz Deutschland hat Ausmaße angenommen, die ein gemeinsames Vorgehen der Länder erforderlich machen.
Dafür müsste man die 16 Bildungssysteme stärker aneinander angleichen. Zum Beispiel in Form eines gemeinsamen Bildungsstaatsvertrags der Länder, wie es das in ähnlicher Form auch in der Schweiz gibt. Das würde bedeuten, auch ein bisschen Bildungsföderalismus aufzugeben. Aber es gäbe auf der anderen Seite eine gemeinsame Arbeitsgrundlage in Sachen Lehrkräftebedarf- und Ausbildungssteuerung. Es braucht eine nationale Bildungsanstrengung, um den Lehrermangel langfristig zu beseitigen.
Porträt: Niklas Ottersbach
Porträt: Niklas Ottersbach
Niklas Ottersbach, geboren 1987 in Hamburg, studierte Sportwissenschaften und Journalistik in Mainz und Leipzig und war in den vergangenen Jahren in Sachsen-Anhalt als freier Mitarbeiter für den MDR Hörfunk und Fernsehen tätig. Seit 2020 berichtet er für das Deutschlandradio aus Sachsen-Anhalt.