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Lehrermangel an Rostocker Grundschulen

Wenn es ein Zeugnis für die Bildungspolitik in Mecklenburg-Vorpommern gäbe, müsste nach Ansicht vieler Eltern und Lehrer ein "mangelhaft" draufstehen. Eine Pensionierungswelle rollt auf die Lehrerzimmer zu, doch die jungen Pädagogen verabschieden sich in andere Bundesländer.

Von Lenore Lötsch |
    Johanna, Felix und Lilly kommen mit roten Wangen in die Werner-Lindemann-Grundschule und während sie sich den Schnee abschütteln und die Winterstiefel ausziehen, schauen ihre Eltern besorgt in den Klassenraum.

    "Wir sind mittlerweile so weit, dass wir gerne morgens unsere Kinder zur Schule bringen, auch bis zum Klassenraum, damit wir wissen: Wer steht denn da?"

    Erzählt der Vater Peter Dönges. Von 22 Schulwochen war die Lehrerin zehn Wochen krank. Die Klasse wurde über Wochen aufgeteilt, von Bundesfreiwilligendienstleistenden, sogenannten Bufdis, oder Referendaren betreut. An einen regulären Unterricht war nicht zu denken. Für die 21 Erstklässler war ihr Schulstart eine Katastrophe sagt Stephan Michalek, der Elternratsvorsitzende.

    "Wir haben natürlich am Anfang erst mal mit unserem Direktor gesprochen. Der hat uns erklärt, dass er Vertretungslehrer angefordert hat, und dass die Situation in Rostock an anderen Schulen viel brenzliger sei und überhaupt gar keine Ersatzlehrer vorhanden sind und das der Grund ist, warum unsere Kinder von Bufdis unterrichtet werden oder von Referendaren. Also wir haben so festgestell: Nur die Hausmeisterin hat unsere Kinder noch nicht unterrichtet."

    Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsminister Mathias Brodkorb (SPD) ist alarmiert, auch durch einen Brief der Eltern. In dieser Woche ist Brodkorb 100 Tage im Amt, er hat die Bildung als große Baustelle erkannt, aber eine schnelle Lösung verspricht er nicht.

    "Wir sind jetzt aufmerksam geworden auf eine Situation, die sich offenbar zuspitzt an den Grundschulen, dass bis zu 20 Prozent des Unterrichts nicht mehr korrekt gegeben werden können, weil wir uns in Vertretungssituationen befinden. Wir nehmen das zum Anlass, um eine landesweite Überprüfung vorzunehmen. Hab ich heute übrigens auch schon veranlasst, auch Berichte der Schulämter, wie sie mit der Situation umgehen, wie sie sie einschätzen. Und das besondere Problem bei den Grundschulen ist, dass da ja normalerweise kein Unterricht ausfallen soll, weil die Kinder betreut werden müssen."

    Der Lehrermangel, der bisher vor allem an den Grundschulen zu spüren ist, wird sich nach Ansicht der Gewerkschaften weiter verschärfen. Das Durchschnittsalter der Pädagogen liegt bei 49,3 Jahren. In den vergangenen zehn Jahren wurden an öffentlichen Schulen 850 Lehrkräfte unbefristet eingestellt, 4900 Lehrer gingen dagegen in den Ruhestand. Der Bedarf an Lehrern wächst laut Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Zukunft auf 400 bis 600 Stellen im Jahr. Aus dem Bildungsministerium heißt es mittlerweile: Die Verbeamtung sei eine Möglichkeit, um junge Lehrer im Nordosten zu halten.

    "Ich muss nicht verbeamtet werden."

    Widerspricht die Sonderpädagogin Judith Hardtmann. Sie hat im Dezember ihr Referendariat beendet und eine befristete Stelle ergattern können. Bis zu den Sommerferien, dann ist sie arbeitslos.

    "Mir würde ein ganz normales unbefristetes Arbeitsverhältnis reichen und das höre ich auch von anderen Kolleginnen, die in der gleichen Lage sind, wie ich. Also eigentlich fragt man sich, warum reagiert das Land nicht. In zwei Jahren wird wahrscheinlich n großes schwarzes Loch entstehen. Also allein aus meinem Bekanntenkreis sind so viele Leute dabei, sich weg zu bewerben. Wenn man bei den anderen Bundesländern schaut, dann werden ja sogar zum Halbjahr hin unbefristete Stellen ausgeschrieben oder auch einfach zwischendurch und hier tut sich leider nichts."

    Und während Bildungsminister Brodkorb auf Arbeitsgruppen setzt, auf eine Beteiligung aller Akteure, gehen die Eltern der Erstklässler an der Werner-Lindemann-Grundschule in Rostock ungewöhnliche Wege, erzählt der Vater Peter Dönges:

    "Wir suchen selber für uns einen Lehrer oder eine Lehrerin, weil wir von der Schule keinen geliefert bekommen. Wir würden auch dafür finanzielle Mittel in die Hand nehmen."

    100 Euro pro Familie sind unter den Eltern im Gespräch, damit es endlich wieder ums Rechnen, Schreiben und Lesen geht in der Klasse 1a.