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Lehrermangel unter Migranten

Deutschlandweit haben nur zwei Prozent aller Lehrkräfte einen Migrationshintergrund. In den Klassen hat dagegen im Schnitt jeder dritte Schüler eine Zuwanderungsgeschichte. Das NRW-Schulministerium hat deshalb einen Schülercampus unter dem Motto "Mehr Migranten werden Lehrer" veranstaltet.

Von Bernd Dicks |
    Klasse im Chor: "Guten Morgen Frau Rose …"

    Daran könnten sich die 30 Teilnehmer des Schülercampus gewöhnen.

    Sie stehen gespannt vorne an der Tafel in der Klasse 6b des Düsseldorfer Leibniz-Gymnasiums und warten gespannt darauf, von der Klassenlehrerin auf die neugierig guckenden Kinder losgelassen zu werden. Die heutige Stunde als Hilfslehrer im Unterricht ist einer der Höhepunkte der dreitägigen Tagung.

    Jeder der 30 Teilnehmer ist zwischen 16 und 18 Jahre alt, hat eine Zuwanderungsgeschichte und zumindest vorläufig den Wunsch, Lehrer zu werden. So auch Mircan Gentsch, ein alevitischer Kurde, dessen Wunsch für den Lehrberuf daraus erwachsen ist, dass seine Schulzeit ein Negativbeispiel dafür ist, wie Integration in Schule und Gesellschaft nicht funktioniert:

    "Ich bin auch dann von der Schule verwiesen worden auf eine Hauptschule, mit dem Grund, dass ich das nicht schaffen werde, das Abitur zu machen. Meine Schulkarriere würde den Bach runtergehen. Meine Lehrer haben mich im Grunde abgestempelt, und durch Unterstützung von rechts und links habe ich dann doch geschafft, das Gegenteil zu beweisen. Und das hat für mich gezeigt, dass mehr Migranten als Lehrer gebraucht werden hier im Land."

    Von den ausschließlich deutschen Lehrkräften an seiner Schule fühlte er sich oft vernachlässigt und falsch verstanden. Anstatt seine Schwächen und vor allem die Sprachprobleme zu beheben, hat man ihn einfach nach unten durchgereicht.

    Kein Einzelfall, wie Lehrerin Una Rausch bestätigt, die ebenfalls eine Zuwanderungsgeschichte hat und an einer Förderschule in Bonn unterrichtet.

    Gerade an den Schulen mit den Förderschwerpunkten Lernen und soziale Entwicklung werden Lehrkräfte mit einem Migrationshintergrund dringend gebraucht:

    "Weil es dort immer wieder sehr hohe Quoten von Schülern gibt mit Zuwanderungsgeschichte, die auf Grund von sprachlichen Schwierigkeiten an diesen Schulen sind und weil sie einfach schlecht integriert sind."

    Um diesen Missständen entgegenzuwirken, gründete sich vor etwas mehr als zwei Jahren das Netzwerk "Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte", das sich aktiv um Nachwuchslehrer mit einem Migrationshintergrund bemüht. Mit Stiftungsgeldern und Mitteln des NRW-Schulministeriums werden nun Schüler zu Tagungen wie dieser eingeladen und für den Lehrerberuf begeistert.

    Eine längst überfällige Initiative, wie auch Günter Winands, Staatssekretär im NRW-Schulministerium, zugeben muss:

    "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Deutschland, zu lange nicht die Ressource der zugewanderten Menschen genutzt haben, auch im Lehrerbereich. Hinzu kommt, dass die Aufsteiger aus Migrantenfamilien häufig gerne Rechtsanwalt werden, Mediziner, Steuerberater – aber nicht unbedingt Lehrer."

    Vielen Migranten fehle es aber auch einfach nur an Vorbildern, meint Antonietta Zeoli, die Landeskoordinatorin der Lehrkräfte mit Zuwanderungsgeschichte:

    "Wow, die Zeoli, italienische Jüdin, wow die hat es geschafft. Mein Kind kann das auch, mit einer Zuwanderungsgeschichte als Nicht-Deutsche in diesem Land. Das macht einen doch sehr authentisch."

    Gleichzeitig dienen solche Lehrkräfte als kompetente Ansprechpartner, wenn es zu kulturellen oder religiösen Konflikten im Schulalltag kommt:

    "... weil wir die Probleme aus eigener Erfahrung kennen zuhause: Das Mädchen darf nicht raus, darf nicht auf Klassenfahrt, der Junge hat ein bestimmtes Profil zu erfüllen, was in der Pubertät einfach ziemlich wichtig ist zu wissen."

    Auch wenn auf der Tagung den 30 Teilnehmern deutlich gemacht wurde, dass es noch ein weiter Weg bis zum Lehrberuf ist und sie sich ein dickes Fell für den Job zulegen müssen, so wurden die meisten doch in ihrem Berufswunsch bestärkt:

    "Gerade weil auch Diskussionen gekommen sind, die auch etwas tiefgründiger sind. Wo man wirklich nachdenken sollte und die ein bisschen einen philosophischen Aspekt haben. Weil Lehrer sein ist nicht nur eine Ausbildung, die man einfach fachlich hat, sondern ist auch wirklich etwas, was man im Herzen haben muss."

    "Ich hätte nicht gedacht, dass es so abläuft, ich hätte gedacht, dass wir ein Vortrag nach dem nächsten bekommen werden, aber es war sehr abwechslungsreich, wir haben ja unter anderem geschauspielert. Meine Erkenntnis ist, dass ich auf jeden Fall in Dortmund studieren werde."