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Lehrernotstand in Bremen

Stundenpläne werden über den Haufen geworfen, Lehrer werden an andere Schulen versetzt, Referendare nun doch nicht eingestellt. Der Grund: Geldmangel. 63 Stellen bleiben im kommenden Schuljahr in Bremen unbesetzt. Jetzt demonstrieren sogar die Schüler gegen den Bildungsnotstand.

Von Christina Selzer |
    Seit zwei Wochen gehen Hunderte Bremer Schüler immer wieder auf die Straße, um sich Gehör zu verschaffen. Sie wollen eine bessere Ausstattung, mehr Lehrer, weniger Unterrichtsausfall.

    "Die Nachbarklasse von uns hatte keinen Englischunterricht, weil keine Ersatzlehrer da waren." - "Das geht nicht, da können Leute ihr Abi nicht richtig machen, müssen umwählen, das kann doch nicht sein, dass das einfach so gemacht werden kann."

    Donnerstag diese Woche: Rund 50 Schüler versuchen, die Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper von der SPD abzufangen. Sie wollen Antworten. Doch die möchte nicht mit ihnen sprechen, verlässt das Gebäude durch den Hinterausgang und flüchtet in einem Polizeiwagen vor den Schülern.

    "Sie ist, ohne nach hinten zu gucken, einfach mit der Polizei gegangen. Dabei haben wir noch nicht einmal rumgeschrien. Wir haben einfach mit unseren Transparenten dagestanden. Das finden wirdschade - und zeigt die Dialogbereitschaft unserer Senatorin."

    Der Ärger Aller richtet sich in diesen Tagen auf die Senatorin. Dass die Bildung im Haushaltsnotlageland Bremen nicht üppig ausgestattet ist, ist zwar bekannt. Doch der Frust verstärkte sich, als bekannt wurde, dass Lehrer, die schon eingeplant waren, jetzt doch nicht kommen werden. Kein Geld. Akut fehlen 63 Lehrer. Schulleiter, Lehrer und Eltern sind fassungslos, darüber, dass sie nicht früher informiert wurden. Petra Lichtenberg vom Gesamtpersonalrat:

    "Wir haben in Bremen die Situation, dass es an einigen Schulen direkt vor den Sommerferien richtig knallt, weil den Schulleitern kurz vor den Ferien mitgeteilt wurde, welchen Bedarf sie haben. Und der unterscheidet sich wesentlich davon, was ihnen ihm Frühjahr mitgeteilt worden ist."

    Stundenpläne werden über den Haufen geworfen, Lehrer werden an andere Schulen versetzt, Referendare, die seit Monaten hingehalten wurden, nun doch nicht eingestellt. Eine Schulleiterin ist ratlos:

    "Wir haben unserer Stundenpläne und alles fertig. Und die junge Kollegin war uns auch zugesagt worden."

    Insgesamt werden in diesem Jahr 80 Referendare weniger übernommen. Einige stehen ohne Job da, andere haben Bremen längst verlassen. Das findet zwar auch die gescholtene Senatorin Renate Jürgens-Pieper nicht schön. Die Grundversorgung sei aber gewährleistet.

    "Wir haben eine Liste mit Schulen besprochen, was ist sozusagen untere Schmerzgrenze, was ist machbar. Hier ist der Haushalt in Einklang zu bringen, das finanziell Machbare mit dem Wünschbaren."

    Nach Berechnungen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft braucht Bremen in den nächsten Jahren sogar 400 Lehrer. Denn derzeit wird eine ambitionierte Schulreform umgesetzt. Zum einen werden Schulen zu Ganztagsschulen umgebaut. Zum anderen will Bremen Vorreiter sein in Sachen Inklusion, dem gemeinsamen Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Schülern. Eine politische Entscheidung, die bundesweit zwar für Aufmerksamkeit sorgt. Deren Erfolg aber an den finanziellen Zwängen scheitern könnte, warnen Lehrer schon seit langem.

    "Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie man so eine grundlegende Schulreform machen kann, ohne die finanzielle Absicherung vorher zu klären. Und die Kollegen vorher weiterzubilden, ihnen Zeit zu geben. Und dass jetzt außerdem noch gekürzt wird, ist unglaublich, es ist ein Riesenskandal."

    "Es ist absolutes Chaos in der Behörde und das können wir nicht länger hinnehmen."

    Die Anforderungen an die Lehrer steigen, auch wegen der Inklusion. Trotzdem werden jetzt aus Spargründen zum Beispiel sonderpädagogische Fortbildungen gestrichen. Dabei sind die besonders wichtig, weil mehr verhaltensauffällige Schüler in den Klassen sitzen. Der zentrale Elternbeirat spricht inzwischen sogar von einer Bankrotterklärung an die Bildung.

    Die Sommerferien haben heute begonnen, doch die Stimmung ist schlecht. Schüler, Eltern und Lehrer wissen nicht, was sie im neuen Schuljahr erwartet. Der Frust ist groß in Bremen. Und das liegt nicht nur am Wetter.