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Lehrerverbands-Chef Meidinger
Warnung vor verlorener Schüler-Generation

Durch die Corona-Pandemie dürfe keine "verlorene Generation" von Schülern entstehen, sagte der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, im Dlf. Es müsse gelingen, die aufgelaufenen Lernrückstände wieder aufzuholen.

Heinz-Peter Meidinger im Gespräch mit Kate Maleike |
Mundschutzmaske hängt an einem Schülertisch während des Präsenzunterrichts.
Die Regeln zur Eindämmung des Coronavirus gehen gerade bei Schulen auseinander. (picture alliance / Eibner-Pressefoto)
In der aktuellen Debatte um Verschärfung der Corona-Maßnahmen schaffen einige Bundesländer im Schulbereich bereits Fakten. So hat Sachsen angekündigt, ab nächster Woche alle Schulen und Kitas zu schließen, und Bayern geht ab heute ab Klasse 8 in den Wechselunterricht. Und wiederum andere Bundesländer, wie etwa Nordrhein-Westfalen, wollen die Schulen weiterhin so lange wie möglich offenhalten. Uneins ist man sich aber auch bei der Länge der Weihnachtsferien.
Leeres Ladengeschäft mit geschlossenen, türkisfarbenen Vorhängen im Schaufenster, in der Innenstadt von Tübingen.
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"Man darf jetzt diese besondere Situation nicht auf dem Rücken der Kinder austragen", sagte Heinz-Peter Meidinger, der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, im Dlf. Sein Verband vertritt etwa 165.000 Lehrkräfte bundesweit.

Kate Maleike: Was brauchen die Schulen denn jetzt unbedingt, um gut über den Winter zu kommen?
Heinz-Peter Meidinger: Ja, eigentlich bräuchte es natürlich eine gewisse Verlässlichkeit bei den Rahmenbedingungen, aber ich glaube, dass in diesen Pandemiezeiten es schwierig ist mit diesen verlässlichen Rahmenbedingungen. Wir haben eine unterschiedliche Situation in den Bundesländern, und das Land Sachsen ist ja mittlerweile das Bundesland mit den meisten Neuinfektionen. Da ist es auch verständlich, dass gesagt wird, nee, also wir müssen jetzt früher in die Weihnachtsferien gehen – in anderen Bundesländern schaut es etwas besser aus. Wichtig ist, dass angemessen reagiert wird.
"Verlängerte Ferien nichts anderes wie Schulschließungen"
Maleike: Das bedeutet, dass wir uns wahrscheinlich dann in den nächsten Tagen auf einen Salami-Lockdown dann einstellen müssen. Oder wären Sie zum Beispiel auch dafür – es gab ja Empfehlungen aus der Wissenschaft und auch aus der Gesundheitspolitik –, einfach die Weihnachtsferien vorzuziehen und noch eine Woche länger dauern zu lassen, damit man sozusagen sicher ist?
Meidinger: Ja, bei dem Vorschlag mit den Weihnachtsferien bin ich skeptisch. Ich glaube, in einem Bundesland wie Sachsen, wo tatsächlich extrem hohe Infektionszahlen da sind, da, glaube ich, gibt es eine gute Begründung dafür, zu sagen, wir schließen die Schulen früher. In anderen Bundesländern – wir haben ja nach wie vor auch Bundesländer, bei denen die Infektionszahlen nur knapp über 50 sind, vor allem im Norden der Republik – macht es natürlich jetzt wenig Sinn, Schulen zu schließen, weil man muss ja immer auch sagen, verlängerte Ferien sind nichts anderes wie komplette Schulschließungen.
Das Foto zeigt Heinz-Peter Meidinger, den Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes.
Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Meidinger (dpa-Bildfunk / Armin Weigel)
Ich würde mehr davon halten, dass man sagt, okay, wir gehen vielleicht dann in der Woche vor den Weihnachtsferien in verschiedenen Bundesländern, so wie es jetzt auch Bayern macht, in den Wechselbetrieb, vor allem für ältere Schüler, aber der Unterricht erliegt eben dann nicht vollständig, sondern er wird fortgeführt. Das halte ich auch im Interesse der Kinder für die bessere Lösung.
"Phase der Prüfungen hat früher begonnen"
Maleike: Jetzt stehen ja dann nach den Ferien, egal wie lange die dauern, irgendwann auch mal Halbjahreszeugnisse an. Sind die überhaupt realistisch oder Notengebung, Leistungsnachweise – es haben ja auch Schulen davon berichtet, dass jetzt viel abgeprüft wird und Klausuren geschrieben werden, um in irgendeiner Form eine Basis für eine Notengebung zu bekommen –, das schafft ja auch eine Menge Druck.
Meidinger: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob tatsächlich dann überdurchschnittlich viel Klausuren und Tests geschrieben worden sind. Was wir beobachtet haben, ist, dass in der Tat die Phase der Prüfungen diesmal etwas früher begonnen hat nach den großen Ferien, weil tatsächlich Lehrer und Schulen sich gesagt haben, wir wollen da jetzt auch nicht zu lange zuwarten und dann gegebenenfalls in den nächsten Lockdown kommen.
Eins ist klar: Man darf jetzt diese besondere Situation nicht auf dem Rücken der Kinder austragen. Das heißt, ich hab volles Verständnis dafür, dass ja auch wieder dann beispielsweise Prüfungen verschoben werden, dass die Prüfungsanforderungen angepasst werden, dass es weiterhin auch Regelungen gibt, beispielsweise des Vorrückens – es sind ja viele Schüler auch auf Probe vorgerückt in diesem Schuljahr –, dass auch diese Möglichkeiten verlängert werden. Nur irgendwann gibt es natürlich sozusagen die Endabrechnung, das heißt, es geht ja nicht nur darum, dass man Schülern jetzt Erleichterungen gibt bei Notenvergaben, sondern es letztendlich darum, mit welchen Kompetenzen, mit welchem Wissen gehen sie entweder in die nächste Jahrgangsstufe oder gehen sie dann auch bei Abschlussklassen ins Berufsleben hinaus, an die Universität. Da sind natürlich diese Lerndefizite, die mittlerweile aufgelaufen sind, doch eine schwere Hypothek.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Wir haben ja auch als Lehrerverband vorgeschlagen, endlich mal ein Langzeitkonzept vorzulegen, wie denn die Politik gedenkt, diese Lerndefizite zu beheben, welche Zusatzförderung möglich ist. Da wird wahrscheinlich kein Weg dran vorbeiführen, auch einer beträchtlichen Gruppe an Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, freiwillig ein Zusatzjahr einzulegen. Davon möchte die Politik derzeit noch nichts hören, ich glaube aber, sie wäre gut beraten, sich möglichst frühzeitig darauf einzustellen und entsprechende Konzepte zu erarbeiten.
Maleike: Was ist denn Ihr Hauptwunsch für Schuldeutschland?
Meidinger: Mein Hauptwunsch ist tatsächlich, dass wir durch diese Corona-Pandemie keine – ja, ich nenne es mal so hart – verlorene Generation von Kindern bekommen, dass es uns gelingen wird, die aufgelaufenen Lernrückstände, Defizite tatsächlich auch aufzuholen, und dass wir tatsächlich aus dieser Pandemie auch positive Erfahrungen mit in die Zukunft nehmen und nicht dann wieder in den alten Trott zurückfallen. Es darf eben dann auch keine Verzögerungen mehr geben beispielsweise bei der Entwicklung von Lernplattformen oder bei der Frage der digitalen Ausstattung von Schulen.
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