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Lehrkräfte-Mangel
Junglehrer warnen vor Zusammenbruch des Schulsystems

Laut Kerstin Ruthenschröer von den Junglehrern in der Bildungsgewerkschaft VBE spitzt sich der Lehrermangel dramatisch zu. Wenn jetzt erfahrene Lehrkräfte ausfielen, breche das System zusammen, sagte sie im Dlf. Auch die Unterrichtsqualität sei in Gefahr. Zuvor hatte der Lehrerverband Alarm geschlagen.

Kerstin Ruthenschröer im Gespräch mit Kate Maleike |
    Ein Plakat mit der Aufschrift "Ohne Lehrer werden wir leerer" hängt bei einer Demonstration vor dem Thüringer Landtag in Erfurt (Thüringen). Die Demonstration von Landes-Eltern-Vereinigung, Landesschülervertretung, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und dem Thüringer Lehrerverband richtete sich gegen Unterrichtsausfall und Lehrermangel.
    Nach den Sommerferien könnte aufgrund des Lehrermangels an einigen Schulen der Unterricht zusammenbrechen, warnte die Vorsitzende der Junglehrer in der Bildungsgewerkschaft VBE, Kerstin Ruthenschröer, im Dlf (dpa / Martin Schutt)
    Kate Maleike: Der Deutsche Lehrerverband bezweifelt, dass nach den Sommerferien überall ein geordneter Schulbetrieb möglich ist. Das hat Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger jetzt am Wochenende in einem Interview formuliert und gesagt, wir haben massiven Lehrermangel, und das trifft besonders bei Grund-, Förder- und Berufsschulen zu, deshalb helfe es wenig, dass halb fertige Lehramtsstudenten und Quereinsteiger einspringen. Er sagt, es müssten nur Pädagogen wegen Krankheit oder Elternzeit noch ausfallen, dann bräche das ganze Kartenhaus zusammen.
    Kerstin Ruthenschröer ist Bundesvorsitzende der jungen Lehrer in der Bildungsgewerkschaft VBE. Guten Tag, Frau Ruthenschröer!
    Kerstin Ruthenschröer: Hallo!
    Maleike: Hat Herr Meidinger mit seiner Alarmmeldung recht?
    Ruthenschröer: Ja, ich kann das nur bestätigen. Wir haben ja heute Morgen noch in der Presse gehört, dass in Niedersachsen von 2.000 Stellen lediglich 1.600 besetzt werden konnten, und das bestätigt im Prinzip, was der Kollege gesagt hat, dass einfach viele Lehrer fehlen werden, und wenn wir die Seiteneinsteiger oder gar Nichterfüller betrachten, wenn dann die kompetenten Kollegen fehlen, die ausgebildet sind, bricht das ganze System zusammen.
    "Es sind gute Einstellungsmöglicheiten da"
    Maleike: Wir haben diese Meldung ja nicht nur aus Niedersachsen, sondern auch aus anderen Bundesländern. Berlin zum Beispiel hat ja auch gesagt, wir wollen gerne mehr Lehrer, aber wir kriegen das wahrscheinlich so schnell bis zum Beginn des neuen Schuljahres nicht besetzt. Das heißt also Lehrermangel allerorten. Das bedeutet, es sind eigentlich rosige Zeiten für Jungelehrer, oder?
    Ruthenschröer: Das stimmt. Es stimmt tatsächlich, dass natürlich diejenigen, die jetzt gerade fertig werden – das wissen wir auch aus unseren Beratungen –, natürlich eine gute Position haben, um in den Beruf einzusteigen. Es sind gute Einstellungsmöglichkeiten da, die aber auch oft an Bedingungen geknüpft sind, weil wir beispielsweise in Nordrhein-Westfalen die Situation haben, dass Schulen an Brennpunktorten besetzt werden müssen und daher Kollegen, die sich im ländlichen Bereich bewerben, mit einer zweijährigen Abordnung in diese Brennpunktbereiche rechnen müssen, und damit bleiben auch diese Stellen leer.
    Ruthenschröer: Hochschulabsolventen wollen nicht an die Brennpunktschule
    Maleike: Aber genau da werden ja die frischen Kräfte dringend gebraucht. Ist das für Junglehrer nicht attraktiv?
    Ruthenschröer: Nein, es ist nicht attraktiv, auf keinen Fall. Also das zeigt einfach auch, selbst wenn sie nur zwei Jahre dort hinmüssen und dann ihre Wunschschule bekämen, sind sie nicht bereit, in diesen Vertrag dann einzugehen. Attraktivität macht sich halt nicht nur damit bezahlt, dass man dann seine Stammschule oder seine Lieblingsschule, die man gerne hätte, bekäme, auch Zusatzzahlungen und so weiter, haben wir festgestellt, auch in anderen Bundesländern, locken diese Kollegen nicht in die Brennpunktschulen. Die Rahmenbedingungen müssen sich zusätzlich ändern.
    "Wir brauchen multiprofessionelle Teams"
    Maleike: Welche wären das denn, was würde Ihnen vorschweben?
    Ruthenschröer: Also ganz klar ist, wenn wir jetzt noch mal auf den Bereich Brennpunktschulen auch eingehen: Klassengrößen – das bezieht sich auch auf die Inklusion –, wir brauchen multiprofessionelle Teams an Schulen, nicht nur in den Brennpunktschulen, um einfach die Kollegen vor Ort auch zu entlasten. Dazu gehört auch eine Doppeltbesetzung in Klassen, wo Inklusion stattfinden soll.
    Maleike: Sie sind Bundessprecherin, das heißt, Sie müssen eigentlich aus allen Bundesländern Stimmen hören. Was können Sie denn sagen über die Mobilitätsmöglichkeiten, die da sind? Wir haben in den letzten Wochen immer wieder gehört, dass es doch auch wieder einen starken Kampf um die Absolventen gibt zwischen den einzelnen Bundesländern. Was hören Sie von Ihren Junglehrern?
    Ruthenschröer: Das hängt ganz stark davon ab, wo die Junglehrer herkommen. Wenn sie am Rande von Bundesländergrenzen wohnen, ist es tatsächlich so, dass da, ich nenne das mal: Gerangel zwischen den Bundesländern entsteht, weil dann die Kollegen natürlich auch bereit sind, dort hinzugehen, wo Rahmenbedingungen, Besoldung und Arbeitszeiten besser sind.
    "Lehrer bekommenn je nach Land unterschiedliche Angebote"
    Maleike: Und das ist natürlich im Moment, muss man sagen, nicht überall der Fall. Wir haben ja auch die Situation, dass verbeamtet wird und angestellt wird. Das sind auch Kriterien, die für Sie ganz wichtig sind. Heißt also, dieser heterogene Lehrerarbeitsmarkt, der sich ja zuspitzt gerade, der ist für Sie ein Problem?
    Ruthenschröer: Ja, auf jeden Fall. Der Lehrermangel spitzt sich zu, und auch was das angeht, diese unterschiedlichen Einstellungsmöglichkeiten und Rahmenbedingungen. Es spitzt sich in der Hinsicht zu, dass die Kollegen in den unterschiedlichen Bundesländern auch unterschiedliche Angebote bekommen.
    Maleike: Sind denn die Junglehrer mobil genug?
    Ruthenschröer: Jain. Also man muss ja einfach das so betrachten, dass nach dem Studium und auch nach dem Referendariat die Mobilität dahingehend eingeschränkt ist, dass viele natürlich schon in familiären Situationen sich gefestigt haben an dem Wohnort, wo sie sind. Kollegen und Kolleginnen, die im Grenzgebiet wohnen zu anderen Bundesländern, sind aber auf jeden Fall mobil, solange Kinder auch nicht dabei sind. Wenn wieder Kinder in den Familien aufwachsen, ist natürlich die Feriensituation auch eine Mobilitätsschranke, weil man muss natürlich dann auch sehen, wie ist das mit der Kinderbetreuung in den Ferien.
    "KMK-Prognosen waren viel zu lange veraltet"
    Maleike: Was wünschen Sie sich denn jetzt von der Politik, damit die Situation sich verbessert? Backen kann die Politik ja keine Lehrer.
    Ruthenschröer: Nein, das ist richtig. Es ist ja einfach so, dass die KMK-Prognosen einfach viel zu lange veraltet waren. Die wurden ja jetzt im Mai erst angepasst an den steigenden Geburtszahlen und auch an den Migrationszahlen, die dann in den letzten Jahren dazugekommen sind. Der Mangel ist da, der lässt sich nicht von jetzt auf gleich abwenden, die Möglichkeit, zunächst über Seiteneinsteiger an die Situation ranzugehen, ist natürlich eine Ad-hoc-Situation.
    Wir werten das auch nicht ab, wir möchten einfach, dass sie vorqualifiziert werden, weil Herr Beckmann hat zum Beispiel gut gesagt, Busfahrer werden auch nicht einfach als Piloten eingesetzt und dann werden sie schon fliegend weiter ausgebildet.
    Ich glaube, die Problematik ist einfach, dass wir jetzt im Hinblick auf diesen Mangel nicht die Qualität verlieren dürfen. Es darf nicht zur Quantität von Seiteneinsteigern kommen, und die Qualität bleibt dann letztendlich dabei auf der Strecke.
    Verbindung zwischen Krankheit und Lehrermangel
    Maleike: Sie sind Lehrerin in Nordrhein-Westfalen. Dieses Bundesland geht erst Mitte Juli in die Sommerferien. Mit welchem Gefühl gehen Sie dann in die Sommerferien?
    Ruthenschröer: Mit sehr gemischten Gefühlen. Zum einen wünsche ich den Kollegen natürlich eine gute Erholungszeit, die sie dringend brauchen. Wir merken das auch hier gerade auch auf dem Land, dass der Lehrermangel sehr enorm ist, auch durch Krankheit. Krankheit kommt natürlich auch davon, dass es durch den Lehrermangel eine hohe Belastung für die Kollegen ist, die noch vor Ort sind. Ich wünsche den Kollegen viel Erholung, und ich weiß aber leider, dass die Situation sich nach den Ferien nicht verbessern wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.