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Lehrstellenmarkt
"Wir haben sehr große Qualitätsprobleme"

In Deutschland sind in diesem Jahr noch viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Manuela Conte, Bundesjugendsekretärin beim DGB, sieht unter anderem die Betriebe in der Pflicht, die Qualität und Vergütung zu verbessern, um für potenzielle Auszubildende attraktiver zu werden.

Manuela Conte im Gespräch mit Kate Maleike |
    Eine Kellnerin trägt ein Tablett mit mehreren Gerichten.
    "Wir haben sehr große Qualitätsprobleme, was die Ausbildungen angeht", sagt Manuela Conte vom DGB (dpa / picture alliance)
    Kate Maleike: Metzger kämpfen um jeden Azubi, Unternehmen bemühen sich dann auch, Lehrstellenbewerber mit Wissenslücken, sagen wir mal: für eine Ausbildung fit zu machen. Das sind Aussagen vom deutschen Ausbildungsmarkt, die wir vorhin gehört haben, Stand Juli 2017. Manuela Conte ist beim Deutschen Gewerkschaftsbund Bundesjugendsekretärin, also für den Ausbildungsbereich zuständig, und der DGB gibt auch regelmäßig einen Ausbildungsreport heraus. Guten Tag, Frau Conte!
    Manuela Conte: Guten Tag!
    Maleike: Das neue Ausbildungsjahr steht vor der Tür. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage auf dem Lehrstellenmarkt derzeit ein?
    Conte: Die aktuelle Lage ist regional sehr unterschiedlich. Insgesamt fehlen betriebliche Ausbildungsplätze. Wir haben rein rechnerisch noch über 122.000 Ausbildungsplätze, die fehlen, um alle bei der BA gemeldeten BewerberInnen zu versorgen.
    Maleike: Wenn man sich auf die Seite des DIHK, also des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, begibt, dann sieht man heute aktuell über 50.000 Lehrstellen, die noch unbesetzt sind. Wir haben aber trotzdem ja auch immer wieder die Meldung, dass wir sehr viele Jugendliche haben, die keine Lehrstelle finden. Wie passt dieses von den Experten genannte Mismatching zusammen eigentlich für Sie, und wie lässt sich das mal ändern?
    "Zwei Drittel aller IHK-Berufe sind nicht mehr für Hauptschüler zugänglich"
    Conte: Ja, Betriebe müssen mehr tun, um für die Auszubildenden oder potenziellen Auszubildenden attraktiver zu sein, gerade jetzt in der Endphase des Bewerbungsjahres. Das heißt zum einen – wir haben es eben in dem Beitrag gehört – durch die Vergütung. Wir haben gute Tarifverträge und auch Tarifverträge, die die Mobilität von jungen Menschen unterstützen, zum Beispiel durch Azubi-Tickets oder durch Unterstützung bei der Beschaffung von Lehr- und Lernmitteln. Wir haben die Situation, dass Betriebe ganz oft nur regional begrenzt suchen nach Auszubildenden und eine Art Bestenauslese betreiben. Das heißt, zwei Drittel aller IHK-Berufe sind nicht mehr für Hauptschüler zugänglich.
    Maleike: Das heißt, die Unternehmen gucken eigentlich falsch und nehmen lieber, so wie in dem Beispiel, was wir hier gerade gehört haben, die Abiturienten?
    Conte: Genau. Sie machen eine Bestenauslese. Auch mit den gestiegenen Anforderungen an die Auszubildenden begründet, anstatt sich der Werkzeuge zu bedienen, die es gibt. Es gibt tarifliche Möglichkeiten, Jugendliche, die ein bisschen mehr Unterstützung brauchen, die Ausbildung zu verlängern, und es gibt ja auch seit 2015 die assistierte Ausbildung, die das Mittel der Wahl ist, einfach um da zu unterstützen, und es gibt viele ausbildungsbegleitende Hilfe, die mehr genutzt werden können.
    Maleike: Sie führen ja regelmäßig Befragungen durch und erstellen – das habe ich schon gesagt – den Ausbildungsreport. Was, würden Sie denn sagen, sind zurzeit die größten Probleme auf dem deutschen Ausbildungsmarkt?
    Conte: Wir haben sehr große Qualitätsprobleme, was die Ausbildungen angeht. Das sieht man an den hohen Abbrecherquoten, gerade in den Branchen, wo bekannt ist, dass die Ausbildungsqualität sehr starke Defizite hat und wo es zu sehr starken psychischen Belastungen kommt, wo Jugendliche ausgebeutet werden und Arbeitsplätze ersetzen.
    Schlechte Bedingungen im Hotel- und Gaststättenbereich
    Maleike: Damit meinen Sie den Hotel- und Gaststättenbereich.
    Conte: Als ein Beispiel.
    Maleike: Ja, welche sind das noch?
    Conte: Also es gibt noch unterschiedliche Branchen, wo das berichtet wird. Das ist Hotel-, Gaststätten und im Friseurhandwerk.
    Maleike: Gerade die Handwerksberufe, das haben wir ja an dem Beispiel des Metzgers gehört, die leiden auch zum Teil ja nicht nur diesem schlechten Image oder eben vielleicht auch darunter, dass sie schwarze Schafe sind. Also man muss ja immer sagen, es gibt auch im Hotel- und Gaststättenbereich sicherlich gute Ausbildungsbetriebe, aber man stellt ja auch fest, dass die Jugendlichen tatsächlich sich eigentlich nur für einen bestimmtes Spektrum von Ausbildungsberufen in den letzten Jahren speziell entschieden haben. Wir haben also 500 Ausbildungsberufe oder sogar noch mehr, und die meisten Jugendlichen entscheiden sich nur für zehn ungefähr und in der Hauptsache für kaufmännische Berufe oder Mechatroniker. Müssten die Jugendlichen nicht selbst auch vielleicht ein bisschen variabler sein bei der Auswahl ihres Berufes?
    Conte: Prinzipiell haben ja auch Jugendliche die freie Berufswahl, und es kommt halt auch darauf an, wie bekannt Ausbildungsberufe sind und was für ein Image ihnen nachhängt, und da fehlt es an einer besseren Orientierung. Was für Möglichkeiten gibt es, was für Unterstützungen gibt es, und wo kann ich es mir auch überhaupt leisten, eine Ausbildung zu machen. Wir haben viele Beispiele: Beim Koch, wo die Lern- und Lehrmittel einfach wahnsinnig teuer sind, wo eine hohe Mobilität erwartet wird. Wenn der Ausbildungsberuf vielleicht nicht da zur Verfügung steht, wo ich wohne, dann muss ich umziehen, dann muss ich die Fahrten bezahlen zum Ausbildungsbetrieb, aber gegebenenfalls auch zur Berufsschule.
    "Die Orientierung und die Informationen zu den Berufen müsste besser sein"
    Maleike: Aber wenn jetzt, sagen wir mal, bestimmte Bereiche überhaupt keine Azubis finden über Jahre hinweg, werden diese Betriebe – und das passiert ja auch schon – irgendwann sagen, dann bilde ich gar nicht mehr aus. Also müsste man dann einfach besser zueinander finden. Welche Idee haben Sie als Bundesjugendsekretärin dafür?
    Conte: Um besser zueinander zu finden, würde ich sagen, muss zum einen die Attraktivität gesteigert werden, die Qualität verbessert werden, die Orientierung und die Informationen zu den Berufen müsste besser sein, und auch die Betriebe müssten mehr betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.
    Maleike: Sie denken, dass die Unternehmen in der Hauptsache in der Pflicht sind?
    Conte: Die Unternehmen, aber auch die Politik, indem sie eine anständige Orientierung oder eine bessere Orientierungsphase für die Jugendlichen bereitstellt.
    Maleike: Und die Jugendlichen selbst?
    Conte: Die Jugendlichen selbst sind schon sehr flexibel und sehr motiviert, einen Ausbildungsplatz zu finden. Alle Jugendlichen haben ein Interesse da dran, sich eine Existenz aufzubauen. Die Frage ist, welche Möglichkeiten und welche Chancen werden ihnen gegeben.
    Maleike: Manuela Conte war das in "Campus und Karriere". Sie ist beim Deutschen Gewerkschaftsbund als Bundesjugendsekretärin zuständig für den Bereich Ausbildungsqualität. Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.