Was geschieht, wenn die kleine Alltagswirklichkeit mit der großen Liebeserwartung konfrontiert wird, die jeder von uns in sich trägt. Der Autor und Regisseur Joël Pommerat versammelt eine Vielzahl kleiner Szenen, um diese Frage aus den verschiedensten Blickwinkeln zu beleuchten und kommt, um das gleich vorweg zunehmen, zu einem katastrophalen Ergebnis: Aus der Sicht unseres Herzens, unserer ureigensten Wünsche und Begierden sind die realen Verhältnisse zwischen den Menschen unhaltbar.
Auf die lange schmale Spielfläche, die zwischen zwei Zuschauerrängen liegt, tritt gleich zu Beginn eine unscheinbare Frau ins fahle Licht und spricht mit einer Stimme aus dem Off: Diese kommt von einer Scheidungsanwältin, die die Frau über ihre 20-jährige Ehe befragt. Alles ist gut, der Mann ein netter Kerl, die Interessen gleichlaufend, drei erwachsene Kinder gibt es auch, aber "Da ist keine Liebe":
"Pourquoi voulez vous divorcer?"
"Il n'y a pas d'amour entre nous."
"Mais au moment ou vous vous êtes mariés est-ce que cela a toujours été pareil?"
"Toujours pareil."
"Et maintenant que vos enfants ont leurs vies à eux, vous devriez partir, c'est ca?"
"Mon mari est quelqu'un de très bien, je n'ai aucune reproche à lui faire."
Da bevorzugt eine Frau die Einsamkeit dem Zustand des behaglichen Lebens ohne Liebe und folgt einem Ideal, von dem sie vermutet, dass es wohl eine Utopie bleiben wird. Immer wieder hat Pommerat seine Beispielmenschen mit ihren individuellen Träumen in exemplarische Kämpfe mit den herrschenden Verhältnissen gestellt. Nun aber, nach der Erkundung der Geschäfts- und Arbeitswelt in früheren Stücken geht es ausschließlich um das Lieben und Begehren, für das immer schon eine besondere Form der Ökonomie gegolten hat. Da hat ein Mann seit Jahren eine Beziehung zu einer Prostituierten, die schon seit vielen Monaten kein Geld mehr für ihre Dienste annehmen und ihn jetzt, wo er eine andere Frau kennengelernt hat, nicht verlieren will. Er will sich mit Geld freikaufen, aber das lehnt sie ab. An jedem Werktag solle er abends zu ihr kommen, um bis 22 Uhr das Abendessen mit ihr zu teilen. Für sie ist Zeit die Währung der Liebe, Nähe ihre Substanz.
Besonders eindringlich ist der sich langsam steigernde Streit eines Lehrers mit den Eltern eines fragilen Jungen, den er bei einem Klassenausflug in seinem Zimmer hat schlafen lassen, um ihn vor seinen gehässigen Klassenkameraden zu schützen. Er muss sich des Vorwurfs der Pädophilie erwehren, aber er tut es nicht mit der herablassenden Distanz des erfahrenen Pädagogen, sondern mit der emphatischen Verve eines Menschen, der zugibt, ja für sich in Anspruch nimmt, seine Schüler, und besonders diesen zu lieben, ohne ihn jedoch zu missbrauchen.
Klar wird hier die emotionale Distanziertheit der Eltern, deren Folge die soziale Schwäche ihres Kindes ist. Ihre Wut auf den Lehrer erklärt sich eben gerade daraus, dass er mit seinem Verhalten ihre Lieblosigkeit erst kenntlich gemacht hat. Der Pädagoge durchbricht so exemplarisch eine durch und durch verwaltete, und von einem Heer von Rechtsanwälten aufrecht erhaltene Kälte zwischen den Menschen.
Zweimal dringt in die Kämpfe der Menschen in Form einer Sängerin im Glitterkleid das Showbiz, das Kabarett ein. Musik als Trost in der das Gefühl wenigstens in Form des Klischees überlebt. Immer argumentiert in den unverbundenen Szenen – viele von ihnen sind Dialoge – einer der Akteure mit einem unbedingten, unkorrumpierten Gefühl, der andere mit der Macht der Konventionen und Vereinbarungen.
Diese so entstehenden unwahrscheinlichen Versuchsanordnungen in zwischenmenschlichen Verhältnissen gipfeln mitunter in Hass, in handfester Gewalt. Von Schnitzler, insbesondere dem "Reigen" und einer Novelle, von Tschechow, insbesondere den Einaktern und von Ingmar Bergmanns "Szenen einer Ehe" hat sich Pommerat inspirieren lassen für dieses Mosaik, dessen rätselhafter, wie eine poetische Analogie anmutender Titel "La Réunification des deux Corées" auch als geheimes Programm verstanden werden kann: Zwischen zwei Menschen ist die Liebe ungefähr so wahrscheinlich wie die Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea. Pommerats geistreiche Erfindungen von Situationen, seine immer wieder bizarren Argumentationen reizen mitunter zum Lachen. Es sind kleine Lehrstücke in Liebesdingen, die in griffigem Alltagsfranzösisch unverschnörkelt ins Herz der Einsamkeit führen.
Auf die lange schmale Spielfläche, die zwischen zwei Zuschauerrängen liegt, tritt gleich zu Beginn eine unscheinbare Frau ins fahle Licht und spricht mit einer Stimme aus dem Off: Diese kommt von einer Scheidungsanwältin, die die Frau über ihre 20-jährige Ehe befragt. Alles ist gut, der Mann ein netter Kerl, die Interessen gleichlaufend, drei erwachsene Kinder gibt es auch, aber "Da ist keine Liebe":
"Pourquoi voulez vous divorcer?"
"Il n'y a pas d'amour entre nous."
"Mais au moment ou vous vous êtes mariés est-ce que cela a toujours été pareil?"
"Toujours pareil."
"Et maintenant que vos enfants ont leurs vies à eux, vous devriez partir, c'est ca?"
"Mon mari est quelqu'un de très bien, je n'ai aucune reproche à lui faire."
Da bevorzugt eine Frau die Einsamkeit dem Zustand des behaglichen Lebens ohne Liebe und folgt einem Ideal, von dem sie vermutet, dass es wohl eine Utopie bleiben wird. Immer wieder hat Pommerat seine Beispielmenschen mit ihren individuellen Träumen in exemplarische Kämpfe mit den herrschenden Verhältnissen gestellt. Nun aber, nach der Erkundung der Geschäfts- und Arbeitswelt in früheren Stücken geht es ausschließlich um das Lieben und Begehren, für das immer schon eine besondere Form der Ökonomie gegolten hat. Da hat ein Mann seit Jahren eine Beziehung zu einer Prostituierten, die schon seit vielen Monaten kein Geld mehr für ihre Dienste annehmen und ihn jetzt, wo er eine andere Frau kennengelernt hat, nicht verlieren will. Er will sich mit Geld freikaufen, aber das lehnt sie ab. An jedem Werktag solle er abends zu ihr kommen, um bis 22 Uhr das Abendessen mit ihr zu teilen. Für sie ist Zeit die Währung der Liebe, Nähe ihre Substanz.
Besonders eindringlich ist der sich langsam steigernde Streit eines Lehrers mit den Eltern eines fragilen Jungen, den er bei einem Klassenausflug in seinem Zimmer hat schlafen lassen, um ihn vor seinen gehässigen Klassenkameraden zu schützen. Er muss sich des Vorwurfs der Pädophilie erwehren, aber er tut es nicht mit der herablassenden Distanz des erfahrenen Pädagogen, sondern mit der emphatischen Verve eines Menschen, der zugibt, ja für sich in Anspruch nimmt, seine Schüler, und besonders diesen zu lieben, ohne ihn jedoch zu missbrauchen.
Klar wird hier die emotionale Distanziertheit der Eltern, deren Folge die soziale Schwäche ihres Kindes ist. Ihre Wut auf den Lehrer erklärt sich eben gerade daraus, dass er mit seinem Verhalten ihre Lieblosigkeit erst kenntlich gemacht hat. Der Pädagoge durchbricht so exemplarisch eine durch und durch verwaltete, und von einem Heer von Rechtsanwälten aufrecht erhaltene Kälte zwischen den Menschen.
Zweimal dringt in die Kämpfe der Menschen in Form einer Sängerin im Glitterkleid das Showbiz, das Kabarett ein. Musik als Trost in der das Gefühl wenigstens in Form des Klischees überlebt. Immer argumentiert in den unverbundenen Szenen – viele von ihnen sind Dialoge – einer der Akteure mit einem unbedingten, unkorrumpierten Gefühl, der andere mit der Macht der Konventionen und Vereinbarungen.
Diese so entstehenden unwahrscheinlichen Versuchsanordnungen in zwischenmenschlichen Verhältnissen gipfeln mitunter in Hass, in handfester Gewalt. Von Schnitzler, insbesondere dem "Reigen" und einer Novelle, von Tschechow, insbesondere den Einaktern und von Ingmar Bergmanns "Szenen einer Ehe" hat sich Pommerat inspirieren lassen für dieses Mosaik, dessen rätselhafter, wie eine poetische Analogie anmutender Titel "La Réunification des deux Corées" auch als geheimes Programm verstanden werden kann: Zwischen zwei Menschen ist die Liebe ungefähr so wahrscheinlich wie die Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea. Pommerats geistreiche Erfindungen von Situationen, seine immer wieder bizarren Argumentationen reizen mitunter zum Lachen. Es sind kleine Lehrstücke in Liebesdingen, die in griffigem Alltagsfranzösisch unverschnörkelt ins Herz der Einsamkeit führen.