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Leib und Leben
Das Judentum und der Sport

Juden seien durchgeistigt und unsportlich. Das dachten viele Menschen vor hundert Jahren. Dem setzte der Arzt und Rabbinersohn Max Nordau das Bild des Muskeljuden entgegen, um so körperliche Fitness zu fördern. Und heute? Warum läuft ein Rabbiner Marathon, warum lernen Kinder Kampfsportarten?

Von Tobias Kühn |
    Berlin, Deutschland: 1936 Die polnische und jüdische Sportlerin Hedwiga Wajsowna wirft den Diskus bei den Olympischen Spielen 1936. Sie gewann die Silbermedaille.
    Berlin 1936: Die polnische und jüdische Sportlerin Hedwiga Wajsowna gewinnt bei den Olympischen Spielen die Silbermedaille (imago stock&people)
    Dienstagabend in der Turnhalle einer Berliner jüdischen Gemeinde: Zwei zehnjährige Jungen in Kampfsportkleidung ringen auf einer blauen Matte. Der Trainer hockt am Rand und gibt Anweisungen. Nachdem der kurze Kampf zu Ende ist, fangen zwei andere Jungen an, miteinander zu kämpfen. Was die Kinder trainieren, ist eine Mischung aus Ninjutsu und Kraw Maga. Jede Woche kommen sie zum Sport ins jüdische Gemeindezentrum.
    Sport und Judentum? Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren dies zwei Begriffe, die nicht so recht zusammenpassten. Verbreitet war das Bild, Juden seien durchgeistigt, körperlich schwach, unsportlich. Das mag in vielen Fällen eine antisemitische Zuschreibung gewesen sein. Doch lange Zeit entsprach das Bild des blassen, Talmud lernenden Mannes durchaus dem jüdischen Ideal, sagt Professor Robert Jütte. Er ist Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin in Stuttgart. Er hat das Konzept von Leib und Leben im Judentum wissenschaftlich durchleuchtet:
    "Die innerjüdische Sicht ist weniger auf den Körper als auf den Geist gerichtet. Das führt dazu, dass zum Beispiel im Jiddischen ein "schejner Jid" nicht derjenige ist, der einen schönen, gesunden Körper hat, sondern vergeistigt ist, sich dem Torastudium widmet und das zum Inhalt seines Lebens macht."
    "... dem schlaffen jüdischen Leib Spannkraft geben ... "
    Diesem Ideal des intellektuell orientierten Juden setzte der Arzt Max Nordau das Bild des sogenannten Muskeljuden entgegen. Das war Ende des 19. Jahrhunderts. In Österreich als Sohn eines Rabbiners geboren lebte Nordau überwiegend in Paris und rief dazu auf, die körperliche Fitness der Juden durch Turnen zu fördern – um, wie er sagte: "dem schlaffen jüdischen Leib die verlorene Spannkraft wiederzugeben".
    Max Simon Nordau (1849 - 1923), Zionistenführer, Arzt, Autor und Gesellschaftskritiker. Mitbegründer der Zionistischen Weltorganisation zusammen mit Theodor Herzl
    Max Simon Nordau (1849 - 1923), Zionistenführer, Arzt, Autor und Gesellschaftskritiker, prägte den Begriff des "Muskeljuden" (imago stock&people)
    Nordau hoffte, so dem wachsenden Antisemitismus etwas entgegensetzen und durch Sport das Selbstbewusstsein und das Nationalgefühl der Juden zu stärken.
    Max Nordau gehörte zu den führenden Zionisten seiner Zeit. Er wollte mit seinem Aufruf dazu beitragen, im Nahen Osten eine sichere Heimstätte für Juden zu schaffen. Beim Aufbau des alten neuen Landes brauche es kräftige Menschen.
    Die Debatte um mehr Sport im Judentum führte in Europa zur Gründung vieler jüdischer Turnvereine. Der erste im deutschen Kaiserreich war der Sportverein "Bar Kochba Berlin". Er ist nach Schimon Bar Kochba benannt, dem Anführer eines jüdischen Aufstands gegen die Römer im 2. Jahrhundert in Judäa.
    Bar Kochba gilt in der jüdischen Tradition als ein überaus starker Mann. Er konnte sich durchsetzen, mental und physisch. Doch ein Sportler im klassischen Sinne war Schimon Bar Kochba sicher nicht. Das antike Judentum stand Sportwettkämpfen äußerst skeptisch gegenüber. Denn in der Antike war Sport oft mit heidnischen Kulten verbunden.
    Sport - eine nichtjüdische Sitte
    "Das wissen wir aus dem Talmud, dass die Besuche von Wettkämpfen jeglicher Art verboten waren für Juden, weil sie Awoda sara, also Götzendienst, waren." Sagt Professor Robert Jütte.
    Im antiken Judentum galt Sport als eine nichtjüdische Sitte, von der Juden sich fernhalten sollten. Bei römischen Sportwettkämpfen standen oft Gewalt und Schauspiel im Vordergrund. Griechische Wettkämpfe wiederum waren rituelle Handlungen, gewidmet den verschiedenen Göttern – ein Unding für das monotheistische Judentum, das nur den einen Gott verehrt, der Himmel und Erde erschaffen hat.
    Im antiken Hellas kam hinzu, dass die Sportler bei Wettkämpfen nackt antraten. Die alten Griechen beteten den vollkommenen Körper an und vergötterten seine Schönheit. Griechische Sportler wurden im Gymnasion ausgebildet. Der Schüler sollte auch – gleichsam als Gesamtkonzept – geistig reifen.
    Von dem amerikanischen Historiker Max Isaac Dimont ist der Satz überliefert:
    "Die Griechen glaubten an die Heiligkeit der Schönheit – die Juden an die Schönheit der Heiligkeit."
    Fremden Göttern zu huldigen und den menschlichen Körper anzubeten, ist im Judentum absolut verboten. Götzendienst gilt als gravierender Verstoß gegen eines der wichtigsten Gebote der Bibel. Dort heißt es im 2. Buch Mose:
    "Du sollst neben Mir keine anderen Götter haben."
    Geistige Ertüchtigung
    Aufgrund dieses Götzenverbots haben sich Juden über Jahrhunderte hinweg weniger der körperlichen als vielmehr der geistigen Ertüchtigung gewidmet. Diese galt als höherwertig.
    Der Psychoanalytiker Sigmund Freud schrieb Ende der 1930er-Jahre:
    "Der Vorrang, der durch etwa 2000 Jahre im Leben des jüdischen Volkes geistigen Bestrebungen eingeräumt war, hat natürlich seine Wirkung getan. Er half, die Rohheit und die Neigung zur Gewalttat einzudämmen, die sich einzustellen pflegen, wo die Entwicklung der Muskelkraft Volksideal ist. Die Harmonie in der Ausbildung geistiger und körperlicher Tätigkeit, wie das griechische Volk es erreichte, blieb den Juden versagt. Im Zwiespalt trafen sie wenigstens die Entscheidungen für das Höherwertige."
    Auch wenn das Judentum vom heidnischen Muskelkult nichts hielt, gab es im Laufe der langen jüdischen Geschichte doch so manche Begebenheit, die mit dem, was wir heute Sport nennen, durchaus etwas zu tun hatte.
    Sportlicher Wettkampf schon in der Bibel
    Das erste Ereignis dieser Art in der jüdischen Überlieferung war ein nächtlicher Ringkampf, den der israelitische Erzvater Jakob führte. In der Nacht, bevor er nach vielen Jahren erstmals seinen Bruder Esau wiedersah, wurde er am Fluss Jabbok von einem Mann angegriffen. Die ganze Nacht hindurch rangen die beiden Männer miteinander. Die Tora berichtet davon im 1. Buch Mose:
    "Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als jener merkte, dass Jakob sich nicht niederringen ließ, schlug er ihn auf dessen Hüftgelenk, sodass es sich ausrenkte. Und der Mann sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht – es sei denn, du segnest mich. Da sprach der Mann: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Daraufhin sagte der Mann: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft – und hast gesiegt."
    Eine der zentralen Geschichten der Bibel erzählt also von einem sportlichen Wettkampf.
    Eine weitere biblische Erzählung, die um den Kampf zweier Männer kreist, findet sich im ersten Buch Samuel. Es ist die Geschichte vom Kampf zwischen dem kaum bewaffneten Hirtenjungen David und dem riesigen Philister-Soldaten Goliath.
    "Als Goliath David sah, verachtete er ihn; denn er war noch ein Knabe, bräunlich und schön. Doch als sich nun Goliath aufmachte und daherging und sich David nahte, da eilte David und lief auf das Heer zu, Goliath entgegen. Und David holte aus seiner Tasche einen Stein heraus und schleuderte und traf Goliath an der Stirn, dass der Stein in seine Stirn fuhr und Goliath zur Erde fiel auf sein Angesicht."
    Orthodoxer Rabbiner läuft Marathon
    Und heute? Der orthodoxe Berliner Rabbiner Shlomo Afanasev nimmt durchaus an Wettkämpfen teil: Er läuft Marathon und will damit beweisen, dass das heutige Judentum, selbst das orthodoxe, dem Sport durchaus etwas abgewinnen kann. Der gebürtige Usbeke hat vor vier Jahren mit dem Laufen angefangen. Inzwischen trainiert er dreimal in der Woche. Ursprünglich wollte er nur abnehmen:
    "Ich sitze sehr viel. Ich muss viel unterrichten, viel lernen und viel studieren die ganze Zeit, und auch Gemeindearbeit, ganz viel sitzen. Und koscheres Essen ist nicht immer ganz gesund. Es ist auch nicht ungesund, aber es ist lecker, und man isst viel, besonders an Feiertagen und am Schabbat. Und da habe ich wieder und wieder zugenommen – und dann wollte ich irgendwann abnehmen. Aber danach habe ich gemerkt, dass es Spaß macht, und man könnte besser werden. Man hat Ziele, die man erreichen möchte, man möchte schneller werden: Halbmarathon in 90 Minuten, Halbmarathon in weniger als 90 Minuten und so weiter."
    Den ersten Marathon lief Rabbi Afanasev vor zwei Jahren in Berlin.
    "Das war wahrscheinlich mein schönster Lauf, mein schönster Wettkampf. Die Stimmung war einfach super toll in Berlin. Den ganzen Weg stehen Leute und feuern an und geben ganz viel Support. Das war sehr toll, und auch mein Ergebnis für den ersten Wettkampf war sehr gut. Ich habe am Anfang unter 3:30 trainiert, und dann habe ich mir gedacht, vielleicht kann ich es schneller machen, ich versuche 3:15. Am Ende war es 3:18 – was immer noch ganz gut für den ersten offiziellen Marathon war."
    Doch: Sagten die Weisen des Talmuds nicht, fromme Juden sollen Sportwettkämpfe meiden?
    Sport darf nicht zum Kult werden
    "Solange man daraus keinen Kult macht, finde ich, ist es gar kein Problem, das zu machen, für alle. Es gibt diejenigen, die jeden Tag laufen, und die jede Woche ein neues Paar Laufschuhe und Laufkleidung kaufen, und die wollen alle möglichen Wettkämpfe – wenn das die Hauptsache des Lebens wird, dann ist es schon ein bisschen bedenklich, würde ich sagen. Denn es gibt Familie, es gibt viele Sachen außer Laufen in unserem Leben, die wir machen sollen, und mit welchen wir uns beschäftigen müssen. Insbesondere Rabbiner und religiöse Juden, die müssen Tora lernen, die müssen Zeit haben, um verschiedene Mizwot zu halten, Feiertage, Familie, anderen helfen. Und wenn man Laufen zum Hauptzweck des Lebens macht, bleibt einem keine Zeit."
    Der Sport darf also nicht zum Kult werden. Die meisten orthodoxen Rabbiner haben heute nichts mehr dagegen, wenn jüdische Athleten an Sportwettkämpfen teilnehmen, auch an Olympischen Spielen. Denn anders als in der Antike werden die Wettkämpfe nicht mehr zu Ehren der griechischen Götter ausgetragen, sind also kein Götzendienst mehr.
    "Bei Olympischen Spielen, wenn man darin gut ist und sein Land repräsentieren kann, insbesondere wenn man für Israel dort ist oder, sagen wir mal für Deutschland, aber als jüdischer Athlet, und man kann anderen zeigen, dass Juden ganz normal dabei sein können, ganz gute Leistungen schaffen und immer noch jüdisch leben – ich glaube: Man müsste es dann sogar machen."
    Der Marathon laufende Rabbiner Shlomo Afanasev steht dem Wettkampfgedanken auch grundsätzlich positiv gegenüber.
    "Ich glaube, alles was mit Wettkampf zu tun hat, ist schon ein bisschen jüdisch. Man will sich immer verbessern und entwickeln. Und das ist halt die Hauptsache beim Laufen. Dieser Trieb, sich immer zu verbessern und zu entwickeln und gegen sich selbst zu kämpfen – nicht gegen andere! – das finde ich sehr jüdisch."
    "Nichts ist besser für den Menschen als körperliche Betätigung"
    Aus halachischer, also religionsgesetzlicher Sicht, geht es beim Sport nicht um Wettkampf, sondern darum, den Körper gesund zu halten. Denn er ist das Gefäß der Seele, und die gehört Gott, dem Ewigen. Um die Tora zu studieren und um Gott zu dienen, braucht der Mensch einen gesunden Körper.
    Deshalb legte schon Maimonides, der bekannte jüdische Gelehrte und Arzt Rabbi Mosche ben Maimon, seinen Zeitgenossen im 12. Jahrhundert immer wieder ans Herz, sich regelmäßig zu bewegen.
    Eine Statue des Gelehrten Mosche Ben Maimon, genannt Maimonides oder auch Rambam in Córdoba (Spanien)
    Statue des Gelehrten Mosche Ben Maimon, genannt Maimonides oder auch Rambam, in Córdoba (Spanien) (Imago / Leemage)
    "Solange sich der Mensch körperlich betätigt, nie so viel speist, dass er ganz voll ist, und seinen Darm weich hält, wird keine Krankheit über ihn kommen, und seine Kraft wird zunehmen. Doch wer viel sitzt und keine Übungen macht, dessen Tage werden, selbst wenn er gute Nahrung zu sich nimmt und sich auch sonst um seine Gesundheit kümmert, voller Schmerzen sein, und seine Kraft wird schwinden."
    Maimonides wunderte sich darüber, wie viel die Menschen über ihre Reittiere nachdenken – diese sollen ja nicht krank werden. Wenn die Menschen nur auch über sich selbst so viel nachdächten!
    "Bei seinem Tier achtet der Mensch genau darauf, wie viel Bewegung es braucht, um fit zu bleiben und nicht krank zu werden. Aber er überträgt dies nicht auf seinen eigenen Körper und denkt nur wenig darüber nach, dass er sich genug bewegt, obwohl das doch der Schlüssel zur Gesundheit und zum Vermeiden der meisten Krankheiten ist! Nichts ist besser für den Menschen als körperliche Betätigung und Bewegung."
    Doch nicht jede Art von Bewegung ist gut. Sportarten, die das eigene Leben und das Leben anderer gefährden, sind gemäß der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, nicht erlaubt.
    Orthodoxe Boxer
    Dazu der Stuttgarter Medizinhistoriker Robert Jütte: "Halachisch bedenkliche Sportarten sind zum Beispiel all diejenigen, bei denen Blutvergießen eine Rolle spielt: Also Stierkampf – wenn man das überhaupt als Sport bezeichnen kann – wäre zum Beispiel verboten, aber auch solche Sportarten, die mit hohen Risiken behaftet sind, also Formel 1 oder Bungy-Springen oder was auch immer – also da, wo man Leib und Leben riskiert, das man ja nicht selbst in der Hand hat, sondern Gott gegeben hat, das wäre verboten. Und ansonsten gibt es aber eine ganze Bandbreite, was erlaubt ist. Und dazu gehört auch Boxen – vorausgesetzt, man boxt nicht mit offenen Fäusten, also man schützt sich selbst und den anderen. Und es gibt auch orthodoxe Boxer, die am Schabbat nicht boxen und sich an alle Gesetze halten, aber der Leidenschaft für den Boxsport frönen."
    Einer der bekanntesten jüdischen Boxer heute ist Yuri Forman. Er lebt in New York und wurde 2009 Weltmeister in seiner Gewichtsklasse. Vor einigen Jahren spürte er eine innere Leere und wandte sich der Spiritualität des Judentums zu: Er begann, Talmud zu lernen, und tat es bald mit dem Eifer eines Leistungssportlers. Er war ständig bestrebt, besser zu werden, und wollte immer mehr. So ließ er sich schließlich zum Rabbiner ausbilden – doch er boxt bis heute. In einem Zeitungsinterview sagte er vor einigen Jahren:
    "Rabbinatsstudent und Profiboxer zu sein, passt gut zusammen. Morgens studiere ich die Tora, und nachmittags gehe ich zum Training. Das Boxen macht mich zu einem besseren Juden, und mein Judentum macht mich zu einem besseren Boxer. Das Judentum hilft mir, mich beim Sport zu konzentrieren, zu mir zu finden."
    Doch ziemt es sich für einen Rabbiner, seinen Gegner kampfunfähig zu schlagen?
    "Wo liegt da der Widerspruch? Ich schlage ja nicht wild um mich, sondern betreibe meinen Sport sehr ernsthaft."
    Eine in jüdischen Augen problematische Sportart ist das Jagen. Ein gejagtes Tier kann man nicht essen, es ist nicht koscher. Nur Tiere, die geschächtet, also rituell geschlachtet wurden, sind zum Verzehr geeignet. Und einem Tier, wenn man es nicht essen kann, einfach so, zum Spaß, Schmerz zuzufügen, ist im Judentum verboten.
    Im 18. Jahrhundert fragte ein reicher jüdischer Waldbesitzer den Prager Oberrabbiner Jecheskiel Landau, ob es erlaubt sei, die Jagd als Sport zu betreiben. Rabbi Landau dachte darüber nach und schrieb dem Jäger einen Brief:
    Er sei zu dem Schluss gekommen, dass die Jagd nicht als Tierquälerei zu betrachten ist, da das Tier in der Regel nicht gefoltert, sondern schnell getötet wird.
    Doch schließt Rabbi Landaus Brief mit den Worten:
    "Ich bin sehr überrascht über das ganze Thema. Wir finden keine Jäger in unserer Tradition. Dies ist nicht der Weg der Söhne Abrahams, Isaaks und Jakobs. Es ist ein unziemliches Element darin, nämlich Grausamkeit. Daher wird jemand, der auf mich hört, sicher und friedlich in seinem Haus wohnen und seine Zeit nicht mit solchen Dingen verschwenden."
    Spaß an Grausamkeit ist etwas zutiefst Unjüdisches
    Spaß an Grausamkeit - das ist etwas zutiefst Unjüdisches. Im antiken Rom empfahlen Rabbiner, keine Gladiatorenkämpfe zu besuchen. Denn sie verherrlichten die Grausamkeit. Die Rabbiner sagten, man solle diese Spiele verachten und sich das Psalmwort vor Augen halten:
    "Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen."
    Doch selbst unter den Gelehrten des Talmuds befand sich ein Gladiator: Schimon ben Lakisch, genannt Resch Lakisch.
    Der Talmud erzählt, wie unglaublich stark Resch Lakisch gewesen sein soll. Angeblich konnte er mit einem Satz über den Jordan springen, von einem Ufer zum anderen, sieben bis acht Meter weit.
    Als Resch Lakisch als Gladiator auftrat, war er noch kein Rabbiner. Dazu ließ er sich nach seiner Gladiatorenkarriere ausbilden. Er rechtfertigte den Kampf damit, dass er nicht die Grausamkeit liebte, sondern seinen Lebensunterhalt bestreiten musste.
    Die nationaljüdische Bewegung Ende des 19. Jahrhunderts bediente sich der Geschichte von Resch Lakisch und feierte ihn als talmudischen Sporthelden. Mit ihm versuchte man zu beweisen, dass schon in der Antike Juden ihre Körper ertüchtigt hatten.
    Etwa beim Wettlauf, der für jüdische Läufer allerdings mit einer Hürde verbunden war, so der Stuttgarter Medizinhistoriker Robert Jütte:
    "Wenn es um Laufereignisse geht, da war natürlich damals die Nacktheit geboten, schon aus Gründen der Schnelligkeit, aber auch der Ästhetik. Und wir wissen, dass das ein Problem war. Und deswegen hatten die jüdischen Läufer, die mitmachen wollten, ihre Beschneidung zu verbergen versucht, indem man also alle möglichen Tricks anwandte, um die Beschneidung sozusagen rückgängig zu machen, indem man also den verbliebenen Rest über die Eichel zieht und es so nach außen wirken ließ, dass man nicht beschnitten war. Man schämte sich der Beschneidung in dem Kontext."
    Berührungspunkt mit der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft
    Heute wird Sport nicht mehr nackt getrieben und die Beschneidung nicht mehr öffentlich.
    Die Kippa jedoch - die kann jenen zum Problem werden, die auf dem Sportplatz nicht als Juden auffallen wollen. Der joggende Rabbiner trägt Käppi statt Kippa beim Training für den nächsten Marathon.
    "Ich laufe immer mit Käppi, damit ich keine Aufmerksamkeit auf mich ziehe – das fällt nicht auf. Also ich könnte auch mit einer Kippa rumlaufen, aber dann schauen mir alle hinterher, und das mag ich nicht."
    Die Krav-Maga Trainerin Beate Bechmann (r) trainiert am 07.01.2016 in ihrem Studio in Offenbach am Main (Hessen) mit Ayse (l) die Abwehr eines Angriffs.
    Krav-Maga Selbstverteidigungskurs (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Von der Antike bis heute: Sport ist für Juden ein Berührungspunkt mit der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft. Viele religiöse Juden sehen deshalb im Sport nicht nur eine körperliche Herausforderung, sondern auch eine geistige: Sie wollen den Körper ertüchtigen und zugleich den Regeln des Judentums treu bleiben. Oder sie wollen ihren Kindern schlicht und ergreifend Selbstverteidigung ermöglichen - etwa beim Kraw-Maga-Training im jüdischen Gemeindezentrum.