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Leibniz-Jahr 2016
Gott überlässt nichts dem Zufall

Er gilt als der optimistischste Optimist unter den Gelehrten: Gottfried Wilhelm Leibniz, Mathematiker, Physiker, Historiker, Sprachwissenschaftler und Philosoph. Bei all seinen Überlegungen stand Gott im Mittelpunkt, als Schöpfer und Ursprung aller Dinge. Sicher ist für Leibniz: Gott überlässt nichts dem Zufall. Vor 300 Jahren starb Leibniz.

Von Thomas Klatt | 29.01.2016
    Norddeutschlands größter Computer HLRN-III steht in der Leibniz Universität in Hannover Niedersachsen.
    Leibnitz legte mit seinem dyadischen 1-0-Zahlensystem u.a. die Grundlagen aller heutigen Computer (picture alliance / dpa / Holger Hollemann)
    "Leibniz hat immer theologisch gedacht. Ohne Gott lief bei ihm nichts. Das gilt selbst in der Mathematik."
    Der Berliner Mathematiker Eberhard Knobloch hat mehrere Bände der Leibniz-Edition mit herausgegeben.
    "Wir haben den größten uns bekannten erhaltenen Gelehrtennachlass vor uns. Es handelt sich etwa um 200.000 Blatt."
    Bis 2055 soll das Mammutwerk mit 130 Bänden vollendet sein.
    "Wir kennen nicht einmal, auch im Jahr 2016 nicht, die Hälfte seines wissenschaftlichen philosophischen theologischen historischen Nachlasses."
    Ein Problem ist, dass Leibniz zu seinen Lebzeiten kaum Bücher veröffentlichte. Vieles findet sich bis heute nur in weit verstreuten Notizen und Briefen. Doch überall tauchen dieselben Grundgedanken auf: Wir alle leben in der besten aller möglichen Welten. Und: Gott hat diese Welt geschaffen, in der die kleinsten Bestandteile, die Monaden, unverwechselbar eingesetzt sind. Letztlich ist auch jeder Mensch eine von Gott so gewollte einzigartige Monade.
    "Gott hat also nach seiner Überzeugung bei der Erschaffung der Welt die Monaden geschaffen. Die Monaden selbst sind materielose Substanzen, die nicht sterben können. Gott hat dafür gesorgt kraft prästabilierter Harmonie, dass die richtige Monade in den richtigen Körper kommt."
    Für Leibniz ist damit die ganze Welt beseelt. Auch die Tiere, die ganz anders etwa für Descartes nur gefühllose Automaten waren. Anders auch als beim Atomismus gibt es keine Beliebigkeit der Substanzen, sondern immer haben wir es mit einmaligen Identitäten zu tun. In den Herrenhäuser Gärten in Hannover ließ Leibniz einst die Hofgesellschaft im Laub suchen, ob zwei exakt gleiche Blätter zu finden seien. Während also die Adeligen auf dem Boden wühlten, konnte der nicht-adelige Gelehrte sich genüsslich zurücklehnen.
    "Na ja, die haben natürlich keine zwei gleiche Blätter gefunden. Ist doch klar. Egal wie viel 1000 Blätter Sie sich angucken werden, die können sich schon ziemlich ähnlich werden, aber nur ein Zacken, der Unterschied war gewahrt."
    Ein Leibniz-Experiment, das man noch heute in jeder Philosophie- oder Religionsunterrichtsstunde durchführen kann. Leibniz glaubte daran, dass im Menschen alles Wissen schon angelegt sei. Man müsse es nur zum Vorschein bringen. Der Berliner Philosoph Christian Barth.
    "Gott hat uns geschaffen mit einem natürlichen Vermögen, Wahrheiten zu erkennen. Das beschreibt er als natürliches Licht, in dem gewissermaßen schon auf einer unbewussten Ebene alle Wahrheiten, die auch Gott denkt, angelegt sind. In jedem von uns schlummert Gott."
    In seinem schier grenzenlosen Optimismus glaubte Leibniz, die evangelische und die katholische Kirche miteinander versöhnen zu können. Und nicht nur die. Der Berliner Kirchenhistoriker Christoph Markschies.
    "Leibniz entwickelt ein Ökumene-Modell. Nicht nur zur Einheit der lutherischen und reformierten Kirchen, das haben wir ja inzwischen erreicht im 20. Jahrhundert, sondern auch gleich noch zur Einheit mit der katholischen und der orthodoxen Kirche. Das heißt er ist vielen Ökumene-Bestrebungen, die nur an die katholische Kirche im Nachbardorf denken, aber nicht an die große orthodoxe Ökumene in Russland, in Griechenland, im Nahen Osten weit voraus."
    Leibniz unterschied nicht einfach zwischen wahr und falsch, sondern suchte selbst in einem Irrtum noch nach einem Körnchen Wahrheit. So glaubte er an die künftige Vereinbarkeit der theologischen Richtungen. Doch für Christoph Markschies steht fest, 300 Jahre später könne man Leibniz nicht mehr ohne weiteres zustimmen. So optimistisch könnten wir heute nicht mehr sein.
    "Leibniz war das, was man heute Frühaufklärer nennt. Er hat das Pech, dass die Aufklärung weiter gegangen ist. Und dass wir zutiefst skeptisch geworden sind gegenüber Totaltheorien. Leibniz liefert eine Totaltheorie, in der alles ineinander greift, die Mathematik, die Sprachphilosophie, die Art, wie man den Menschen denkt, wie man Gott denkt. Schon die Vorstellung, dass man differenzieren muss zwischen zwei Zahlen und die eine Zahl ist Gott und die andere Zahl ist das Nichts. Da würde sich heute jeder Mathematiker schütteln – oder jedenfalls die meisten. Wir sind, wenn ich es von Leibniz her sagen darf, ins Fragmentarische verliebt, in die Brüche verliebt, in die Distanzen. Ist wirklich das, was wir von der Welt wahrnehmen und sehen, wie diese Welt ist. Ganz viele Leute würden sage, nein, das ist eine reine Konstruktion. Leibniz würde sagen, es ist von vornherein der Mensch so ausgestattet, dass er in bewussten Zusammenhängen lebt, sondern auch in unbewussten, in einem Netzwerk."
    Auch wenn die Welt längst pessimistischer ist, noch heute profitieren wir von Leibniz' Errungenschaften. Nicht nur dass mit dem dyadischen 1-0-Zahlensystem die Grundlagen aller heutigen Computer und Rechenmaschinen gelegt wurden. Auch die Wissenschaftsorganisation, die Gemeinschaftsarbeit in Sozietäten geht auf den evangelischen Gelehrten zurück. In Berlin war Leibniz 1700 Gründungsvater der Berlin-Brandenburger Akademie. Und, das Universalgenie war auch in sozialen Belangen Visionär und Vorreiter: Leibniz brachte die Idee der Solidarität voran. Selbst die Feuerversicherungen gehen auf Leibniz zurück. Eberhard Knobloch.
    "Wenn dem Bauer sein Haus und die Scheune abgebrannt war, dann war er erledigt. Dann konnte er sich nur den Strick nehmen. Und das hat den Landesherren eingeleuchtet."