Archiv

Leichtathletik
Abkehr von der Medaillenjagd?

Das olympische Motto lautet, dabei sein ist alles. Für manche Leichtathleten ist das nun etwas realer geworden. Denn der Deutsche Olympische Sportbund hat seine Normen für Rio gesenkt. Offiziell wurden die Dopingskandale der Vergangenheit als Grund dafür angeführt. Ist das die Abkehr von der Medaillenjagd?

Von Jonas Reese | 06.02.2016
    Langstreckenläuferin Gesa Felicitas Krause will auch nach Rio.
    Langstreckenläuferin Gesa Felicitas Krause will auch nach Rio. (dpa/picture-alliance/Michael Kappeler)
    "Wir wollen besser werden. Und was ist der Maßstab für bessere Leistung im Spitzensport? Das sind Spitzenplätze und das heißt nun mal Medaillen im Sport." Medaillen sind die Währung, da ist sich Bundesinnenminister Thomas de Maiziere sicher. Und so hatte er vor einem halben Jahr das Ziel für Rio ausgegeben. Ein Drittel mehr Medaillen als bei den Spielen in London 2012. Damals haben die deutschen Athleten 44 Mal Edelmetall gewonnen. Nach de Maizieres Rechnung wäre das für die kommenden Spiele die Vorgabe: 58 Medaillen.
    Umso verblüffender ist es nun, dass Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und damit erster Ansprechpartner für die Politik, von Medaillenvorgaben für Rio gar nichts mehr wissen will. Erst kürzlich sagte Hörmann in einem Interview mit der Deutschen Welle. "Bisher haben wir uns dazu noch in keiner Weise geäußert oder festgelegt. Natürlich wird es immer so sein, dass man sich an den Ergebnissen der letzten Spiele in irgendeiner Form orientiert, aber intern gibt es ein klares Medaillenziel nicht. Wir fahren mit einem schlagkräftigen Team nach Rio und werden versuchen die bestmöglichen Erfolge mitzubringen. Wenn da möglichst viele Medaillen mit von der Partie sind, ist das schön."
    Kein Platz für Olympia-Touristen
    Klingt ganz nach olympischem Motto. Doch glaubwürdig ist es nicht. Bislang sollten stets nur Athleten zum deutschen Olympia-Team gehören, die eine Zitat "begründete Endkampfchance" besitzen. Verlierer oder Olympia-Touristen wollte man offenbar vermeiden. In der Kernsportart Leichtathletik existierten deshalb besonders hohe Kriterien. Die nationalen Normen waren meist weit strenger als die internationalen. Bislang zumindest.
    Perikles Simon renommierter Doping-Forscher von der Uni Mainz beurteilte das im Deutschlandfunk mal so: "Mit welchem Grund macht man denn so eine restriktive Politik bei der Besetzung der Felder? Ich meine, was ist das für ein Signal an diese Athleten, die jetzt ihr Bestes gegeben haben, die hart gekämpft hatten und nicht antreten durften, und das selbst nicht, wenn sie die Norm erfüllt hatten? Das ist doch schon geradezu verrückt. Was soll denn das Signal an den Athleten sein? Soll das Signal sein, ich muss mich auf Gedeih und Verderb in diesen Bereich reinbewegen, wo ich dann eine Endkampfchance habe?"
    Jetzt hat der DOSB auf Antrag des deutschen Leichtathletik-Verbands die Anforderungen an die des Weltverbandes IAAF angeglichen. Hintergrund: Zum einen hatte die IAAF selbst ihre Olympia-Normen bereits gesenkt nach den zahlreich en Doping-Affären der jüngeren Vergangenheit. Zum anderen hatten mehrere Leichtathleten mit Klagen gedroht. Der DLV wollte seine Nominierungshoheit verteidigen.
    "Welchen Anspruch haben wir?"
    Die meisten Athleten freut es. "Da man in den vergangenen Jahren den hohen Normen so hinterher hetzen musste, dass man da gar nicht mehr richtig fit war und oft dann wirklich nur dabei war und nicht in einer ansprechenden Form. Ich finde das einen richtigen Schritt und bin sehr glücklich darüber", sagt zum Beispiel Langstreckenläuferin Sabrina Mockenhaupt. Ihre Norm über 10.000 Meter hat sich um eine halbe Sekunde erleichtert.
    Etwas kritischer sieht dagegen Timo Benitz die Senkung der Norm. Der 1.500 Meter-Läufer schreibt auf seiner Internetseite: "Ich messe mich an hohen Zielen und trainiere dann auch effektiver. Wir müssen uns fragen: Welchen Anspruch haben wir?"
    Genau diese Diskussion findet aber weitestgehend nicht statt. Bislang sind weiterhin Medaillen die Währung, darüber kann die Anpassung der Olympia-Normen nicht hinwegtäuschen. Man habe den Norm-Maßstab, nicht aber den Leistungsanspruch korrigiert heißt es vonseiten des DLV.
    Und der Leistungsanspruch wird von der Politik vorgegeben, sagt dessen Präsident Clemens Prokop als Fazit der Leichtathletik-WM im vergangenen August. "Tatsächlich ist die Politik derzeit ausgerichtet auf eine qualifizierte Endkampfchance. Darüber kann man lang diskutieren."
    Ein halbes Jahr vor den Olympischen Spielen in Rio, wäre es dafür noch nicht zu spät.