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Leichtathletik-Dopingaffäre
Russische Funktionäre weisen WADA-Vorwürfe zurück

Der Internationale Leichtathletikverband hat den russischen Verband wegen der Dopingvorwürfe der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA vorläufig ausgeschlossen. Als Reaktion demonstrieren Russlands Sportfunktionäre und Politiker Geschäftigkeit - den Vorwurf des systematischen Dopings weisen sie zurück.

Von Gesine Dornblüth |
    Der Wachmann mit Uniform und Barett hält vor dem Gebäude eine Hand in die Höhe. Die Treppe zum Eingang ist regennass.
    Der russischen Anti-Doping-Agentur wurde nach den Doping-Vorwürfen der WADA bereits die Akkreditierung entzogen. (dpa / Grigoriy Sisoev / RIA Novosti)
    Russlands Sportfunktionäre demonstrieren Geschäftigkeit. Heute Nachmittag tagte das Präsidium des suspendierten russischen Leichtathletikverbands. Anwesend auch Sportminister Witalij Mutko. Beschlossen wurde, im Januar einen neuen Verbandsvorstand zu wählen und gleichzeitig die Satzung so zu ändern, wie es die WADA empfiehlt. Außerdem setzte der Verband eine Kommission ein, die die Empfehlungen des Internationalen Leichtathletikverbandes umsetzen soll. Mutko kündigte zum wiederholten Mal strafrechtliche Konsequenzen für Dopingsünder an.
    "Wir sind bereit, ruhig an unseren Fehlern zu arbeiten, in einer demokratischen gemeinsamen Zusammenarbeit mit der WADA und dem Internationalen Leichtathletikverband."
    Die Vorwürfe der WADA, der Inlandsgeheimdienst FSB sei am Doping in Russland beteiligt, wies Mutko allerdings erneut zurück: "Wir haben kein System von Doping, wir haben lediglich Fehler in der Leichtathletik."
    Wichtigstes Ziel: Teilnahme an Olympia 2016
    Russische Funktionäre gehen derzeit davon aus, dass der Bann gegen die russischen Leichtathleten bereits innerhalb der kommenden drei Monate aufgehoben wird, und dass die russischen Sportler somit an den Olympischen Sommerspielen in Rio teilnehmen können. Das gilt als wichtigstes Ziel. Für die nächsten Wochen werde ein neuer Trainings- und Wettkampfplan erarbeitet, so der Sportminister.
    "Wenn wir nicht zu internationalen Wettkämpfen fahren, dann müssen wir uns für die nächsten drei Monate eigene Turniere ausdenken, damit die Athleten Wettkampfpraxis bekommen."
    Minister Mutko hofft außerdem, dass saubere Athleten selbst in den nächsten Wochen unter dem Dach des NOK an internationalen Wettkämpfen teilnehmen können. Ein Plan B für Rio lautet, dass russische Leichtathleten auch dort nicht unter der russischen, sondern unter der Olympiafahne starten.
    Bedingung dafür, dass die Sperre des russischen Leichtathletikverbandes aufgehoben wird, sind umfassende Reformen. Experten zweifeln, dass die in kurzer Zeit überhaupt möglich sind. Und in der öffentlichen Debatte in Russland fehlt zudem die Einsicht, dass sie nötig sind. Der Sportjournalist und Dopingexperte Oleg Schamonajew vom auflagenstarken "Sport-Express":
    "Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir das ganze russische Sportsystem zerstören, das in den letzten 15 Jahren gebaut wurde. Und selbst wenn einige Strukturen seit 70, 80 Jahren existieren - warum sollten wir sie antasten?"
    "Die wollen uns kränken"
    Das Staatsfernsehen brachte Anfang der Woche Reaktionen von Sportlern auf den Bericht der WADA. Roman Wlassow, 2012 Olympiasieger im Ringen, sagte zu den Doping-Vorwürfen: "Wir haben wahrscheinlich zu viele Goldmedaillen. Die wollen uns kränken. Aber was uns nicht tötet, härtet uns nur ab."
    Ein möglicher Rücktritt von Sportminister Mutko ist in Russland kein Thema. Er selbst sagte zu Forderungen aus Großbritannien, zumindest sein Amt im Exekutivkomitee der FIFA niederzulegen: "Dahinter steht der Wunsch Englands nach einer Revanche für frühere Niederlagen."
    Im Ausland wurden in den vergangenen Tagen Forderungen laut, nach dem Skandal um die russischen Leichtathleten auch andere Sportarten in Russland zu überprüfen. Es geht dabei auch um die olympischen Medaillen in London und im russischen Sotschi. Denn auch jene Sportler wurden von eben dem fragwürdigen russischen Antidoping-Labor kontrolliert, dem mittlerweile die Akkreditierung entzogen wurde. In Russland mag man soweit nicht gehen. Der Sportjournalist Schamonajew:
    "Dann müsste man die Ergebnisse aller Sportler seit der Beteiligung der Sowjetunion an internationalen Wettkämpfen in Frage stellen. Ja, die Sache wirft einen Schatten auf Sotschi. Aber um Verdächtigungen zu erhärten, braucht man Fakten."
    Und die gäbe es nicht. Im Bericht der WADA heißt es, Doping sei kein spezifisch russisches Problem und auch nicht nur ein Problem der Leichtathletik. Weitere Schritte gegen andere Länder zeichnen sich bereits ab, zum Beispiel gegen Kenia. Für Schamonajew ist das nur ein geringer Trost. Russland sieht sich in der Opferrolle.
    "Wenn Russland als Beispiel und als Anstoß für globale Veränderungen dienen soll, mag das strategisch Sinn ergeben. Aber aus russischer Sicht ist es sehr unangenehm. Man ist nicht gern das Opferlamm."