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Leichtathletik-WM
"Erfolgreicher und sauberer Sport ist eine schwierige Mission"

Bei der Leichtathletik-WM werde es keinen Medaillenregen für das deutsche Team geben, ist sich der ehemalige Hochsprung-Trainer Wolfgang Ritzdorf sicher. Dass die Summe der Fördergelder vom sportlichen Erfolg abhänge, grenze an "Doppelmoral". Mit sauberem Sport erfolgreich zu sein, sei schwierig.

Wolfgang Ritzdorf im Gespräch mit Maximilian Rieger |
Die deutsche Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch liegt bei der Leichtathletik-WM in Eugene auf der Matte.
Die deutsche Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch liegt bei der Leichtathletik-WM in Eugene auf der Matte. (IMAGO/Laci Perenyi)
In Eugene im US-Bundesstaat Oregon findet derzeit die Leichtathletik-WM statt. An dem Ort, an dem Sportartikelhersteller Nike jahrelang sein Oregon Project durchführte - eine Trainingsgruppe mit dem Ziel, die Dominanz von afrikanischen Läuferinnen und Läufern zu brechen. Die Idee: Die besten Athletinnen und Athleten unter den besten Trainingsbedingungen zusammenbringen.
Kurz nach der WM 2019 wurde Gründer und Trainer Alberto Salazar jedoch wegen Dopings und emotionalem Missbrauch von Athletinnen und Athleten gesperrt. Zuvor hatten die Athletinnen und Athleten des Projektes mehr Medaillen geholt als das deutsche Team insgesamt.

"Bin sicher, dass es sauber zugeht"

Auch bei dieser WM werde es für das deutsche Team keinen Medaillenregen geben, ist sich Wolfgang Ritzdorf sicher. Er leitete viele Jahre lang das Welt-Hochsprung-Zentrum an der Deutschen Sporthochschule Köln mit vielen Top-Athletinnen und Athleten. Seit einem Jahr ist er im Ruhestand. "Ich bin sicher, dass es da [beim Deutschen Leichtathletik-Verband] sauber zugeht und dass man trotzdem Wege suchen muss, wieder näher an die Weltspitze heranzukommen. Weil die ist nun doch ein Stück weit weg."
Druck ist für die deutschen Athletinnen und Athleten aber da. Denn vom Erfolg bei der WM hängt auch ab, wie viele Fördergelder der Deutsche Leichtathletikverband bekommt. Für Ritzdorf grenzt das an Doppelmoral: "Auf der einen Seite will man einen sauberen Sport haben. Auf der anderen Seite aber bitte auch erfolgreich sein. Und das ist schon eine schwierige Mission."
Die deutsche Leichtathletik müsse versuchen, alle möglichen Ressourcen auszuschöpfen. "Legale Ressourcen, meine ich", schob Ritzdorf nach. "Ich glaube, da gibt es nach wie vor welche, an denen man arbeiten könnte."

Individuelle Trainingspläne wichtig

Ein wichtiger Punkt sei die Ausbildung der Trainerinnen und Trainer. Ein anderer sei, Wissenschaft und Technologie besser ins Training zu integrieren, um das Training auch zu individualisieren. "Es wird nicht möglich sein, mit einem Trainingsplan drei unterschiedliche Athleten zu trainieren. Das ist etwas, was ich über die Jahre bei der Arbeit mit internationalen Athleten gelernt habe."
Ein Trend, den es in den vergangenen Jahren gab ist, dass deutsche Spitzenathletinnen und -athleten immer häufiger in den USA trainieren. Hauptgrund ist, dass sie dort in einer stärkeren Trainingsgruppe trainieren können. Ritzdorf meint, "dass der eine oder andere Athlet oder Athletin diesen Weg noch gehen werden."
Ritzdorf fände deshalb eine derartige Trainingsgruppe in Deutschland interessant. "Die ist Idee natürlich verlockend, dass man mit Adidas oder Puma in Kooperation mit dem Deutschen Leichtathletik-Verband an drei Standorten versucht, diese optimalen Voraussetzungen zu schaffen."

Fördergelder zielgerichteter einsetzen

Dieses Projekt müsse dann aber auch auf die Top-Athletinnen und -Athleten konzentriert sein. Das solle nicht bedeuten, dass es keine Landeskader mehr geben soll, "aber man die die begrenzten Mittel doch etwas zielgerichteter einsetzt."
Auf das Nike Oregon Project habe man immer etwas neidisch geguckt, gab Ritzdorf zu. "Obwohl wir an der Deutschen Sporthochschule schon sehr viele Möglichkeiten und sehr gute Trainingsbedingungen hatten. Trotzdem war das noch ein großes Stück weg von dem, was offensichtlich möglich war."
Der Blick nach Oregon, sei aber immer auch ein skeptischer Blick gewesen. "Es war immer der Verdacht, dass hier nicht nur an Grenzen heran gegangen wurde, sondern dass Grenzen auch überschritten worden sind."
In der deutschen Leichtathletik sei sich Ritzdorf sicher, dass "alle Anstrengungen unternommen werden", um international wieder erfolgreich zu sein. Wichtig sei es "Talente frühzeitig an die Leichtathletik zu binden und dann auch zu entwickeln." Denn Ritzdorf befürchtet, dass der Stellenwert der Leichtathletik abgenommen habe. Unter anderem sei Leichtathletik kein Pflichtfach mehr in der Schule. "Viele Kinder werden groß, ohne Kontakt mit der Leichtathletik zu haben."