Internationaler Tag der Leichten Sprache
Endlich mal alles verstehen

Laut Studien gibt es rund 14 Millionen Menschen in Deutschland, die auf Leichte Sprache angewiesen sind. Doch einen Anspruch darauf haben sie nicht. Dabei ist die Leichte Sprache oft Voraussetzung dafür, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

    Illustration: Menschen gehen auf verschiedenen Sprechblasen.
    Kommunikation ist ein sehr komplexer Prozess - je einfacher wir ihn halten, umso eher können wir uns verständigen. Leichte Sprache ist ein Weg, Informationen für alle zugänglich zu machen. (imago images / Gary Waters)
    Ob es um das Ausfüllen von Behördenformularen, das Lesen von Zeitungsartikeln oder das Verstehen von Wahlunterlagen geht – viele Menschen haben Schwierigkeiten mit herkömmlichen Texten, aufgrund von Lernschwierigkeiten, einer Leseschwäche oder anderen Ursachen. Doch es gibt eine Lösung: die Leichte Sprache. Der Internationale Tag der Leichten Sprache am 28. Mai soll daran erinnern, dass sie dazu beiträgt, Informationen für jeden zugänglich zu machen.

    Inhalt

    Wie funktioniert Leichte Sprache?

    Die Leichte Sprache ist kein geschützter Begriff. Doch es gibt verschiedene Regelwerke, die beschreiben, wie genau sie aussehen soll, etwa von Inclusion Europe oder der Deutschen Gesellschaft für Leichte Sprache. Auch das Netzwerk Leichte Sprache – ein Verein in Berlin – hat eine entsprechende Anleitung veröffentlicht.
    Demnach sind die Sätze kurz. In jedem Satz steckt nur eine Information. Komplizierte Wörter und Abkürzungen werden erklärt. Außerdem soll man viele Absätze und Überschriften machen, auf Fremd- und Fachwörter verzichten. Statt "Workshop" sagt man besser "Arbeitsgruppe". Und man soll Wörter nutzen, die etwas genau beschreiben: statt "Öffentlicher Nahverkehr" zum Beispiel "Bus" oder "Bahn".

    So einfach wie nötig, so verständlich wie möglich

    „So einfach wie nötig und so verständlich wie möglich“: Das sei die Faustregel für Leichte Sprache, sagt die Kölner Sprachwissenschaftlerin Bettina Bock.
    Die Texte sollten von der Zielgruppe sofort erkannt werden, die Vereinfachungen aber zugleich „so unauffällig wie möglich verfasst sein", um Stigmatisierung zu verhindern, unterstreicht die Wissenschaftlerin vom Institut für deutsche Sprache an der Universität Köln. Also: nicht zu viele Wiederholungen und auch nicht übertrieben vereinfacht.
    Das Netzwerk Leichte Sprache weist zudem darauf hin, dass die Leichte Sprache in Zusammenarbeit mit der Zielgruppe entstehen muss:

    Menschen mit Lern-Schwierigkeiten sind dabei die Fach-Leute. Die Meinung von Menschen mit Lern-Schwierigkeiten ist uns im Netzwerk sehr wichtig. Menschen mit Lern-Schwierigkeiten geben oft wichtige Hinweise. Erst durch diese Hinweise können Übersetzer und Übersetzerinnen gute Texte in Leichter Sprache schreiben.

    Von der Webseite des Netzwerks Leichte Sprache

    Wer profitiert von der Verwendung Leichter Sprache?

    Zur Zielgruppe gehören Menschen mit geistiger Behinderung oder Demenz, mit Lernschwierigkeiten oder geringen Deutschkenntnissen – und auch alle, die Probleme mit komplizierten Texten wie Behördenschreiben haben.
    Insgesamt ist Leichte Sprache darauf ausgerichtet, Informationen verständlich und zugänglich zu machen, unabhängig von den individuellen Fähigkeiten oder Einschränkungen der Leserinnen und Leser. Die Leichte Sprache ist wichtig, sinnvoll und hilfreich für Millionen Menschen in Deutschland, die sonst oft an sprachlichen Barrieren scheitern.
    Denn: Wenn Menschen in der Lage sind, Texte durch Leichte Sprache zu verstehen, haben sie eher die Möglichkeit, fundierte und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, so das Büro für Leichte Sprache der Lebenshilfe Bremen.
    Dies sei in vielen Bereichen des Lebens von großer Bedeutung. Mithilfe verständlicher Texte könnten Menschen entscheiden, welche Partei sie wählen, bei welchem Verein sie mitmachen oder welches Essen sie bestellen wollen. Durch Informationen in Leichter Sprache wird also Teilhabe gefördert und die Möglichkeit geschaffen, eigenständig und informiert zu handeln.

    Welche Kritik gibt es an Leichter Sprache?

    Besonders in den sozialen Medien wird oft über den angeblichen Verfall von Sprache und Kultur diskutiert - wobei provokativ gefragt wird, was aus dem "Land der Dichter und Denker" geworden ist. Manche fürchten, dass die Verwendung von Leichter Sprache die Vielfalt der deutschen Sprache und die kulturelle Identität beeinträchtigen könnte.
    Die Dolmetscherin Anne Leichtfuß, die simultan in Leichte Sprache übersetzen kann, hält diese Befürchtungen für unbegründet, da vom Inhalt nichts verloren gehe. Im Gegenteil: "Wenn man so fragt, dass alle Menschen die Frage verstehen können, dann bekommt
    man diversere, vielschichtigere Antworten."
    Leichte Sprache soll zudem lediglich ein zusätzliches Angebot darstellen und nicht die herkömmliche Sprache ersetzen. Trotzdem bleibt die Diskussion über ihre Wirkung auf Sprach- und Kulturlandschaft kontrovers und komplex.
    Auch aus der Zielgruppe selbst komme mitunter der kritische Hinweis auf "Kindersprache", sagt die Sprachwissenschaftlerin Bettina Bock. Es brauche daher Fingerspitzengefühl bei der Formulierung. Wer Leichte Sprache nutzt, wolle und dürfe nicht als "dumm" markiert werden.

    Gibt es genug Angebote in Leichter Sprache?

    Immer mehr Institute, Behörden oder Ministerien bieten inzwischen auch Informationen in Leichter Sprache an. Dennoch reicht das Angebot noch längst nicht aus - und es könnte auch thematisch breiter sein.
    Expertinnen und Experten kritisieren, dass es in Deutschland bisher keine klare und verpflichtende Gesetzgebung zum Thema Leichte Sprache gibt. Nach Studien benötigen etwa 14 Millionen Menschen eine leichte oder einfache Sprache. Doch sie haben keinen Rechtsanspruch darauf im Alltag – weder beim Arztbesuch, auf dem Amt noch bei Nachrichten in den Medien.
    Die Dolmetscherin Anne Leichtfuß ist überzeugt: Eine Kommunikation in Leichter Sprache kann an vielen Stellen für alle Menschen nützlich sein. Es sei komplex, eine Steuererklärung zu machen oder einen Antrag auf Wohngeld zu stellen. Durch eine Vereinfachung könnten viele Menschen Lebenszeit und Energie sparen.

    Was ist der Unterschied zu Einfacher Sprache?

    Einfache Sprache unterscheidet sich von Leichter Sprache unter anderem dadurch, dass es bei ihr kein festes Regelwerk gibt. Sie verwendet laut der Definition der Bundeszentrale für politische Bildung einen komplexeren Sprachstil mit längeren Sätzen und Nebensätzen und setzt voraus, dass alltägliche Begriffe bekannt sind, vermeidet jedoch Fremdwörter oder erklärt sie. Das Layout sei weniger strikt, und Texte müssten nicht nach jedem Satzzeichen oder Abschnitt einen Absatz haben, solange sie übersichtlich blieben. Außerdem gebe es keine Prüfpflicht.
    Einfache Sprache ist laut der Bundeszentrale besonders hilfreich für Menschen mit Lese- und Rechtschreibschwäche, Hirnverletzungen, ältere Menschen, Hörbehinderte, Menschen mit geringen Deutschkenntnissen, Fremdsprachenlernende und Touristen.

    Wie funktionieren Nachrichten in Einfacher Sprache?

    Einige Medien bieten Nachrichten in Einfacher Sprache - nicht in Leichter Sprache - an, so auch der Deutschlandfunk. Jeden Freitag gibt es um 19:05 Uhr einen Wochenrückblick in Einfacher Sprache.
    Auf der Seite nachrichtenleicht finden Nutzerinnen und Nutzer zudem Audios und Artikel, ebenfalls in Einfacher Sprache. Bei Instagram kann man dem Account nachrichtenleicht folgen und wird dort über Aktuelles informiert.

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    Mit nachrichtenleicht will der Deutschlandfunk einen Beitrag zur Barriere-Freiheit leisten. Das heißt, alle Menschen sollen Zugang zu Informationen bekommen, unabhängig von ihren persönlichen Fähigkeiten oder Einschränkungen.

    Einfache Nachrichten sind eine Herausforderung

    Nachrichten in Einfacher Sprache zu erstellen, ist allerdings gar nicht so leicht, weil man komplexe Inhalte verständlich machen muss. Dazu müsse man sie selbst genau verstanden haben und könne kein Wissen voraussetzen, betont Annette Meisters, Nachrichtenredakteurin beim Deutschlandfunk.
    Die Themenauswahl sei nicht anders als bei den „normalen“ Nachrichten. „Wir haben den Anspruch, jedes Thema auch in Einfacher Sprache zu schreiben“, sagt Meisters. Für ihre Kolleginnen und Kollegen gibt es regelmäßige Schulungen zu Einfacher Sprache. Der Unterschied zu Meldungen in der Standardsprache sei sehr groß, sagt Meisters - deshalb müsse man sich die Kriterien der Einfachen Sprache immer wieder vergegenwärtigen.

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