Eine tiefe, bis an die Brandmauer reichende, weiß gekalkte Bühne. Ein langer, über dreieinhalb Stunden langer Theaterabend. Dieter Dorns zehnte Botho Strauß-Uraufführung im Laufe eines halben Lebens, in 30 Jahren Theaterfreundschaft. Die hat mittlerweile ihr eigenen Signale, eine eigene Ästhetik und Dramaturgie, sowie ein subtiles szenisches Zitier- und Verweisungssystem - und ist doch frisch, unverbraucht, am Puls der Zeit.
Leichtes Spiel und existenzieller Ernst gehören ebenso dazu wie feine Aphorismen und brutalste Sprechhämmer, psychologische Feineinstellungen und holzschnittartige Vivisektionen. Ein Leben, so suggeriert Strauß' neuestes Stück, besteht aus neun Frauen. Eine Frau ist, gleichzeitig und nacheinander, neun Personen. Die moderne Frage nach der widersprüchlichen, ambivalenten pluralen Identität wird hier auf psychologisch ebenso verstörende wie theatralisch frappierende Art gestellt, gelöst? Statt einer Schauspielerin, die etwa neun unterschiedliche Eigenschaften, Reaktionsweisen, Profile einer Person ausdifferenziert, erlebt man neun Katharinas, Kathis, Kittys und Katrinen ...,die die unterschiedlichen "Personen" einer Figur szenisch säuberlich voneinander getrennt ausagieren.
Es mutet an wie ein "Reigen"; ohne Höhepunkte. Doch die neun aufeinander folgenden Momentaufnahmen aus dem Leben von völlig verschieden anmutenden Frauen verdichten sich allmählich, fließen mal zusammen, fallen dann wieder auseinander, trennen sich wieder, greifen ineinander, driften aneinander vorbei. Und dass dieses Experiment gelingt, dass kein bloßes Potpourri von beliebigen Möglichkeiten daraus wird, sondern ein Abend von wachsender Intensität und Kohärenz entstehen kann, liegt an der artistischen Virtuosität dieser theatralischen Freundschaftsästhetik, die dem als Lesetext eher eindimensional wirkenden Werk, nicht nur Theaterleben, sondern Menschen-Leben einhaucht, einspielt: Liegt vor allem an den großen Menschendarstellern, die das Widersprüchliche als Zusammengehöriges vorspielen, die jeder Akrobatik, aber auch jeder Vulgarität und, was das Schwierigste ist: jeder Banalität virtuos gewachsen sind.
Zwischenmusiken nehmen die Stimmungen auf und verbinden die einzelnen Bilder, während Wände sich heben und senken, Szenentitel ein- und ausgeblendet werden. Menschen verwandeln sich in Projektionen, Serienfrauen gleiten als weiße Engel eine phantastische weiße Himmeltreppe hinunter, mutieren im Abgrund der Bühne zu rotierenden Schemen, die nur noch in den Vielfachbrechungen eines sich neigenden, drehenden Spiegels wahrnehmbar sind.
Ein Bankett von Ähnlichen, Gesellschaftswesen, bringt die verstörende, weil einzig menschlich reagierende Störerin zur Kenntlichkeit; dazwischen kafkaeske "kleine und große" Pforten (einer Kreditanstalt), die sich beileibe nicht für jeden Geld- und Nimbus-Gierigen öffnen, aber vor jedem verschließen können; eine in Panik geratene junge Frau im leeren Supermarkt, der die Schwester die Zufallseroberung wegschnappt; drei alte Männer auf einer Bank im "Park" und eine Betrunkene: voller Lebens- und Lust-Gier; Lichtfülle und utopische Räume, und ein ganzes Sitzungszimmermobiliar aus einem Stück, das aus dem Bühnenhimmel fällt. Und da treffen sich in der Mittagspause die beherzt-wurschtige Kreative und der leicht vorwurfsvoll nölende Umständliche, der nun erklären soll, wie sein Liebesbrief eigentlich gemeint war.
Alle, wirklich alle Dialoge dieses Episodenstückes gehen planvoll ins Leere - und es ist nicht zuletzt die große Dorn-Strauß-Wortkunst, die diese Aufführung zum Erlebnis werden lässt. Und zum Erkenntnis-Akt. Eines der selten gewordenen Beispiele, wie politisch das Theater mit seinen Mitteln sein kann, einfach - indem es genau ist, sprachdetailverliebt, wortspielversessen, grammatiksüchtig; indem es die Niederungen und Höhenräusche unserer Alltagssprache, und damit unsere Alltags-Ängste und -Träume, schmerzhaft genau zur Darstellung bringt.
Vivisektion auf offener Bühne. Die vorbei gleitenden Lebensszenen sind alles andere als zielgerichtet, aber sie münden zwangsläufig in den Lebensrückblick in der roten Herzkammer. Wo das Orchester schweigt, wo die Singstimme der Klage nicht mehr Klang verleiht, wo jeder noch so verständnislose oder maulfaule "Gesprächspartner" - fehlt.
Leichtes Spiel und existenzieller Ernst gehören ebenso dazu wie feine Aphorismen und brutalste Sprechhämmer, psychologische Feineinstellungen und holzschnittartige Vivisektionen. Ein Leben, so suggeriert Strauß' neuestes Stück, besteht aus neun Frauen. Eine Frau ist, gleichzeitig und nacheinander, neun Personen. Die moderne Frage nach der widersprüchlichen, ambivalenten pluralen Identität wird hier auf psychologisch ebenso verstörende wie theatralisch frappierende Art gestellt, gelöst? Statt einer Schauspielerin, die etwa neun unterschiedliche Eigenschaften, Reaktionsweisen, Profile einer Person ausdifferenziert, erlebt man neun Katharinas, Kathis, Kittys und Katrinen ...,die die unterschiedlichen "Personen" einer Figur szenisch säuberlich voneinander getrennt ausagieren.
Es mutet an wie ein "Reigen"; ohne Höhepunkte. Doch die neun aufeinander folgenden Momentaufnahmen aus dem Leben von völlig verschieden anmutenden Frauen verdichten sich allmählich, fließen mal zusammen, fallen dann wieder auseinander, trennen sich wieder, greifen ineinander, driften aneinander vorbei. Und dass dieses Experiment gelingt, dass kein bloßes Potpourri von beliebigen Möglichkeiten daraus wird, sondern ein Abend von wachsender Intensität und Kohärenz entstehen kann, liegt an der artistischen Virtuosität dieser theatralischen Freundschaftsästhetik, die dem als Lesetext eher eindimensional wirkenden Werk, nicht nur Theaterleben, sondern Menschen-Leben einhaucht, einspielt: Liegt vor allem an den großen Menschendarstellern, die das Widersprüchliche als Zusammengehöriges vorspielen, die jeder Akrobatik, aber auch jeder Vulgarität und, was das Schwierigste ist: jeder Banalität virtuos gewachsen sind.
Zwischenmusiken nehmen die Stimmungen auf und verbinden die einzelnen Bilder, während Wände sich heben und senken, Szenentitel ein- und ausgeblendet werden. Menschen verwandeln sich in Projektionen, Serienfrauen gleiten als weiße Engel eine phantastische weiße Himmeltreppe hinunter, mutieren im Abgrund der Bühne zu rotierenden Schemen, die nur noch in den Vielfachbrechungen eines sich neigenden, drehenden Spiegels wahrnehmbar sind.
Ein Bankett von Ähnlichen, Gesellschaftswesen, bringt die verstörende, weil einzig menschlich reagierende Störerin zur Kenntlichkeit; dazwischen kafkaeske "kleine und große" Pforten (einer Kreditanstalt), die sich beileibe nicht für jeden Geld- und Nimbus-Gierigen öffnen, aber vor jedem verschließen können; eine in Panik geratene junge Frau im leeren Supermarkt, der die Schwester die Zufallseroberung wegschnappt; drei alte Männer auf einer Bank im "Park" und eine Betrunkene: voller Lebens- und Lust-Gier; Lichtfülle und utopische Räume, und ein ganzes Sitzungszimmermobiliar aus einem Stück, das aus dem Bühnenhimmel fällt. Und da treffen sich in der Mittagspause die beherzt-wurschtige Kreative und der leicht vorwurfsvoll nölende Umständliche, der nun erklären soll, wie sein Liebesbrief eigentlich gemeint war.
Alle, wirklich alle Dialoge dieses Episodenstückes gehen planvoll ins Leere - und es ist nicht zuletzt die große Dorn-Strauß-Wortkunst, die diese Aufführung zum Erlebnis werden lässt. Und zum Erkenntnis-Akt. Eines der selten gewordenen Beispiele, wie politisch das Theater mit seinen Mitteln sein kann, einfach - indem es genau ist, sprachdetailverliebt, wortspielversessen, grammatiksüchtig; indem es die Niederungen und Höhenräusche unserer Alltagssprache, und damit unsere Alltags-Ängste und -Träume, schmerzhaft genau zur Darstellung bringt.
Vivisektion auf offener Bühne. Die vorbei gleitenden Lebensszenen sind alles andere als zielgerichtet, aber sie münden zwangsläufig in den Lebensrückblick in der roten Herzkammer. Wo das Orchester schweigt, wo die Singstimme der Klage nicht mehr Klang verleiht, wo jeder noch so verständnislose oder maulfaule "Gesprächspartner" - fehlt.