Paris im Herbst 1870: Seit Wochen wird die französische Hauptstadt von preußischen Truppen belagert, Bismarcks Armeen lassen niemanden herein oder heraus. Alle Verbindungen sind abgerissen, selbst das Telegrafenkabel am Grunde der Seine haben die Angreifer gekappt. Da steigt am 7. Oktober um 11 Uhr morgens ein Ballon in den bleiernen Himmel: Leon Gambetta, ein junger, aber bereits sehr erfolgreicher Anwalt und Parlamentsabgeordneter, schlägt sich auf abenteuerliche Weise nach Tours durch. Dort in der Provinz wird der Führer der linken Opposition den militärischen Widerstand organisieren. Gegen Bedenken und Einwände der Generäle, gegen alle Rückzugspläne beschwört Gambetta, der 32-jährige Zivilist, den revolutionären Geist von 1792. Als Minister einer "provisorischen Regierung der Nationalen Verteidigung" ruft er die Bürger Frankreichs zur levée en masse, zur Bildung einer Volksarmee, ja zum Guerillakrieg auf:
"Nehmt den Feind unter Feuer, wo ihr ihn treffen könnt. Immer und überall, bei Tag und auch in der Nacht. Es gibt keine Pause, kein Zurückweichen."
Kaiser Napoleon III. dagegen hatte bereits nach der ersten größeren Schlacht bei Sedan kapituliert, war in preußische Gefangenschaft gegangen. Das war die Stunde des leidenschaftlichen Republikaners Gambetta. Am 4. September proklamiert der begabte Redner nach einer stürmischen Parlamentsdebatte in Paris die Dritte Republik. Jene Aufbruchstimmung, die Gambetta zu erzeugen versteht, spiegelt sich, wenn auch leicht ironisch gebrochen, in einem Brief, den der Dichter Stéphane Mallarmé noch am Abend dieses denkwürdigen Tages an seinen provenzalischen Kollegen Fréderic Mistral schickt:
"Ein Tag, der so bitter begann, hätte nicht grandioser enden können. Jetzt ist es also an Ihnen, vom Balkon des Rathauses von Avignon herab die Republik der Provence auszurufen!"
Diese mitten im Krieg ausgerufene Republik galt es nun zu verteidigen, nicht nur gegen die Preußen, sondern vor allem gegen die Entourage von Napoleon III., gegen eine Politiker- und Bürokraten-Kaste, der Gambetta als eloquenter Jurist den Staatsstreich vom Dezember 1851 niemals nachsehen mochte:
"Um einen Prätendenten haben sich Männer gesammelt, die weder Talent noch Ehre besaßen, Leute jener Art, die zu allen Zeiten die Genossen der Gewaltstreiche sind. Und mit diesen Helfern säbelt man Staatseinrichtungen und Gesetze nieder, und das menschliche Gewissen ist machtlos, dagegen zu handeln, trotz jener Denker und Märtyrer, die dagegen protestieren, dass der Glaube geopfert, die Moral verletzt, das Recht zerstampft wird unter dem Stiefel eines Soldaten."
Mit Soldaten dieses alten Schlages war kein Staat zu machen, das wusste der Innen- und Kriegsminister nur zu gut. Also setzte Gambetta junge Kommandeure ein, verstärkte neben der regulären Armee die improvisierten Freikorps der "franc-tireurs". In einem seiner zahlreichen "militärischen Telegramme" - oft genug von Brieftauben durch die preußischen Linien gebracht - heißt es:
"Tours, den 26. November 1870.
Der Minister an die Präfekten :
Gestern haben 100 Nationalgardisten, 100 gardes mobiles aus Gers und 40 Franc-Tireurs die Preußen bei Saint-Agil angegriffen und ihnen erhebliche Verluste zugefügt. Auf unserer Seite gab es zwei Tote, drei Verletzte."
Gegen die Übermacht des gut gedrillten Preußenheeres bleibt dieser Kleinkrieg aussichtslos. Am 20. Januar 1871 kapituliert Paris, zwei Wochen später muss sich auch Gambetta in sein Schicksal fügen. Er tritt von seinem Regierungsamt zurück, bleibt aber bei seinen Überzeugungen, über die der Schriftsteller Gustave Flaubert spottet:
"Wenn man klüger gewesen wäre, hätte man nicht geglaubt, dass allein das Wort 'Republik' genügt, eine Million wohldisziplinierter Soldaten zu besiegen."
Zumindest auf politischem Terrain hält Gambetta einen späten Sieg über den Erbfeind Preußen weiterhin für möglich. Aus Protest gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen legt er sein Abgeordnetenmandat für das Département Bas-Rhin nieder und prägt die berühmte Losung für eine auf Jahrzehnte einflussreiche Revanche-Bewegung gegen Deutschland:
"Niemals davon sprechen, immer daran denken!"
Dann aber verstummt Léon Gambetta, der Volkstribun, am 31. Dezember 1882 endgültig: Der 44-jährige Jurist stirbt an Blutvergiftung infolge einer Schussverletzung, die dieser so wenig soldatische Militärstratege sich beim Reinigen der Pistole zugezogen hat.
"Nehmt den Feind unter Feuer, wo ihr ihn treffen könnt. Immer und überall, bei Tag und auch in der Nacht. Es gibt keine Pause, kein Zurückweichen."
Kaiser Napoleon III. dagegen hatte bereits nach der ersten größeren Schlacht bei Sedan kapituliert, war in preußische Gefangenschaft gegangen. Das war die Stunde des leidenschaftlichen Republikaners Gambetta. Am 4. September proklamiert der begabte Redner nach einer stürmischen Parlamentsdebatte in Paris die Dritte Republik. Jene Aufbruchstimmung, die Gambetta zu erzeugen versteht, spiegelt sich, wenn auch leicht ironisch gebrochen, in einem Brief, den der Dichter Stéphane Mallarmé noch am Abend dieses denkwürdigen Tages an seinen provenzalischen Kollegen Fréderic Mistral schickt:
"Ein Tag, der so bitter begann, hätte nicht grandioser enden können. Jetzt ist es also an Ihnen, vom Balkon des Rathauses von Avignon herab die Republik der Provence auszurufen!"
Diese mitten im Krieg ausgerufene Republik galt es nun zu verteidigen, nicht nur gegen die Preußen, sondern vor allem gegen die Entourage von Napoleon III., gegen eine Politiker- und Bürokraten-Kaste, der Gambetta als eloquenter Jurist den Staatsstreich vom Dezember 1851 niemals nachsehen mochte:
"Um einen Prätendenten haben sich Männer gesammelt, die weder Talent noch Ehre besaßen, Leute jener Art, die zu allen Zeiten die Genossen der Gewaltstreiche sind. Und mit diesen Helfern säbelt man Staatseinrichtungen und Gesetze nieder, und das menschliche Gewissen ist machtlos, dagegen zu handeln, trotz jener Denker und Märtyrer, die dagegen protestieren, dass der Glaube geopfert, die Moral verletzt, das Recht zerstampft wird unter dem Stiefel eines Soldaten."
Mit Soldaten dieses alten Schlages war kein Staat zu machen, das wusste der Innen- und Kriegsminister nur zu gut. Also setzte Gambetta junge Kommandeure ein, verstärkte neben der regulären Armee die improvisierten Freikorps der "franc-tireurs". In einem seiner zahlreichen "militärischen Telegramme" - oft genug von Brieftauben durch die preußischen Linien gebracht - heißt es:
"Tours, den 26. November 1870.
Der Minister an die Präfekten :
Gestern haben 100 Nationalgardisten, 100 gardes mobiles aus Gers und 40 Franc-Tireurs die Preußen bei Saint-Agil angegriffen und ihnen erhebliche Verluste zugefügt. Auf unserer Seite gab es zwei Tote, drei Verletzte."
Gegen die Übermacht des gut gedrillten Preußenheeres bleibt dieser Kleinkrieg aussichtslos. Am 20. Januar 1871 kapituliert Paris, zwei Wochen später muss sich auch Gambetta in sein Schicksal fügen. Er tritt von seinem Regierungsamt zurück, bleibt aber bei seinen Überzeugungen, über die der Schriftsteller Gustave Flaubert spottet:
"Wenn man klüger gewesen wäre, hätte man nicht geglaubt, dass allein das Wort 'Republik' genügt, eine Million wohldisziplinierter Soldaten zu besiegen."
Zumindest auf politischem Terrain hält Gambetta einen späten Sieg über den Erbfeind Preußen weiterhin für möglich. Aus Protest gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen legt er sein Abgeordnetenmandat für das Département Bas-Rhin nieder und prägt die berühmte Losung für eine auf Jahrzehnte einflussreiche Revanche-Bewegung gegen Deutschland:
"Niemals davon sprechen, immer daran denken!"
Dann aber verstummt Léon Gambetta, der Volkstribun, am 31. Dezember 1882 endgültig: Der 44-jährige Jurist stirbt an Blutvergiftung infolge einer Schussverletzung, die dieser so wenig soldatische Militärstratege sich beim Reinigen der Pistole zugezogen hat.