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Leinen: Verteuerung von CO2-Zertifikaten ist kein Dolchstoß gegen die Industrie

Eine Verteuerung von CO2-Zertifikaten, wie es EU-Kommissarin Connie Heedegard plant, habe die Industrie bereits einkalkuliert, sagt Jo Leinen (SPD). Dieser Schritt sei "eine notwendige Korrektur", damit der Emissionshandel wieder funktionsfähig sei, ergänzt der EU-Parlamentarierer.

Benjamin Hammer im Gespräch mit Jo Leinen |
    Benjamin Hammer: Um 20 Prozent soll der Ausstoß von Kohlendioxid in der Europäischen Union sinken, noch acht Jahre bleibt Zeit für dieses Ziel. Damit das gelingt, soll der Ausstoß von CO2 den Emittenten so richtig wehtun - das war zumindest der Plan. Seit 2005 gibt es den sogenannten Emissionshandel. Nach Ansicht von Kritikern war er bisher aber nicht viel mehr als ein Papiertiger. Heute will sich die zuständige EU-Kommissarin melden: Connie Heedegard will den Emissionshandel kräftig verschärfen. In Europa sorgt allein die Ankündigung für Unruhe.

    Die EU-Kommission will den Ausstoß von CO2 für die Industrie teurer machen und heute Mittag sollen dazu nähere Pläne vorgestellt werden. Aber auch im Vorfeld werden die Ankündigungen der Kommission aufmerksam verfolgt. Es geht einfach um sehr viel Geld. Die Industrie hat sich bereits zu Wort gemeldet, Umweltverbände und Abgeordnete des Europäischen Parlaments, die an der Gesetzgebung ja unmittelbar beteiligt sind. Einer von ihnen ist Jo Leinen, er sitzt für die Sozialdemokraten im Parlament und ist auch im Umweltausschuss vertreten. Mit Jo Leinen bin ich jetzt am Telefon verbunden. Guten Morgen, Herr Leinen!

    Jo Leinen: Guten Morgen, Herr Hammer.

    Hammer: Herr Leinen, die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, dass der Preis für eine Tonne CO2 in Zukunft von sechs auf 40 Euro steigen soll. Ein konkretes Papier liegt noch nicht auf de Tisch. Wissen Sie denn schon Genaueres?

    Leinen: Ich weiß, dass wir zu viele Zertifikate im Markt haben. Von daher funktioniert das System nicht mehr. Es gibt keinen Handel mit CO2-Zertifikaten, weil einfach zu viel angeboten wird und der Preis im Keller ist, das System hat eigentlich sein Ziel nicht mehr im Auge, und dass wir eine Korrektur machen müssen. So viel ist, glaube ich, klar.

    Hammer: Und wissen Sie, wie die Korrektur beziehungsweise wie die Initiative der Kommissarin aussehen könnte?

    Leinen: Die Kommission hat die Möglichkeit, bei Beginn der dritten Handelsperiode - das ist am 1. Januar 2013 - eine gewisse Menge von Zertifikaten nicht auf den Markt zu bringen, also sozusagen das Angebot zu verknappen, indem Zertifikate zurückgehalten werden, entweder permanent, oder auch für ein paar Jahre, wo vielleicht dann der Wirtschaftsaufschwung wieder da ist und der Markt selbst diese Regulierungsfunktion einnimmt. Das ist, glaube ich, der Vorschlag, der heute kommen wird. Dann wird man sich noch streiten, wie viel Millionen Zertifikate zurückgehalten werden.

    Hammer: Jetzt ist jahrelang kaum was passiert, sagen die meisten Beobachter. Jetzt auf einmal ein Vorstoß, der ziemlich intensiv werden könnte. Europa befindet sich jetzt in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Würgen wir die Wirtschaft mit einer Verteuerung von CO2-Zertifikaten jetzt nicht ab?

    Leinen: Nein. Die Industrie hatte ja bei Einführung des Systems durchaus mit den kalkulierten Preisen von 20 bis 30 Euro pro Tonne CO2 gerechnet. Wir liegen jetzt schon längere Zeit bei sechs bis sieben Euro. Also da sind ja viele Milliarden in die Kassen gekommen, die nicht abgeflossen sind und in den Kalkulationen drin waren. Man muss auch sagen, dass die Zertifikate bisher ja kostenlos waren. Die Firmen konnten handeln mit etwas, was sie gratis bekommen haben, auch was sie in ihre Kalkulation eingeführt haben. Es gibt ja die berühmten windfall profits bei den Energieversorgern, dann hat eher der Verbraucher bezahlt, aber nicht die jeweilige Firma. Also ich glaube, das Gejammer gehört zum Geschäft und es wird hier kein Dolchstoß gegen die Industrie in Europa geführt, sondern eine notwendige Korrektur, damit das Herzstück der Klimaschutzpolitik in Europa, der Emissionshandel, wieder funktionsfähig ist.

    Hammer: Wenn wir uns aber zum Beispiel die Schwerindustrie außerhalb von Europa angucken, in China zum Beispiel, die freuen sich, die pusten auch in Zukunft CO2 kostenlos in die Luft.

    Leinen: In der Tat ist das ja im System drin, dass wir kein Carbon leakage wollen, das heißt, dass die Emissionen dann sonst wo entstehen und der Klimaschutz, die Erdatmosphäre nichts davon hat. Die Kommission hat ja vor ein paar Monaten die Ausnahmeregelungen veröffentlicht für Beihilfen und Deutschland wird ja auch der Aluminiumindustrie, der Kupferindustrie, der Stahlindustrie, diese drei Kernindustrien möchte ich mal nennen, Ausnahmen genehmigen. Diese Industrien sind auch von der Ökosteuer befreit. Und das ist richtig: Europa wird irgendwann mal auch über Maßnahmen an unseren Außengrenzen nachdenken müssen. Wenn China, Brasilien, andere nicht Ähnliches tun, dann wäre es gerechtfertigt, dass die Importe von Stahl oder von Kupfer auch einen Klimaschutzzoll bekommen mit einer CO2-Abgabe.

    Hammer: Herr Leinen, schauen wir noch mal nach Deutschland. Die Energiewende ist ja hier ziemlich ins Stocken geraten und finanziert werden soll die Wende unter anderem mit den Einnahmen aus den CO2-Zertifikaten. Deutschland hat mit 17 Euro je Tonne gerechnet, aktuell sind es eben nur so rund sechs Euro. Können wir uns die Energiewende damit überhaupt leisten?

    Leinen: Finanzminister Schäuble wäre sicherlich glücklich, wenn dieser CO2-Preis jetzt angehoben wird, weil das bringt Geld in diesen Klimaschutzfonds, mit dem ja die Energiewende, Energieeffizienz, erneuerbare Energien, aber auch Investitionen in die Innovation und Modernisierung unserer Industrie fließen sollen, und dieser Topf ist reichlich ebbe. Da kommt nicht viel raus, weil nicht viel reinkommt.

    Hammer: Kurze Frage noch. Connie Heedegard wendet sich heute auch an Sie, das Parlament, und sie will Sie auffordern, ihr weitreichende Eingriffe in den Emissionshandel zu erlauben. Macht das Parlament da mit?

    Leinen: Weitreichende Eingriffe heißt ja nur, dass die Kommission ermächtigt wird, in der dritten Handelsperiode diese Zertifikate zurückzuhalten. Der Umweltausschuss des EP hat sich vor Kurzem dazu geäußert. Wir waren der Meinung, es sind 1,4 Milliarden Zertifikate zu viel im Markt. Also das Parlament, meines Erachtens, wird mitgehen. Die Frage ist, was die 27 Mitgliedsländer und ihre Regierungen tun. Da wird der Widerstand kommen.

    Hammer: Das war Jo Leinen, Europaabgeordneter der SPD und Mitglied im Umweltausschuss, hier im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank!

    Leinen: Auf Wiederhören!

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