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Leipziger Streichquartett spielt Arrangements
Fidelio zu viert

Neben dem bekannten Quartett-Kanon nimmt sich das Leipziger Streichquartett gerne Werke abseits der gängigen Literatur vor. Sein neustes Experiment: Beethoven-Originale bearbeitet für vier Streicher. Das Ergebnis ist überraschend.

Am Mikrofon: Klaus Gehrke |
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    Das Leipziger Streichquartett: v.l. Ivo Bauer (Viola), Tilman Büning (Violine), Matthias Moosdorf (Violoncello) und Conrad Muck (Violine) (Ludwig Olah)
    Mit der Gattung Streichquartett hat sich Ludwig van Beethoven zeit seines Lebens intensiv auseinander gesetzt und 17 große Werke dafür komponiert. Die sind dem Leipziger Streichquartett bestens bekannt - beispielsweise tourte das Ensemble zwischen 2007 bis 2009 mit Beethovens Quartetten durch 15 Musikmetropolen der Welt und hat diese Meisterwerke selbstverständlich auch eingespielt. Für ihre vor Kurzem veröffentlichte CD wählten die Musiker aber bekannte Kompositionen von ihm in eher unbekannten Bearbeitungen für Streichquartett aus. Die Aufnahme ist beim Label Musikproduktion Dabringhaus und Grimm erschienen.
    Musik: Ludwig van Beethoven, "Fidelio"-Ouvertüre (Fassung für Streichquartett)
    Eigentlich ist sie für großes Orchester konzipiert, aber auch in der Fassung für zwei Violinen, Viola und Violoncello präsentiert sich die Ouvertüre zur Oper "Fidelio" als markantes zupackendes Werk – eben einer Eröffnung angemessen.
    "Fidelio" gelingt auch zu viert
    Ob die Bearbeitung tatsächlich von Beethoven stammt, wird im Booklet der CD zwar nicht erwähnt, doch ist es durchaus vorstellbar, dass der äußerst geschäftstüchtige Komponist neben dem obligatorischen Klavierauszug auch dieses Arrangement für Streichquartett erstellt hat. Denn die heute eher belächelte Hausmusik spielte im 19. Jahrhundert eine immense Rolle: In Zeiten, in denen öffentliche Konzerte nicht die Regel, sondern ein gesellschaftliches Ausnahmeereignis waren, übernahm sie die Musikvermittlung in den gebildeten Kreisen. Bei privaten Festen wurden am heimischen Klavier oder zusammen mit den Quartett spielenden Freunden neu erschienene Werke vorgestellt – und damit bekannt gemacht. Das Leipziger Streichquartett interpretiert Beethovens "Fidelio"-Ouvertüre kraftvoll, federnd und mit überaus farbigen Klangfacetten, die den orchestralen Charakter des Originals erahnen lassen.
    Musik: Ludwig van Beethoven, "Fidelio"-Ouvertüre (Fassung für Streichquartett)
    Im Mittelpunkt der CD steht ein Werk, das ebenfalls durchaus orchestrale Züge aufweist, von Beethoven aber für nur ein einziges Instrument konzipiert wurde: die Sonate Nr. 29 in B-Dur, op. 106, die sogenannte "Hammerklavier-Sonate". Sie entstand zwischen 1817 und 1818, einer Zeit, in der Beethoven völlig ertaubt war, erbittert um das Sorgerecht für seinen Neffen Karl stritt und in finanziellen Engpässen steckte. Trotz der wenig erfreulichen Umstände schrieb er ein Werk, das als Opus summum der klassischen Klavierliteratur gilt und aufgrund seiner enormen technischen Schwierigkeiten bis heute eine pianistische Herausforderung ist.
    Bearbeitungen im 20. und 21. Jahrhundert
    Knapp 100 Jahre nach Beethovens Tod erstellte der Dirigent Felix Weingartner von der Sonate eine Bearbeitung für Orchester, die 1926 in Essen uraufgeführt wurde. Die vom Leipziger Streichquartett eingespielte Fassung stammt von David Plylar. Der US-amerikanische Pianist und Komponist, der mehrere große Orchesterkompositionen beispielsweise von Brahms oder Mahler für Klavier solo oder kleine Kammermusikbesetzungen arrangiert hat, fertigte seine Version der Hammerklaviersonate für Streichquartett 2015 an und transponierte sie von der originalen Tonart B-Dur nach C-Dur. In Beethovens Originalkomposition hat der Pianist im ersten Satz mit den wuchtigen Akkorden nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes alle Hände voll zu tun, sondern lotet danach in großen dynamischen Spannungsbögen die extremen Lagen der Klaviatur aus.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Sonate Nr. 29, op. 106, 1. Satz (Fassung für Streichquartett)
    Plylars Streichquartettfassung wirkt etwas lyrischer als das Original, ist dabei aber keineswegs weniger zupackend. Wie dem Pianisten am Klavier wird auch den vier Streichern technisch einiges abverlangt:
    Musik: Ludwig van Beethoven, Sonate Nr. 29, op. 106, 1. Satz (Fassung für Streichquartett)
    Die Exposition des Kopfsatzes mit dem Leipziger Streichquartett macht die Anforderungen an die Ausführenden sofort klar: Vor allem die beiden Violinen müssen höchste Lagen in zum Teil halsbrecherischem Tempo und sauberster Artikulation bewältigen. Doch das gelingt Conrad Muck und Tilman Büning sowie ihren Kollegen Ivo Bauer, Viola, und Matthias Moosdorf, Violoncello, souverän. Darüber hinaus heben sie mit präziser Phrasierung und feiner dynamischer Abstimmung die Melodiebögen hervor und lassen Beethovens komplexe motivisch-thematische Durchführungskunst deutlich hervortreten.
    Unerwarteter Tiefgang
    Schon in der originalen Klavierfassung wirkt das kurze, dahin huschende Scherzo wie eine vom Komponisten eingeschobene Bagatelle. Doch die hat enormen Tiefgang und die zum Teil düsteren Stimmungen und schroff eigensinnigen harmonischen Wendungen zeigen eindrücklich, dass Beethoven hier nicht an ein entspanntes Intermezzo dachte. Das verdeutlicht die Bearbeitung für Streichquartett ebenfalls in eindrücklicher Weise.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Sonate Nr. 29, op. 106, 2. Satz (Fassung für Streichquartett)
    Das Leipziger Streichquartett, das 2018 sein 30-jähriges Bestehen feiert, gehört zu den renommiertesten und vielseitigsten Ensembles in Deutschland. Das mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Quartett hat sich ein immenses Repertoire erarbeitet, das sowohl die bekannten Werke der Klassik und Romantik als auch Musik des 20. und 21. Jahrhundert umfasst. Unter seinen knapp 70 bisher veröffentlichten CDs befinden sich Gesamtaufnahmen beispielsweise der Quartette von Mozart, Mendelssohn Bartholdy und Brahms sowie der Zweiten Wiener Schule mit Schönberg, Berg und Webern.
    Verblüffende Parallelen
    Gerne spielen die vier Musiker auch Werke abseits der gängigen Quartettliteratur – wie etwa die Bearbeitungen Beethovenscher Originalkompositionen. Das Ergebnis ist im Falle der Hammerklavier-Sonate verblüffend: Viele Passagen daraus weisen interessante Parallelen zu Beethovens späten Streichquartetten auf. Das gilt besonders für den Beginn des letzten Satzes mit seiner quasi improvisatorischen Einleitung, die dann plötzlich in das markante Fugenthema einleitet. Und bei dieser Fuge nimmt Beethoven sich durchaus einige Freiheiten.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Sonate Nr. 29, op. 106, 4. Satz (Fassung für Streichquartett)
    Das war ein Ausschnitt aus dem Finale der Hammerklavier-Sonate von Ludwig van Beethoven in der Bearbeitung von David Plylar, gespielt vom Leipziger Streichquartett. Das dritte Werk auf dieser sehr hörenswerten CD führt noch einmal zurück zum "Fidelio" und den für den Komponisten sehr mühevollen Weg im Ringen um die endgültige Gestalt seiner einzigen Oper. Nach der missglückten Premiere 1805 kam das Werk ein Jahr später in einer überarbeiteten Fassung auf die Bühne - und wurde damals eröffnet durch die "Leonoren-Ouvertüre" Nr. 3. Sie erklang auch 1814, nachdem Beethoven die Oper nochmals einer eingehenden Revision unterzogen hatte, bei der dritten und bis heute gültigen Fassung – aber nur, weil die neue "Fidelio-Ouvertüre" noch nicht fertig war. Allerdings dürfte dieses effektvolle und heute überaus beliebte Konzertstück, das auch in Beethovens Streichquintett-Arrangement sehr gut wirkt, damals schon längst seine Hausmusik-Fans gefunden haben.
    Musik: Ludwig van Beethoven, Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 C-Dur, op. 72b (Fassung für Streichqaurtett)
    Das war ein Ausschnitt aus der "Leonoren-Ouvertüre Nr. 3" von Ludwig van Beethoven in einer Kammermusikfassung mit dem Bratscher Peter Michael Borck und dem Leipziger Streichquartett. Deren neue CD mit Beethoven-Bearbeitungen ist beim Label Musikproduktion Dabringhaus und Grimm erschienen – und eine interessante und sehr gelungene Erweiterung des Kammermusikrepertoires.
    Ludwig van Beethoven
    Große Sonate für das Hammerklavier op. 106
    Ouvertüre Leonore Nr. 3 op. 72b
    Ouvertüre Fidelio op. 72c
    (Fassungen für Streichquartett)

    Leipziger Streichquartett
    Label: Musikproduktion Dabringhaus und Grimm, LC: 06768, MDG 307 2072-2