Erst der Nachweis zahlloser Plagiatsfälle beendete die Karriere des australischen Neurologen Paul McCrory. Der konnte als Chefredakteur einer einflussreichen Fachzeitschrift und Vorsitzender der “Concussion Consensus Group” lange eine dubiose Rolle bei der Bagatellisierung der Langzeitrisiken von Gehirnerschütterungen in Kontaktsportarten spielen. Die Personalie ist aber nicht das einzige Problem, wenn es um eine teilweise von Profi-Ligen finanzierte Grundlagenforschung geht. Die Influncer ignorieren noch immer das Los von weiblichen Sportlern und Athleten im Teenager-Alter.
Wir wissen aus der Geschichte des Dopings: Zu jenen, die Sportler mit leistungsfördernden Mitteln versorgen, gehören immer wieder Menschen, die den Hippokratischen Eid geschworen haben. Die eigentlich ihre Patienten vor Schaden und willkürlichem Unrecht bewahren sollten. Die aber eher an die Ärzte in den Werbekampagnen amerikanischer Zigarettenhersteller in den vierziger Jahren erinnern.
Einige Mediziner wirken wie Adjutanten der Profiligen
Bei einem der großen Gesundheitsthemen im Sport der letzten Jahre - Gehirnerschütterungen und deren massive gesundheitliche Langzeitfolgen – spielen einmal mehr Mediziner eine wichtige Rolle. Aber einige der prominentesten von ihnen wirken eher wie Adjutanten jener Ligen im Football, Rugby, Fußball oder Eishockey, die dem anschwellenden Chor der Warnungen den Anstrich des Spekulativen geben. Das Ziel: Folgenreiche Regeländerungen verhindern, um die Popularität und den kommerziellen Erfolg nicht aufs Spiel zu setzen.
Man denke an den Neurologen Paul McCrory, der 2016 die Maxime ausgab: "Können wir diese Debatte beeinflussen? Sind wir in der Lage, diese Sportarten und Verletzungen nicht zu dämonisieren und herauszustreichen, was für Leitlinien existieren? Wie wir Leute weiterbilden?”
McCrory bestritt unter anderem einen Zusammenhang zwischen akuten Gehirntraumata auf dem Spielfeld und Langzeitschäden. Eine Debatte, die aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse längst beendet sein sollte. Und er ritt immer wieder eines seiner Steckenpferde: Frühe Demenz oder Depressionen bis hin zum Suizid bei Athleten könnten genauso gut auf den Konsum von harten Drogen zurückzuführen sein. Was ihm half, solche Behauptungen zu propagieren: Der Australier war Vorsitzender eines fächerübergreifenden Symposiums – der sogenannten Concussion Consensus Group. Ziel: Alle vier Jahre Leitlinien für Ärzte im Umgang mit Patienten weltweit zu formulieren.
20 Arbeiten unter Plagiatsverdacht
“War” ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Wort. Denn nachdem der Professor vor ein paar Monaten als Serientäter in Sachen Plagiat überführt wurde, gab er den Posten auf. Die Recherchen hatte Nick Brown vorangetrieben, als erste Mutmaßungen auftauchten. Der englische IT-Spezialist und Doktor der Psychologie ist so etwas wie ein Internet-Detektiv in Sachen geistiger Diebstahl und fand binnen kurzer Zeit 20 anrüchige Arbeiten.
McCrory war für seine Copy-and-Paste-Aktionen bestens positioniert, nachdem er sich auf den Posten des Chefredakteurs des angesehenen “British Journal of Sports Medicine” hochgehangelt hatte und dort fleißig publizierte. Und er war bestens vernetzt - etwa als Berater der Australian Football League, der Formel 1, des IOC und der FIFA.
"Wer schlampig schreibt, arbeitet oft auch schlampig"
Gewissenloses Abschreiben, sagte Plagiatsfahnder Nick Brown dem Deutschlandfunk, ist in der Wissenschaft meistens ein Signal für mehr: “Meiner Erfahrung nach arbeiten Leute, die schlampig schreiben, auch ansonsten schlampig. Was nicht bedeutet, dass so jemand zwangsläufig seine Daten fälscht. Aber wir alle kennen Menschen, die immer an Grenzen gehen, die immer Regeln brechen. In einigen Dingen des Lebens neigen diese Menschen dazu, die Regeln sehr oft zu brechen.”
Auch bei McCrory war Abschreiben nicht das einzige Problem. In Fachkreisen wurde dem Australier schon seit längerem vorgeworfen, er würde wichtige Erkenntnisse aus der Forschung falsch zitieren und so die Risiken verharmlosen.
Die Fixierung auf eine einzelne Person lenkt allerdings von einem grundsätzlichen Problem rund um die Consensus Group ab, sagt Kathleen Bachynski, Professorin für Öffentliche Gesundheit in Pennsylvania und Autorin des footballkritischen Buchs “No Game for Boys to Play”.
Kaum Forschung zu Frauen und Mädchen
So fehlt diesem exklusiven Kreis von Wissenschaftlern das Interesse an einer ganzen Reihe von Fragen abseits vom Profisport. Seien es die Risiken für junge Amateure oder wenn es um die Geschlechterthematik bei Gehirnerschütterungen geht:
Die Forschung beschäftigt sich zu 90% mit Männern und nur zu etwa 10% mit Mädchen und Frauen. Dabei gibt es Untersuchungen, die darauf hin deuten, dass es eine Reihe von Sportarten gibt, in denen weibliche Aktive mehr Gehirnerschütterungenerleiden als männliche. Wir wissen nicht, ob das daran liegt, dass Frauen aus irgendeinem biologischen oder hormonellen Grund mehr Gehirnerschütterungen erleiden. Oder ob sie eher bereit sind, Gehirnerschütterungen zu melden. Es könnte eine Mischung aus mehreren Faktoren sein. In den Konsensleitlinien werden sie jedoch so gut wie gar nicht berücksichtigt.”
In einem Artikel für die Online-Plattform Statnews schrieb Bachynski in dieser Woche: Der Status quo lasse Sportler in allen Bereichen im Stich, von den NFL-Stars bis hin zu 11-jährigen Kindern. Dabei hätten alle Athleten etwas gemeinsam: “Sie haben nur ein Gehirn, das ihnen ein Leben lang erhalten bleiben muss. Es ist höchste Zeit, dass wir eine internationale Gruppe für Gehirnerschütterungen einrichten, die diesem wichtigen Ziel Priorität einräumt.”
Weiterführender Link: Die Concussion Legacy Foundation ist eine gemeinnützige Organisation, die Sportler mit Folgeschäden von Gehirnerschütterungen unterstützten will. Weiteres Ziel ist es, den Sport sicherer zu machen.