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Leitzinsen fallen auf 0,75 Prozent

Auf den günstigsten Satz seit der Euro-Einführung hat die Europäische Zentralbank die Leitzinsen gesenkt. Die Kosten für die Refinanzierung der Banken reduzieren sich also. Ob die Euro-Schuldenkrise damit zu lindern ist, bleibt fraglich.

Von Michael Braun |
    Es ist nicht die Kaufkraft des Euro, die den Zentralbankrat derzeit umtreibt. Trotz einer aktuellen Inflationsrate von 2,4 Prozent glaubt die EZB, das Ziel von knapp zwei Prozent werde 2013 wieder erreicht, vielleicht schon früher. Auch Angst vor einer Deflation, vor fallenden Preisen, die unweigerlich in eine Stagnation führen, hat die EZB nicht.

    Was sie umtreibt, sind die Wachstumsschwäche und das immer noch krisenhafte Misstrauen der Banken untereinander, die sich gegenseitig kaum Geld leihen und auch die Gelder der EZB letztlich wieder bei der Zentralbank parken, sie also nicht in Form von Krediten an die Unternehmen weitergeben.

    Deshalb hat die Zentralbank heute an mindestens zwei Stellschrauben gedreht. Sie hat den Leitzins um einen viertel Prozentpunkt auf 0,75 Prozent gesenkt. Und sie hat den Zins, den sie Banken für Einlagen bei der Zentralbank zahlt, auf Null gesetzt. Einstimmig seien diese Beschlüsse gefallen, sagte EZB-Präsident Mario Draghi, auch der Bundesbankpräsident hat also mit gestimmt.

    800 Milliarden Euro haben Banken derzeit bei der EZB geparkt. Zinsen dafür bekommen sie in Zukunft nicht mehr. Das sollte ein Signal sein, ein Signal vor allem an Unternehmen, optimistisch zu sein, nicht zögerlich, Kredite bei ihren Banken nachzufragen. Und darauf zu vertrauen, dass die EZB es an der Geldversorgung der Kreditinstitute nicht fehlen lassen werde.

    "Die Erwartungen, die wir mit dem Einlagenzins von null Prozent verbinden? Wir wollen signalisieren, dass wir die Geldpolitik noch laxer gestalten wollen, natürlich unter der Bedingung, dass die Preisstabilität garantiert bleibt. Sind diese Erwartungen geweckt, hat das einen positiven, stimulierenden Effekt."

    Die Leitzinssenkung auf erstmals weniger als ein Prozent spielte in den Erläuterungen Draghis kaum eine Rolle. Am Markt auch nicht. Der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken etwa ließ wissen, der niedrigere Leitzins trage "angesichts der ohnehin schon niedrigen Zinsen am Geldmarkt nur wenig zur Belebung der Konjunktur im Euroraum bei." Die null Prozent für die Einlagen der Banken wurden von einem Chefvolkswirt dieser Bankengruppe, David Milleker von Union-Invest, dagegen schon eher gewürdigt:

    "Es ist wahrscheinlich sogar der wichtigere Punkt der heutigen Zinsentscheidungen, dass der Zins, der Einlagenfaszilitätszins, auf Null gesenkt wurde. Aus dem einfachen Grund: Man kann jetzt die Hoffnung haben, dass diese unglaublich großen 800 Milliarden, die bis jetzt von den Banken gehortet werden und nicht an die Realwirtschaft weitergegeben werden, vielleicht dann doch mal in den Wirtschaftskreislauf reinkommen und ein bisschen was fürs Wachstum tun."

    Dass all diese Beschlüsse notwendig waren, hat natürlich eine Kehrseite: Die Abwärtsrisiken für die Konjunktur nähmen zu, auch wenn die Lage lange nicht so schlimm sei wie 2007, als die Finanzkrise ausbrach. Aber mittlerweile müsse die EZB nicht mehr für einzelne schwache Länder handeln, sondern für die ganze Währungsunion, sagte er:

    "Wir sehen nun eine Wachstumsschwäche in der ganzen Eurozone, auch in dem Land oder in den Ländern, die das bisher nicht kannten. Unsere Maßnahme gilt also für die ganze Eurozone."

    "Nicht zwingend, aber vertretbar", so lautete ein weit verbreiteter Tenor zur Zinspolitik der EZB heute. Kräftige Zustimmung sieht anders aus. Die Aktienkurse fielen, der Euro auch - und zwar unter die Marke von 1,24 Dollar. Dass Irland sich heute erstmals seit Herbst 2010 wieder ohne Hilfen Geld bei Anlegern besorgen konnte – für Draghi war es ein Grund zu feiern. Die Märkte schauten darüber hinweg. Den von Draghi erspähten Lichtblick sehen sie nicht.

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