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Lengsfeld: Wulff muss zurücktreten

Nach Tage des Schweigens will sich Bundespräsident Christian Wulff nun im Fernsehen erklären. Für CDU-Politikerin Vera Lengsfeld kommt das zu spät. Sie fordert den Rücktritt von Wulff. Es sei die Zeit gekommen, sich für die Würde des Amtes starkzumachen.

Vera Lengsfeld im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Martin Zagatta: Ist der Bundespräsident noch zu halten, kann Christian Wulff nach seinen Drohanrufen bei der Springer-Presse noch weitermachen? Das scheinen, auch in der Berliner Koalition viele nicht mehr so recht zu glauben. Jedenfalls findet sich kaum noch jemand, der Wulff verteidigt. Der Bundespräsident will das nun offenbar selbst übernehmen – mit einem Fernsehinterview oder einer persönlichen Erklärung.
    Mit der früheren Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld, die – das haben wir ja eben schon gehört – nun als Erste aus dem Unionslager den Rücktritt von Wulff fordert, und zwar im Handelsblatt, in der Onlineausgabe, mit ihr sind wir jetzt verbunden. Guten Tag, Frau Lengsfeld.

    Vera Lengsfeld: Guten Tag.

    Zagatta: Sich als Erste da vorzuwagen, Frau Lengsfeld, das war ja sicher kein leichter Schritt. Was hat Sie dazu bewogen?

    Lengsfeld: Ein Blick in die sozialen Netzwerke. Zu einer Zeit, wo praktisch im Stundentakt neue Karikaturen, Videos und so weiter auftauchen, die sich über den Bundespräsidenten lustig machen, finde ich, dass die Zeit gekommen ist, für die Würde des Amtes sich starkzumachen.

    Zagatta: Sie haben eben gehört: Der Bundespräsident plant offenbar, nicht abzutreten, sich eventuell zu entschuldigen. Sie sagen, Sie sind jetzt da vorgeprescht, weil er im Internet in sozialen Netzwerken fast als Witzfigur behandelt wird. Hat Wulff noch eine Chance, da irgendwie die Kurve zu bekommen?

    Lengsfeld: Das sehe ich nicht. Ich weiß, er hat die letzten Tage verstreichen lassen ohne eine Erklärung. Ich kann nicht sehen, was er jetzt als Entschuldigung vorbringen will. Und im Grunde genommen hat er sein Fehlverhalten indirekt längst eingestanden, denn dass er diesen sogenannten rollierenden Kredit mit einem Zinssatz von 0,9 bis 2,1 Prozent, was kein Normalbürger kriegt, jetzt, zu Beginn der Kreditaffäre, ablösen ließ durch einen Festzinskredit, ist ja ein Eingeständnis, dass mit diesem Kredit etwas nicht in Ordnung war.

    Zagatta: Ist es diese Kreditaffäre, die Sie ihm da so sehr verübeln, dass er den Landtag dann in Niedersachsen vielleicht auch in die Irre geführt hat, oder sind das jetzt die Drohanrufe beim Springer-Verlag? Was stört Sie am meisten?

    Lengsfeld: Mich stört, dass offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen wird. Wir leben in einem Land, wo ein Müllfahrer, der 50 Euro entgegennimmt für die Entsorgung zusätzlicher Müllsäcke, zu einer Strafe von 1.000 Euro verurteilt wird, weil er Vorteile in seinem Amt genommen hat, und ein Kreditgebaren, was ganz verdächtig nach Vorteilnahme im Amt aussieht, soll einfach ungestraft davon kommen. Das finde ich nicht. Vor dem Gesetz sind alle gleich, und das muss für den Bundespräsidenten genauso gelten wie für den Müllfahrer in diesem Land.

    Zagatta: In Ihrer Partei hält man sich dennoch mit Kritik am Bundespräsidenten bisher zurück. Haben Sie denn jetzt keine Angst – Sie sind jetzt die Erste in der Union, die den Rücktritt fordert -, haben Sie keine Angst, jetzt als Nestbeschmutzerin zu gelten?

    Lengsfeld: Das sehe ich überhaupt nicht so. Wenn die Politik nicht mehr willens ist, die demokratischen Institutionen zu schützen – und ich finde, dass die derzeitige Situation so schädlich für das Amt des Bundespräsidenten ist -, dann müssen es die Bürger tun. Deshalb habe ich mich entschlossen, meine Meinung dazu zu sagen, und ich kann nur sagen, die Reaktion, was ich an E-Mails und so weiter bekomme, gibt mir recht. Weit über 80 Prozent sagen, ja, das sind die richtigen Worte zur richtigen Zeit gewesen. Wie gesagt, die Sache zieht sich ja schon über drei Wochen hin, der Bundespräsident hätte drei Wochen Zeit gehabt zu agieren, er hat das verstreichen lassen, und ich finde, damit hat er auch demonstriert, dass er die Öffentlichkeit nicht so ernst nimmt.

    Zagatta: Hat sich die Parteiführung in irgendeiner Form bei Ihnen auch schon gemeldet, bei Ihnen oder auf Ihrer Mailbox?

    Lengsfeld: Nein, das hat sie nicht. Ich nehme auch nicht an, dass sie das tun wird. Aber das würde mich jetzt auch nicht beeindrucken.

    Zagatta: Wundert es Sie denn, dass Sie da so alleine auf weiter Flur stehen, dass da in der Union großes Schweigen herrscht?

    Lengsfeld: Na ja, ich finde das schon bedauerlich. Wenn man mit den Kollegen zum Beispiel im Bundestag telefoniert, dann beschweren die sich alle über die Situation, sind alle entsetzt und finden das alles ganz unglücklich. Aber ja, ich würde mir da mehr Mut wünschen von den Kollegen, denn es geht ja hier nicht um eine innerparteiliche Affäre. Es geht um das höchste Amt unseres Staates und es geht um die Würde dieses Amtes, und deswegen habe ich auch gesagt, es geht gar nicht in erster Linie um Christian Wulff, sondern es geht um dieses Amt. Deshalb war ja Teil zwei meiner Forderung, um für die Zukunft zu verhindern, dass dieses Amt für parteipolitische Interessen instrumentalisiert wird, sollte in Zukunft der Bundespräsident vom Volk gewählt werden.

    Zagatta: Und Sie haben gleichzeitig auch vorgeschlagen, um aus dieser verfahrenen Situation herauszukommen, Wulffs ehemaligen Gegenkandidaten Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten zu machen. Ist das denn vorstellbar, nachdem Ihre Partei und nachdem Frau Merkel das ja ausdrücklich abgelehnt hat?

    Lengsfeld: Also ich weiß, dass Joachim Gauck in der CDU sehr große Sympathien genießt. Dass sich Frau Merkel mit ihrem Vorschlag in der Bundesversammlung durchgesetzt hat, heißt nicht, dass Gauck kein Kandidat wäre, der in der CDU zu vermitteln wäre. Im Gegenteil: Ich bin fest überzeugt, dass er einer der wenigen Menschen ist, die jetzt im Augenblick in der Lage sind, die Würde dieses Amtes zu bewahren, beziehungsweise dem Amt seine Würde zurückzugeben.

    Zagatta: Glauben Sie, dass er das überhaupt noch machen würde?

    Lengsfeld: Das weiß ich nicht. Ich bin nicht die Sprecherin von Joachim Gauck. Das waren meine Überlegungen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass er sich dieser Aufgabe stellen würde. Vor allen Dingen aber müssen jetzt die SPD und die Grünen beweisen, dass ihr damaliger Vorschlag kein bloßes parteitaktisches Manöver war. Sie könnten sich jetzt demonstrativ für ihren Kandidaten starkmachen. Und ich bin ganz sicher – auch das merke ich aus den Reaktionen -, dass dieser Vorschlag auf breiteste Zustimmung in der Bevölkerung treffen würde.

    Zagatta: Aber das wäre ja erst der zweite Schritt, Frau Lengsfeld. Sie selbst sollen ja ein sehr gutes Verhältnis zu Frau Merkel haben. Was erwarten Sie denn da jetzt von der Kanzlerin? Die hat ja offenbar – so interpretieren wir zumindest die neuesten Äußerungen aus Berlin – Wulff jetzt zu einer Entschuldigung gedrängt.

    Lengsfeld: Na das ist das Mindeste. Natürlich! Christian Wulff war der Vorschlag der Kanzlerin, sie hat sich damit durchgesetzt und sie muss jetzt dafür sorgen, dass das Amt des Bundespräsidenten nicht weiter beschädigt wird. Ob das mit einer Entschuldigung getan ist, das müssen wir abwarten.

    Zagatta: Wäre das für Sie noch denkbar? Wenn er jetzt klipp und klar sagt, ich habe da einen riesengroßen Fehler gemacht, ich entschuldige mich dafür, kann er dann noch mal davon kommen aus Ihrer Sicht?

    Lengsfeld: Das weiß ich nicht. Das kann ich nur beurteilen, nachdem ich gehört habe, was er uns heute Nachmittag sagen wird. Aber inzwischen ist die Situation so verfahren, dass ich mir schwer vorstellen kann, was er noch anbringen wird, was nicht nur mich, sondern auch die Mehrzahl der Bevölkerung überzeugen wird.

    Zagatta: Die CDU-Politikerin und frühere Bundestagsabgeordnete Vera Lengsfeld. Frau Lengsfeld, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

    Lengsfeld: Ja, bitte. Auf Wiederhören.

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