Archiv

Leonard Cohen und die Religionen
Gebrochenes Halleluja

Davids Harfe klingt über den Tod hinaus. Leonard Cohens berühmtester Song ist auch sein rätselhaftester: "Halleluja". Der Liedtext spielt mit jüdischen, christlichen und buddhistischen Motiven.

Von Gerald Beyrodt |
Der kanadische Sänger und Songwriter Leonard Cohen (9.10.2011).
Religion war für ihn immer "Rückbindung" - Singer-Songwriter Leonard Cohen (dpa / picture alliance / J.L. Cereijido)
Als Leonard Cohen seine letzte Pressekonferenz vor seinem Tod gab, teilte er der Öffentlichkeit und den Journalisten mit: Er gedenke nicht zu sterben. Oder hat er doch etwas Anderes gesagt?
"Ich glaube, ich habe neulich gesagt, ich sei bereit zum Sterben. Ich glaube, ich habe übertrieben. Von Zeit zu Zeit befällt einen die Selbst-Dramatisierung. Ich möchte ewig leben."
Gebrochenes Halleluja. Leonard Cohen und die Religionen. Eine Sendung von Gerald Beyrodt
Drei Wochen nach dieser Pressekonferenz war Leonard Cohen tot.
Jedes Wort, das Cohen hier zu Religion, Leben und Tod äußert, hat mindestens einen doppelten Boden, wie in vielen seiner Songs. Manche Worte haben auch einen drei- bis vierfachen Boden. Das Nachdenken über die Religion und die Religionen und auch das Zweifeln daran hat Cohen nie losgelassen.
Was genau war "übertrieben"? Das mit dem nahenden Tod? Oder war eher die Vorstellung übertrieben, man könne bereit sein zu sterben?
Kaum hat sich der alte Mann der Selbstdramatisierung bezichtigt, holt er zu einer viel größeren dramatischen Geste aus: Er wolle ewig leben, haucht er ins Mikrofon.
Das ewige Leben, eine wichtige Vorstellung in der christlichen Religion, als Punchline eines gelungenen Witzes – so wirkt es. Vielleicht ist der Witz so gut, weil er so viel Wahres enthält.
Cohen redet so, als hinge die Länge unseres Lebens von dem ab, was wir vorhaben. Aber möchte nicht jeder irgendwie ewig leben?
Komplexes Gotteslob
Viel Ironie und Unernst zu so einem ernsten Thema und so viel Ernst im Unernst: So doppelbödig Cohen bei der Pressekonferenz über Religion spricht, so äußert der geborene Jude, der sich häufig mit christlichen Motiven beschäftigte und jahrelang in einem Zen-Kloster lebte, auch in seinen Songs. Kein Gotteslob ohne doppelten Boden und kaum ein doppelter Boden ohne Gotteslob. Fast immer erfahren religiöse Inhalte bei Cohen eine Brechung, doch fast nie gibt er sie der Lächerlichkeit preis. Gerade in der Brechung wirken seine Songtexte ehrlich und gegenwärtig. Cohen oder sein lyrisches Ich sagt nichts, was er nicht glaubt. Deshalb sind seine Texte komplex und lohnen näheres Hinsehen.
Leonard Cohen wurde in Québec geboren - und zwar in eine jüdische orthodoxe Familie hinein. Sein Großvater mütterlicherseits war Rabbiner und Talmudkommentator, sein Großvater väterlicherseits Gründungspräsident des Canadian Jewish Congress.
Ein Kohen zu sein - das bedeutete Leonard schon als Kind etwas. Kohén bedeutet Priester.
Montreal würdigt Leonard Cohen mit einem riesigen Graffiti
Zu Montreal und der Sha‘ar-Haschomaim-Synagoge hielt Cohen eine starke Verbindung (AFP)
Die Verbindung zur Montrealer Sha‘ar-Haschomaim-Synagoge, zur Himmelstor-Synagoge, hat Cohen ein Leben aufrecht erhalten. Cohen hat sich für alle möglichen Religionen interessiert. Doch seinen Texten und Melodien ist anzumerken, dass er sich im Judentum hervorragend auskannte.
Now I've heard, there was a secret chord
That David played and it pleased the Lord
But you don't really care for music, do you?
It goes like this, the fourth, the fifth,
the minor fall, the major lifts,
the baffled* king composing: Hallelujah
"Ich habe gehört, es gab einen geheimen Akkord
den David spielte und der dem Herrn gefiel.
Aber Du machst dir nichts aus Musik, oder?
Er geht so: die Quarte, die Quinte,
Moll herunter, Dur herauf:
Der verwirrte König komponiert ein Halleluja"
Your faith was strong but you needed proof
You saw her bathing on the roof
Her beauty and the moonlight overthrew you
She tied you to a kitchen chair
She broke your throne and she cut your hair
And from your lips she drew the Hallelujah
"Dein Glaube war stark, doch Du brauchtest Beweise.
Du sahst sie auf dem Dach baden.
Ihre Schönheit und das Mondlicht übermannten Dich.
Sie band Dich an einen Küchenstuhl
Sie zerstörte deinen Thron und sie schnitt Dein Haar
und von den Lippen nahm sie dir dein Halleluja."
Kunst, Krieg, SM
Kunst, Sprache, Macht, Krieg, Frauen, Sex, SM und Machtlosigkeit: all diese Motive kommen vor: und fast alle haben mit König David zu tun.
Zunächst geht es um die Frage, wie man Gott ansprechen kann: mit einem geheimen Akkord nämlich. Dann folgt die erste Ernüchterung: "Doch du machst dir nichts aus Musik, oder?" Man kann sich hier fragen, wer eigentlich mit Du angesprochen wird. Die plausibelste Antwort: Gott hat nicht viel für Musik übrig.
Das entzieht dem Lied eigentlich den Boden, denn wenn Gott nichts mit Musik anfangen kann, hat es wenig Sinn, ihn mit Gesang zu loben und zu preisen, wie es das Halleluja tut.
Verzierte Kachel, auf dem König David abgebildet ist, welcher Batseba beobachtet (Antwerpen)
Verzierte Kachel, auf dem König David abgebildet ist, wie er Batseba beobachtet (imago stock&people / Artokoloro)
In der zweiten Strophe meint das "Du" nicht mehr Gott, sondern einen Menschen, wahrscheinlich König David. Zunächst ist von jemandem die Rede, der trotz starken Glaubens Beweise braucht. Beweise gibt es zwar nicht, dafür aber eine nackte Frau, die auf dem Dach in der Zisterne badet - Bat sheva oder Batseba, wie sie in christlichen Übersetzungen heißt. Im Englischen reimt sich "needed proof" auf "bathing on the roof". Wenn nackte Frauen erscheinen, sind offenbar alle Glaubensfragen zweitrangig.
Wer die Bibel kennt, weiß, dass es sich nicht um irgendeine Frau handelt, sondern um eine verheiratete Frau. König David schickt ihren Ehemann im Krieg in die erste Reihe, verschuldet seinen Tod, und hat freie Bahn bei der schönen Bat Sheva.
König David ist bei Cohen Identifikationsfigur, weil er ein Künstler und Sänger ist, weil er der Sänger des großen Hallelujas ist, weil er Fehler hat und weil er unmoralisch handelt, bis ins Extrem. Cohen verwebt die Geschichte von David und den Frauen mit der Geschichte Simsons, der mit seinem Haar seine Macht verliert. Der Angesprochene in der zweiten Strophe ist erst gläubig, dann dominant, schließlich machtlos.
Nichts als Hallelujah
Danach sprechen Cohen oder sein lyrisches Ich wieder von sich selbst und er nimmt Bezug auf das jüdische Verbot, den Gottesnamen Jud Hey Vav Hey oder JHWH mit Vokalen auszusprechen. Heute ist unklar, wie dieser Gottesname in alter Zeit ausgesprochen worden ist. Und auch das greift Leonard Cohen auf.
You say: "I took the name in vain"
I don't even know the name
But if I did, well really, what's it to you?
There's a blaze of light in every word
It doesn't matter which you heard
The holy or the broken Hallelujah
"Du sagst: Ich habe den Namen umsonst benutzt.
Ich kenne den Namen gar nicht."
Und wenn er den Namen nutzt, sei es auch nicht so schlimm, findet das lyrische Ich Cohens. In jedem Wort sei eine helle Flamme. Es kommt nicht darauf an, ob Gott das "heilige" oder das "gebrochene Halleluja" gehört hat. Schließlich steht das lyrische Ich vor Gott und hat nichts zu bieten außer einem Halleluja.
Das gebrochene Halleluja: Das schließt Zweifel, Fragen, vielleicht sogar Ärger und Hass auf Gott mit ein, und Leben, wie sie die meisten gelebt haben: Leben, mit moralischen Verwerfungen, auf die man nicht stolz ist.
Und für solch ein Leben steht König David, den Cohen als Stellvertreter für die Singer-Songwriter besingt. Solch ein gebrochenes Halleluja soll dem heiligen Halleluja gleichwertig sein. Während gerade das Christentum Zweifel häufig als Sünde bezeichnet hat, sind bei Cohen Zweifel und Fragen auch eine Form der Hingebung.
Schabbat und Zen-Buddhismus
Ein Leben lang hat Leonard Cohen den Schabbat gehalten, heißt es, auch auf Tourneen. Orthodoxe Juden stellen am Schabbat keinen elektrischen Strom an oder aus, weil das dem Feuermachen gleichkomme und mithin Arbeit sei.
Jahrelang hat Cohen als Zen-Mönch gelebt - und weiterhin den Schabbat gehalten. Judentum und Zen-Buddhismus, das sei kein Widerspruch, ließ er die New York Times wissen. Der Buddhismus predige keine Gottesvorstellungen. Oft hat er die Rolle der Religion in seinem Leben heruntergespielt. Auch dass er eine Zeit als Zen-Mönch lebte, sei nicht einem besonderen Interesse am Buddhismus zu verdanken, sondern einem Bedürfnis nach Ordnung und Struktur, erzählte er in einer Talkshow. Über die Beziehung zu seinem Zen-Meister sagte er.
"Nach einer Tournee fühlte ich mich entwurzelt und sehnte mich nach irgend einer Art von Struktur. Deshalb habe ich die Beziehung zu diesem Lehrer formalisiert. Wenn er ein Physikprofessor in Heidelberg gewesen wäre, hätte ich Deutsch gelernt und Physik studiert. Nun war er zufällig Zen-Mönch. Um an seiner Welt teilzuhaben, musste ich meinen Kopf rasieren und eine Kutte tragen. Das habe ich gerne getan, denn mir war von Anfang an klar, dass er sehr viel mehr wusste als ich. Deshalb wollte ich Zeit mit ihm verbringen."
Musiker Leonard Cohen auf einem Trödelmarkt 1995
Ein Leben lang auf der Suche (imago stock&people / Brigani-Art )
Man kann bezweifeln, dass die Struktursuche und die Religion nur zufällig zusammenkamen.
"Ich habe mich nie für einen religiösen Menschen gehalten. Ich habe keine spirituelle Strategie."
Leonard Cohen bei seiner letzten Pressekonferenz. Auch hier spielt er die Rolle der Religion in seinem Leben herunter. Doch dann muss er erklären, warum sie in seinen Liedern eine so große Rolle spielt.
"Ich tappe in diesem Bereich quasi so herum wie die meisten. Die Religion ist das Vokabular, mit dem ich aufgewachsen bin. Die biblische Landschaft ist mir sehr vertraut. Natürlich gebrauche ich die Wegmarken der Bibel als Referenzen. Sie waren mal universelle Referenzen, die jeder kannte und jeder verorten konnte. Das ist heute nicht mehr so. Aber es ist immer noch meine Landschaft. Ich versuche die Anspielungen nicht zu schwer verständlich zu machen. Also ich wage nicht, für mich irgendetwas Religiöses in Anspruch zu nehmen."
Fragen und Zweifel
Bei Cohen spielen die Fragen und Zweifel eine größere Rolle als die Überzeugungen. Das ist für einen Juden weitaus weniger ketzerisch als für einen Christen: Christ ist man, weil man sich in der Taufe zum christlichen Glauben bekennt. Jude ist man, weil man jüdisch geboren ist.
Zudem bürsten Juden im Midrasch zahlreiche biblische Geschichten gegen den Strich und nehmen Deutungen vor, die Christen ketzerisch erscheinen würden. Midrasch heißt Deutung – und ganz wörtlich "aus dem Sinn". Der Midrasch ist aber viel mehr als ein Bibelkommentar. Oft handelt es sich um Weitererzählungen.
Die Kultur des richtigen Glaubens, die für Christen so wichtig ist, sie ist bei Juden weniger ausgeprägt. Wichtiger ist im Judentum, das richtige zu tun – etwa den Schabbat zu halten. Auf Cohens letzter CD kommen seine Zweifel an der Religion oder den Religionen ausführlich zu Wort – in einem Text von hoher poetischer Dichte. Treaty, Vertrag.
I've seen you change the water into wine
I've seen you change it back to water, too
I sit at your table every night
I try but I just don't get by with you
I wish there was a treaty we could sign
I do not care who takes this bloody hill
I'm angry and I'm tired all the time
I wish there was a treaty,
I wish there was a treaty
Between your love and mine
"Ich habe gesehen, wie Du Wasser in Wein verwandelt hast.
Ich habe auch gesehen, wie Du es zurück in Wasser verwandelt hast.
Ich sitze jeden Abend an deinem Tisch.
Ich versuche es, aber ich kann mich einfach nicht an Dir berauschen.
Ich wünschte, wir könnten einen Vertrag schließen.
Mir ist es egal, wer diesen verdammten Berg bekommt.
Ich bin die ganze Zeit verärgert und müde:
Ich wünschte, wir könnten einen Vertrag zwischen deiner
und meiner Liebe machen."
Wasser in Wein verwandeln: das ist eine klare Anspielung auf das Neue Testament, auf die Hochzeit zu Kanaa. Doch das lyrische Ich Cohens empfindet Ernüchterung angesichts der Religion oder der Religionen: Aus dem Wein wird ganz schnell wieder Wasser. Religion ist alles andere als berauschend.
Mehrdeutig bleibt die Rede vom Vertrag. Hier kann Rousseaus Gesellschaftsvertrag gemeint sein oder ein Generationenvertrag. Und natürlich die jüdische Rede vom Bund.
Die hebräische Bibel enthält zahlreiche Bundesschlüsse: etwa Noahs Bund zwischen allen Menschen und Gott, oder der Bund des Mose zwischen Israel und Gott. Auch die Beschneidung ist ein Bund – geschlossen zwischen Abraham und Gott. Das Neue Testament sieht sich selbst als den Neuen Bund.
I heard the snake was baffled by his sin
He shed his scales to find the snake within
But born again is born without a skin
The poison enters into everything
And I wish there was a treaty we could sign
I do not care who takes this bloody hill
I'm angry and I'm tired all the time
I wish there was a treaty,
I wish there was a treaty
Between your love and mine
"Ich habe gehört, dass die Schlage verblüfft war über ihre Sünde.
Sie warf ihre Schuppen ab, um in sich die Schlange zu finden.
Doch wiedergeboren werden heißt, ohne Haut geboren zu werden
Das Gift dringt in alles ein."
Cohen bringt hier die biblischen Bilder zum Tanzen. Die Bibel spricht nicht davon, dass sich die Schlange häutet und auch nicht von ihrem Gift. Selbst die buddhistische Wiedergeburtslehre bringt Cohen noch in die biblische Geschichte. Ob die Schlange hier Täter oder Opfer ist, bleibt unklar.
Das bildet womöglich eine Alltagserfahrung ab. Auch bei vielen Alltagskonflikten bleibt unklar, von wem sie ausgegangen sind. Am Ende stehen die Bilder vom hautlosen Ausgeliefertsein und vom Gift das alles durchdringt.
Und dagegen steht der Wunsch, es möge eine Vertrag geben – eine Form von Verlässlichkeit, eine Beziehung die hält.
I wish there was a treaty we could sign:
it‘s over now the water and the wine.
We were broken then but now we‘re borderline
I wish there was a treaty, I wish there was a treaty between your love and mine.
Als Mozart seinen Tod nahen sah, hat er sich ein Requiem komponiert und damit eine Aufgabe übernommen, die eigentlich der Nachwelt gebührt: das Trauern. Es ist, als ob die Künstler der Nachwelt nicht trauen und die Trauer lieber gleich mit in die Hand nehmen wollen.
Das Kaddisch
Leonard Cohen hat auf seiner letzten CD einen Song mit zahlreichen Anspielungen auf das jüdische Kaddisch veröffentlicht. Das Kaddisch ist das Gebet, das die Nachkommen nach dem Tod des Verstorbenen jeden Tag in der Synagoge sprechen sollen. Gleichzeitig ist es ein Gotteslob.
Mit dem Song schließt Cohen seinen Lebenskreis. Der Chor aus der Montrealer Synagoge seiner Kindheit singt, der Schaar-ha-schomaim-Synagoge, der Himmelstorsynagoge. Und der Synagogenkantor hat ein Solo. You want it darker, Du willst es dunkler.
If you are the dealer I am out the game.
If you are the healer I am broken and lame.
If thine is the glory mine must be the shame.
You want it darker. We kill the the flame
Magnified, santified, be thy holy name
Villefied crucified in human frame.
A million candles burning for the help that never came.
You want it darker.
Hineini, Hineini, I‘m ready my lord.
Hineini, Hiniein - erhoben und geheilgt werde dein Heiliger Name: das sind fast wörtliche Zitate aus dem Kaddisch. Doch dann wird der heilige Name korrumpiert, wörtlich "verschurkt", und gekreuzigt, eine klare Anspielung auf das Christentum. Und unversehens wird das Gotteslob zur Anklage Gottes: Eine Million Kerzen brennt für die Hilfe, die niemals kam. Das meint die Toten, die in kriegerischen Auseinandersetzungen ums Leben kommen. Und das meint ganz sicher auch: die Toten der Schoa.
Gemeinhin bringt man Gott mit Licht in Verbindung, etwa im christlichen Johannesevangelium. Doch dieser Gott will es finsterer. Er lässt die Toten der Schoa zu. Und er erlaubt sogar Mord und Betrug, wie Cohens lyrisches Ich sarkastisch feststellt. Hineini1 bedeutet: hier bin ich. Das sagen Abraham, Isaak und Jakob in der Bibel, wenn Gott sie ruft. Cohens lyrisches Ich ergänzt: Ich bin bereit.
"Hineini" spricht oder singt auch der Kantor am jüdischen Neujahrsfest Rosh ha-Schana und am jüdischen Versöhnungstag Jom Kippur. Beide Tage sind hohe Festtage. Sie stehen ganz im Zeichen des Gerichtes, das Gott in dieser Zeit über die Welt hält – nach traditioneller jüdischer Vorstellung. So ist das Hineini-Gebet für einen jüdischen liturgischen Text vergleichsweise depressiv und im Ton so unterwürfig wie den Rest des ganzen Synagogenjahres nicht wieder. Der Kantor oder Vorbeter trägt es vor, in liberalen Gemeinden auch die Kantorin oder Vorbeterin, als Botschafter der Gemeinde vor Gott.
Hier bin ich, arm an Handlungen, zitternd und bebend aus Furcht vor ihm, der über den Lobgesängen Israels thront; ich kam, um vor Dich hinzutreten und für Dein Volk Jisrael zu flehen, obwohl ich nicht würdig und fähig dazu bin. Darum, Gott Awrahams, Gott Jizchaks und Gott Jaakows, Ewiger, Ewiger, erbarmungsvoller und gnädiger Gott, um mich und die mich schicken um Erbarmen zu flehen.
They‘re lining up the prisoners
The guards are taking aim
I struggled with some demons
They were middle class and tame
I didn‘t know I had permission
to murder and to maim
You want it darker
Hinini Hineini
I‘m ready my lord
Der Kantor aus der Montrealer-Synagoge singt bei Cohen Hineini – im Stil von Chasanut – eines improvisierten Kantoren-Solo. Während an den hohen Feiertagen der Mensch vor Gericht steht, gerät Cohens Song zur Anklage Gottes. Und trotzdem: Wenn Cohen singt: "Erhoben und geheiligt werde dein heiliger Name", dann changiert das zwischen Sarkasmus und hohem Ernst.
Religion und Zweifel, Anklage Gottes und Gotteslob, Anklage der Menschen und bereit sein zum Gericht: Es scheint, als habe die Religion Leonard Cohen fortwährend beschäftigt. Es stimmt, dass er sich kaum jemals zu Glaubensinhalten bekennt. Aber Religion bedeutet wörtlich: Rückbindung. Diese Bindung kann auch im Zweifel und in der Anklage bestehen. Wie es Cohen selbst formulierte - es kommt nicht darauf an was zu hören ist: das heilige oder das gebrochene Halleluja.
*Hier stand in einer früheren Version "Battle King", also Schlachtenkönig, im offiziellen Text heißt es "baffled King. In manchen Interpretationen ist dieses Wortspiel zu hören.