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Leonardo-Jahr 2019
"Grandios begabter Maler, der seine Zeit vertrödelt"

Vor 500 Jahren starb Leonardo da Vinci, Schöpfer des wohl berühmtesten Gemäldes der Welt: der Mona Lisa. Kaum mehr als eine Handvoll Gemälde werden ihm gesichert zugeschrieben. Leonardo hat sich bewusst zum Außenseiter stilisiert und "fast keinen Auftrag erfüllt", sagte der Historiker Volker Reinhardt im Dlf.

Volker Reinhardt im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    Das restaurierte Fresko "Das Letzte Abendmahl" von Leonardo da Vinci in der Mailänder Kirche Santa Maria delle Grazie. Vom 28. Mai 1999 - nach 20 Jahren Restauration - war das Meisterwerk für die Öffentlichkeit wieder zugänglich. "Die Welt hat Leonardo wieder", jubeln Kommentatoren in Italien. Kritiker sprachen vom "meistgepeinigten Werk in der Geschichte der Malerei", fürchteten, das Original sei für immer verloren. Mehr als 20 Jahre dauerte die Mammut-Restaurierung, Millimeter für Millimeter arbeiteten sich die Experten vor.
    Mit dem "Letzten Abendmahl" in der Mailänder Kirche Santa Maria delle Grazie begründet Leonardo da Vinci seinen Ruhm (picture alliance / dpa / ANSA)
    Leonardo da Vinci sei andere Wege gegangen als die meisten seiner Zeitgenossen, so Volker Reinhardt. In seinem Buch "Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt" hat er allem die vielen Notizbücher des Malers aus Vinci ausgewertet. Leonardo habe versucht, mit den Mitteln der Malerei die Natur zu erforschen. Und er habe die christliche Erzählung der Schöpfung und überhaupt die Lehre der Kirche abgelehnt. Auch den "Kult der Antike macht er nicht mit". Überhaupt habe er viele Spleens gehabt; für seine Zeitgenossen war Leonardo "ein vergeudetes Genie, ein grandios begabter Maler, der seine Zeit vertrödelt".
    Radikale Vermenschlichung christlicher Themen
    Und er macht in Komposition und Ikonografie alles anders, sein berühmtes Abendmahl "soll Fragen stellen", so der Historiker. Judas sei nicht zu erkennen, insgesamt wird die Jünger-Gesellschaft "radikal vermenschlicht". Leonardo psychologisiert, statt das Sakrament des Abendmahls zu spiegeln. Und in seinem späten Gemälde der "Anna selbdritt" wird aus Christus ein "trotziges Kleinkind", das einem Lamm das Genick bricht. "Er hat seine Rolle als Lieferant von Gebrauchskunstwerken nicht erfüllt."
    Fast schon ketzerisch mutet sein Porträt von "Johannes dem Täufer" an, ein androgyner Schönling, der "auch dieses eingeweihte Lächeln hat", in der Bibel ein Asket, bei Leonardo eher Hedonist, mit weichem, fleischigen Oberkörper, befindet Volker Reinhardt. "Dem hätte Michelangelo ein Fitnessstudio verordnet!"
    "Wenn wir uns Leonardo anschauen, dann sehen wir wieder Geheimnisse"
    Der Renaissance-Künstler verstand sich aber eben nicht einfach als Maler, sondern auch als Naturbeobachter und Ingenieur, als der er sich am Hof von Ludovico Sforza in Mailand anpreist. "Leonardo verfasst ein Schreiben, in dem er sich übermenschliche Fähigkeiten als Kriegsingenieur zuschreibt. Das muss sich für Ludovico Sforza so gelesen haben, als ob ein Star Wars-Krieger heutzutage seine Dienste anbietet."
    Mit seinen Konkurrenten Michelangelo und Raffael wollte er gar nicht mithalten, so Reinhardt, "Malerei war für ihn mehr als Dekorationsübung im Auftrag der Mächtigen". So muteten seine Frauenporträts ungeheuer modern an für seine Zeit, Ginevra Benci oder die Mona Lisa sind selbstbewusst und alles andere als bloße Dekoration. Ihre Rätselhaftigkeit und Vieldeutigkeit fasziniere bis heute. "Wenn wir uns Leonardo anschauen, dann sehen wir wieder Geheimnisse. Und ich glaube, wir brauchen sie."