Archiv


''Leonce und Lena'' am Berliner Ensemble

Es beginnt als Spektakel mit einer ranschmeißerischen Parade. Zu greller, jazzig dröhnender Showmusik einer Band mit dem sinnigen Namen "Büchners Erben" rennt und zappelt Büchners Komödien-Personal vor dem Vorhang entlang. Dabei ähneln sich in den schrill eleganten Kreationen des Kostümbildners Jacques Reynaud alle Figuren, trotz unterschiedlichster Kostümierung. Denn der Regisseur stellt einen einheitlichen, künstlichen Skurrilitäts-Typus aus. Der erscheint mit weißgeschminktem Gesicht, die Haare hochgestylt zu schräger Tolle, die Gliedmaßen albern abgespreizt, wie die überdrehte Karikatur von Wilhelm Buschs Figuren. Es sind theatralische Zeichenelemente aus Robert Wilsons bekanntem ästhetischem Figurenarsenal, ausgestellt zur Beschmunzelung und Unterhaltung. Was sofort zu Szenenapplaus führt, weil ungemein kunstvoll gebastelt wurde. So wie an der gesamten Inszenierung. Die mit phantasievollen Bühnenbildern prunkt und mit szenisch-optischen Gags verblüfft, und die ihre Figuren immer wieder in farblich wechselndem Licht oder in hell-dunkel-Kontrasten vor uns ausstellt.

Ein Beitrag Hartmut Krug | 02.05.2003
    So bebildert Robert Wilson Stimmungen und schafft Stimmung. Was ihn allerdings inhaltlich an der poetisch-philosophischen Geschichte von den Königskindern Leonce und Lena interessiert, die zueinander sollen, aber, weil sie sich nicht kennen, voreinander flüchten, um sich in der Fremde unerkannt zu begegnen und zu verlieben, - was er uns mit dieser Geschichte, deren Figuren auch für den heutigen Zuschauer nach Lebenssinn suchen könnten, genauer erzählen will, das wird nie deutlich.

    Wir sehen viel und erfahren wenig. Es wird getrippelt und posiert, es werden die Augen aufgerissen, die Finger gespreizt und die Gliedmaßen in geometrischen Haltungen ausgestellt. Die Figuren spreizen sich, während ihre Dialoge wie auf Stelzen gehen. Und immer dann, wenn die Inszenierung von ihrem schicken Design-Sein zur grüblerischen Da-Seins-Frage wechseln müsste, erklingt ein Lied. Herbert Grönemeyer hat nicht nur Lieder in vielen Stilen, vom Jazz über Filmsound bis zum unverwechselbaren Grönemeyer-Sound beigesteuert, er unterlegt auch die Handlung mit lautmalerischer oder ironisch pointierender und die Bewegungen der Figuren illustrierender Musik. Grönemeyers Lieder schwanken zwischen Kitsch und Poesie, zwischen Bedeutsamkeit und Beiläufigkeit. Vor allem aber wirken sie, unabhängig von ihrer musikalischen Qualität, herzlich entbehrlich. Weil sie dort, wo Büchner Handlung und Haltungen präzise und knapp pointiert, alles langwierig auseinander falten. Die Musik zerdehnt Wilsons allzu bedächtige, pausenlose zweieinviertelstündige Inszenierung in eine gefühlte Überlänge, die trotz ihrer vielen Effekte dem Zuschauer schnell etwas leer vorkommt. Auch, weil der Witz in dieser Inszenierung nicht aus den Figuren von innen heraus entwickelt, sondern ihnen als formaler Gestus von außen angeheftet wird. So erscheint Markus Meyers Leonce nur als kunstfertiger Stutzer und blasser Langweiler, der mit ziselierten Spreizposen den Kopf in den Nacken legt und auf einem Ton laut vor sich her denkt. Während es Nina Hoss immerhin ansatzweise gelingt, ihre Lena aus deren Posen-Korsett zu befreien und die zur staunenden, hellen Unschuld klischierte Figur zu einer lebendigen Person weiterzuentwickeln. Durchgehend grandios ist Walter Schmidinger: er setzt die ihm von Wilson verschriebenen dekorierenden Figurendesign-Gesten mit ernsthaftem Spielwitz auch ironisch ein. Und macht so den König, der verzweifelt denkt und am Denken verzweifelt, zu einer Weiterentwicklung seiner Kaiserrolle, die er vor Jahren in der legendären Bar-jeder-Vernunft- Inszenierung vom "Weißen Rößl" in Berlin gezeigt hat.

    Der Hofstaat dagegen kommt nur als theatrales Kunststück und zeitloses Kuriositätenkabinett daher. Weil sich diese Inszenierung selbst genug ist und auf keine politische Gegenwart oder historische Zeit anspielt. Weshalb der brillante Stefan Kurt den Valerio vor allem als ästhetische Gegenfigur spielt. Mit nackter Brust unter schwarzem Leder geht er unrasiert und langhaarig als pragmatischer Gefährte von Leonce durchs Geschehen und setzt seine Alltagsphrasen-Pointen mit wirkungsvoller Mauligkeit. Im Schlusslied führt er den Fäuste ballenden Hofstaat zu einem Loblied des "einfach-so-weiter-machens":

    Wenn dazu der König sowie Leonce und Lena mit aufgerissenen Augen und Mündern in Entsetzen erstarren, so mag hier zum Schluss doch noch eine skeptisch-kritische Interpretation durch den Regisseur Wilson vermutet werden. Sonst aber wirkt alles vor allem herzlich schick. Und das Publikum, von politischer und gesellschaftlicher Prominenz durchsetzt, rettete sich aus durchgehend gepflegter Mattigkeit in einen euphorischen Jubel. Schließlich war man bei einem Event dabei gewesen.

    Link: mehr ...

    1154.html