Die Leopoldina, die Deutsche Akademie der Naturforscher, hat am Montag eine Studie veröffentlicht, in der es um Strategien für eine allmähliche Rückkehr in den Alltag nach den Corona-Maßnahmen geht. Das Papier knüpft damit an Themen an, die schon lange debattiert werden und die sich um den Begriff Nachhaltigkeit ranken.
Professor Jürgen Renn vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, einer der Studienautoren, sagte im Deutschlandfunk, wir müssen in Zukunft viel nachhaltiger wirtschaften, denn Pandemien und Viren würden viel häufiger auftreten.
Susanne Kuhlmann: Herr Renn, was heißt das denn konkret, jetzt nachhaltige Richtungsentscheidungen zu treffen und mit Rücksicht auf Umwelt und Ressourcen zu investieren?
Jürgen Renn: Ich glaube, dass die Coronakrise zum einen natürlich im öffentlichen Bewusstsein andere Krisen erst mal in den Hintergrund gedrängt hat, aber zugleich ist sie ein Warnsignal. Denn ursächlich hängt sie zusammen mit den Veränderungen, die Menschen etwa in der Landnutzung, in der Ausbeutung der Natur verursacht haben, die sich am Artenverlust beispielsweise bemerkbar machen. Und die Klimakrise ist ja auch nicht vorbei. Ich glaube, dass man hier jetzt nachhaltig reagieren muss. Das heißt, man muss die richtigen wirtschaftlichen Investitionen tätigen. Man muss jetzt die Energiewende in Angriff nehmen und man sollte die Agrarwende und die Verkehrswende und die Mobilitätswende dabei nicht vergessen.
Wenn wir jetzt uns bewegen, bewegen müssen wegen des Krisendrucks, dann sollte das auch Auswirkungen auf eine langfristige Resilienz, Widerstandsfähigkeit gegenüber zukünftigen Krisen bieten, und die werden kommen. Viren kommen immer häufiger, auch weil Lebensräume begrenzt werden, weil der Druck auf Ökosysteme wächst. Das wird nicht die letzte Krise dieser Art sein. Deswegen müssen wir uns für zukünftige Krisen wappnen.
Wir müssen unmittelbar reagieren, wir müssen die Wirtschaft wieder hochfahren, wenn das dann die Infektionszahlen zulassen. Aber wir sollten das in einer Weise tun, die nachhaltiger ist und weniger naturzerstörend ist, als sie das vor der Coronakrise war.
"Wir müssen spätestens bis 2050 vollkommen treibhausneutral werden"
Kuhlmann: Was heißt das genau?
Renn: Das heißt zum Beispiel, dass wir die Energiewende durchführen müssen, über die wir ja schon eine Weile lang reden und für die es natürlich auch gute Pläne gibt. Das heißt, wir haben in Deutschland eine Wasserstoff-Strategie, die ausgeweitet ist. Wir müssen einen CO2-Preis einführen, der Lenkungswirkung hat. Denn die Wirtschaft, die wird investieren und sie sollte auch eine Sicherheit haben von Leitplanken, die in die richtige Richtung weisen. Da ist der CO2-Preis, glaube ich, ein sehr, sehr gutes Instrument, weil er natürlich auch der Kreativität des Marktes und der einzelnen Handelnden genügend Spielraum für Technologieoffenheit lässt, aber zugleich sicherstellt, dass wir das endliche Depot der Atmosphäre für die Treibhausgase nicht weiter belasten.
Wir müssen spätestens bis Mitte des Jahrhunderts vollkommen treibhausneutral werden. Sonst drohen uns viel schlimmere Krisen. Und die Energiewende ist glaube ich, das Mittel der Wahl, um hierauf auch eine schnelle Antwort zu finden. Stichwort etwa European Green Deal: Da ist das ja auch alles mitgedacht und man muss jetzt gar keine neuen Konzepte erfinden. Die sind alle schon da. Man muss sie jetzt bloß rasch und zügig umsetzen. Und die Krise zeigt ja auch, dass wir handeln können, wenn wir das denn wollen und müssen.
Kuhlmann: Sehen Sie den Boden bereitet dafür?
Renn: Wie gesagt, die Vorstellungen existieren. Ich glaube, die Krise hat uns auch alle etwas bewusster gemacht, wie wichtig eine funktionierende Daseinsvorsorge ist, natürlich insbesondere im Gesundheitssystem. Ich glaube, die Reaktionen auch insbesondere hier in Deutschland zeigen, dass sich Menschen sehr wohl solidarisch verhalten können, dass sie nicht nur an ihr individuelles Risiko denken, sondern auch an die ja zunächst mal nur statistisch und daher gewissermaßen unsichtbar wirkenden Risiken für die Gemeinschaft.
Gleichzeitig gibt es natürlich eine offene Diskussion darüber, und das ist auch sehr gut. Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, in der viele Stimmen gehört werden müssen. Aber trotzdem sind wir, glaube ich, bei aller Offenheit und Meinungsverschiedenheit in der Lage zu handeln. Ich sehe den Boden mit einem Wort dafür bereitet – in der Tat.
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