Schulbildung
Sollten Kinder in den Ferien lernen?

Ferien sind eigentlich als Auszeit von der Schule gedacht. Doch viele Eltern motivieren ihre Kinder, in dieser Zeit zu lernen. Wie wichtig ist die lernfreie Zeit in den Ferien? Wann ist das Pauken des Schulstoffs sinnvoll? Und wie geht man dabei vor?

    Ein Mädchen sitzt am Gartentisch und hält ihre Hände vor dem Gesicht. Vor ihr auf dem Tisch liegen Bücher, Hefte und ein Laptop.
    Lernen heißt nicht, am Tisch zu sitzen und in Büchern zu büffeln. Man kann Lerninhalte auch spielerisch in den Ferienalltag integrieren. (picture alliance / Westend61 / Mareen Fischinger)
    Nicht nur Erwachsene sehnen sich nach Urlaub und wünschen sich eine Auszeit von der Arbeit. Auch Kinder wollen in den Ferien die Schule und den Lernstoff eine Zeit lang hinter sich lassen. Doch manche Eltern wollen, dass ihre Kinder auch in der schulfreien Zeit Englisch-Vokabeln lernen oder Matheaufgaben lösen. Einige schicken ihre Kinder sogar zu Sprachkursen oder in Lerncamps. Gerade wenn die Kinder und Jugendlichen keine Lust auf das Lernen haben, kann das den Familienfrieden in der Ferienzeit stören.

    Inhalt

    Wann sollten Kinder in den Ferien lernen?

    „Ferien sind Ferien und sollten eine freie Zeit für die Kinder und Jugendlichen sein", betont Schulpsychologin Anja Niebuhr. Entspannungspausen, in denen man gar nicht an die Schule denkt, seien extrem wichtig für die Kinder und Jugendlichen.
    Dennoch gibt es laut Niebuhr schulische Sondersituationen, in denen es sinnvoll sein kann, sich mit dem Thema Schule zu beschäftigen, zum Beispiel, wenn eine Nachprüfung oder ein Schulwechsel nach den Ferien ansteht oder wenn ein Kind große Probleme in einzelnen Fächern hat und den Stoff aufholen muss.
    Auch Nele McElvany, die an der TU Dortmund das Institut für Schulentwicklungsforschung leitet, sieht in den Ferien eine wichtige Zeit der Erholung. Durch sie lässt sich Abstand vom Schulalltag gewinnen.
    Andererseits kann das Lernen in den Ferien sinnvoll sein. Gerade in den sehr langen sechswöchigen Sommerferien sei Zeit für beides: Erholung und Lernen. „Insgesamt würde ich dafür plädieren, gerade die Sommerferien als eine Chance zu sehen, was das Lernen angeht“, so McElvany.

    Lernverluste in den Ferien

    Lernen während der Ferien kann dazu beitragen, den sogenannten Lernverlust zu vermeiden. Internationale Studien weisen laut McElvany darauf hin, dass viele Kinder nach mehrwöchigen Ferien schlechtere schulische Leistungen zeigen als zuvor.
    Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Kindern. Einige würden nach einer längeren Pause ohne nennenswerte Verluste zurückkehren oder zeigten sogar Fortschritte in bestimmten Fächern, erklärt McElvany. Doch die Mehrheit der Kinder verliere während der Ferien ein Teil ihres Wissens.
    Allerdings stammen die meisten dieser Studien zum Thema Lernverlust aus den USA. In Deutschland gibt es nach Angaben von McElvany bisher nur wenige Studien zu diesem Thema.
    Lehrerin Anke Knebel hat die Erfahrung gemacht, dass eine völlig lernfreie Sommerferienzeit für Schülerinnen und Schüler nicht unbedingt förderlich ist. „Zum einen ist es die Motivation, die nachlässt. Nach sechs Wochen nichts tun, also tatsächlich nur frei zu haben, ist es schwierig, sich wieder zu konzentrieren und sich auf das einzulassen, was gelernt werden soll. Und zum anderen ist der Vergessensfaktor sehr hoch. Wenn es nicht wiederholt wird, bleibt es nicht im Kopf. Wenn es bis dahin nicht gefestigt ist, geht es verloren“, sagt Knebel.
    Auch für McElvany steht fest: Es lohnt sich für viele Kinder und Jugendliche, die Ferienzeit zum Lernen zu nutzen, um vorhandene Lernlücken zu schließen. Besonders dann, wenn es um Themen geht, die mehr Zeit und Übung erfordern. „Das Lesenlernen beispielsweise ist ja etwas, für das man gut mal ein bisschen Zeit verwenden kann“, sagt McElvany. Ähnlich sei es mit der Sprachkompetenz. Die Ferien können genutzt werden, um Kinder zu unterstützen, die es im deutschen Bildungssystem schwerer haben, etwa weil sie noch nicht genug Deutsch sprechen und verstehen.

    Was sollte man beachten, wenn Kinder in den Ferien lernen müssen?

    Ob und wie lange ein Kind in den Ferien lernen sollte, hängt immer vom einzelnen Kind oder Jugendlichen ab. Wibke Poth, Grundschullehrerin und stellvertretende Landesvorsitzende beim Verband Bildung und Erziehung in Nordrhein-Westfalen, empfiehlt für Grundschulkinder, in den Sommerferien zwei bis drei Wochen komplett lernfrei zu halten. Erst gegen Ende der Ferien, wenn das neue Schuljahr näher rückt, könne man beispielsweise damit beginnen, Vokabeln zu wiederholen.
    Dabei sei es wichtig, das Lernen in kleinen, überschaubaren Einheiten zu gestalten und ohne Zeitdruck anzugehen. Es gehe darum, dass die Kinder mit wenig Abstand auf den Lernstoff schauen und auf diese Weise vielleicht wieder Freude am Lernen entwickeln.

    Mit Lehrkräften sprechen und Lernziele abstecken

    Wenn Eltern ihre Kinder in den Ferien unterstützen möchten, um mögliche Lernlücken zu schließen, empfiehlt Wiebke Poth, sich am besten mit den Lehrkräften abzusprechen. „Denn das sind ja im Grunde diejenigen, die am besten sagen können, was sinnvoll für das Kind ist. Und das halte ich für besser, als auf eigene Faust irgendwelches Material anzuschaffen“, so Poth.
    Auch die Schulpsychologin Anja Niebuhr rät dazu, im Vorfeld mit den Lehrkräften einen Plan zu erstellen. Dabei sei es wichtig, genau festzulegen, an welchen Tagen oder zu welchen Zeiten gelernt werden soll und wann Pausen eingeplant sind. Eltern können die Kinder unterstützen, sie sind aber kein Lehrerersatz.
    Die Bildungsforscherin Nele McElvany plädiert dafür, den Kindern in den Ferien zunächst eine schulfreie Zeit ohne Lernverpflichtungen zu gönnen. „Für den Teil der Ferien, den man dann auch für das Lernen nutzen möchte, kommt es sicher auch auf das Alter der Kinder an. Je älter die SchülerInnen sind, desto stärker haben sie hoffentlich auch selber die Einsicht, dass es Sinn macht, Lücken zu schließen oder sich auf das kommende Schuljahr vorzubereiten. Sie können das in vielen Fällen auch schon eigenständig organisieren“, sagt McElvany. Jüngere Kinder hingegen brauchen klar die Unterstützung ihrer Eltern oder einer anderen Bezugsperson, damit das Lernen effektiv funktioniert.

    Wie motiviere ich meine Kinder, in den Ferien zu lernen?

    Lernen heißt nicht, am Tisch zu sitzen und in Büchern zu büffeln. Man kann Lerninhalte auch spielerisch in den Ferienalltag integrieren. Gerade für jüngere Kinder sind eben diese alltagsintegrierten Lernsituationen gut geeignet. „Das kleine Einmaleins kann man ganz hervorragend auf langen Autofahrten üben. Das gemeinsame Lesen mit Mama oder Papa vor dem Einschlafen ist auch für die allermeisten Kinder eine Freude“, erklärt McElvany. Insgesamt bieten die Sommerferien viele Chancen, um verschiedene Aspekte zu fördern, besonders die Lese- und Sprachkompetenz.
    Auch Lehrerin Anke Knebel, selbst zweifache Mutter, setzt auf Erlebnispädagogik, wie sie es nennt. Sie ermutigt ihre Kinder zum Beispiel dazu, in Geschäften Texte zu lesen, Preise auszurechnen oder im Urlaub etwas zu übersetzen.
    Aber wie geht man als Elternteil damit um, wenn die Kinder blockieren? Eltern helfe es dann, sich in das Kind hineinzuversetzen, rät McElvany. „Wie wäre es denn für mich, wenn ich in meinen lang ersehnten Sommerurlaub nach einem anstrengenden Arbeitsjahr plötzlich gesagt bekommen würde, ich solle doch bitte schön genau das machen, was ich bei der Arbeit nicht gut kann, wo ich ständig Misserfolge und Druck habe und was ich vermutlich dementsprechend auch nicht besonders gerne mag? Da wäre ich ja nun nicht gerade begeistert“, so die Bildungsforscherin.

    Belohnung für das Lernen festlegen

    Man soll daher optimistisch auf das neue Schuljahr blicken und dieses gemeinsam vorbereiten. Es sei zudem wichtig, klare Regeln festzulegen, damit das Lernen nicht jeden Tag neu verhandelt werden müsse. Sonst ist Streit vorprogrammiert. Besonders im Teenageralter ist es entscheidend, auf Augenhöhe miteinander zu sprechen und zu vereinbaren, was wann mit welchem Ziel gemacht werden soll. Laut McElvany kann auch extrinsische Motivation hilfreich sein. Man kann eine Belohnung für das Lernen festlegen.
    Zum Beispiel könnte man eine halbe Stunde Lesen im Schulbuch gegen eine bestimmte Zeit mit dem Lieblingsspiel auf dem Handy tauschen. Eine Belohnung könnte aber auch die gemeinsame Zeit mit der Familie sein. „Gemeinsam Zeit zu verbringen, zum Beispiel ein gemeinsamer Kinobesuch, das gemeinsame ins Schwimmbad gehen, nachdem man sich Thema XY noch einmal angeguckt hat“, sagt McElvany. Das könne zum Lernen motivieren.

    Wann sollten Eltern externe Hilfe hinzuholen?

    Wenn Eltern den Lernstoff nicht gut beherrschen oder in den Ferien arbeiten müssen, empfiehlt McElvany, externe Hilfe wie Nachhilfelehrer in Anspruch zu nehmen. Das kann auch sinnvoll sein, wenn das Thema Lernen die Eltern-Kind-Beziehung belastet und oft darüber gestritten wird. Allerdings ist Nachhilfe oft teuer - nicht jeder kann sich das leisten. McElvany betont daher, dass insgesamt mehr kostenfreie Angebote in den Ferien wünschenswert wären. „Gerade wenn wir ernsthaft dem Thema Bildungsungleichheiten entgegenwirken möchten, das ja in Studien wie IGLO oder PISA immer wieder als Problem aufgezeigt wird“, sagt die Bildungsforscherin.

    Wie kann ein Start ins neue Schuljahr gut gelingen?

    In der Woche vor dem Schulstart sollte man die Zeit nutzen, um mit den Kindern über die bevorstehende Schulzeit zu sprechen, rät Schulpsychologin Anja Niebuhr. Gemeinsam könnte man überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, wieder Kontakt zu Freundinnen und Freunden aufzunehmen, die möglicherweise im Urlaub waren. Es ist auch wichtig, den Kindern zu signalisieren, dass man als Elternteil an ihrer Seite steht und für sie da ist.
    Niebuhr hat auch einen praktischen Tipp parat: Man könnte bereits eine Woche vorher das frühe Aufstehen üben und versuchen, den Montagmorgen so entspannt wie möglich zu gestalten.
    Ein passendes Ritual wäre es beispielsweise, die Schultasche gemeinsam zu packen. „Das kann nicht nur Stress abbauen, sondern zeigt den Kindern auch, dass ihre Eltern sich für das interessieren, was sie tun“, sagt Niebuhr. Sollte das Packen der Schultasche potenziell zu einem Streitthema werden, könnte man den Kindern auch Zeit und Raum geben, dies selbstständig zu erledigen. Diese Vorgehensweise sendet das positive Signal, den Kindern Verantwortung zu übertragen, während man gleichzeitig für sie da ist.

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