Der durch die Coronakrise bedingte Unterrichtsausfall der vergangenen Monate konnte nicht annähernd durch sogenanntes Homeschooling aufgefangen werden – so das Ergebnis einer Studie des ifo-Instituts für Bildungsökonomik. Wo immer es möglich sei, sollten Schulen wieder in den Regelbetrieb kommen, forderte der Bildungsökonom Ludger Wößmann, Leiter des ifo-Instituts, im Deutschlandfunk.
Es sei alles dafür zu tun, den Präsenzbetrieb in den Schulen beizubehalten, bestätigte Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) an der Universität zu Kiel, im Deutschlandfunk.
Dazu gehöre auch, dass Schülerinnen und Schüler, wenn sie alt genug sind, also ab dem fünften Schuljahr, eine Maske im Unterricht tragen. Diese Empfehlung gibt auch die Nationalakademie Leopoldina, an der Olaf Köller mitgewirkt hat.
Wieviel haben Schüler und Schülerinnen während der Coronakrise am Tag tatsächlich gelernt?
Um einen Vergleichswert zu haben, sei zunächst für die Zeit vor Corona gefragt worden, sagte der Bildungsökonom Ludger Wößmann, Leiter des ifo-Instituts, im Deutschlandfunk. Das Ergebnis: Vor der Coronakrise hätten Kinder knapp siebeneinhalb Stunden gelernt. Davon hätten die Kinder etwa sechs Stunden in der Schule verbracht, und danach hätten sie etwa eineinhalb Stunden gelernt.
"Beide Aktivitäten zusammengenommen sind dann während Corona auf gut dreieinhalb Stunden zusammengeschrumpft", so Wößmann. Das seien allerdings Durchschnittswerte.
Mit welchen Tätigkeiten wurde die restliche Zeit verbracht?
Der Rest der Zeit sei mit Fernsehen, Computerspielen und Handy verbracht worden, erklärte Ludger Wößmann: "Es ist so, dass wenn wir diese ganzen Tätigkeiten zusammennehmen, sind die von vier Stunden vor Corona auf 5,2 Stunden während Corona angestiegen. Das heißt also, während Corona haben die Kinder pro Tag eineinhalb Stunden mehr mit Computerspielen, Fernsehen, Handy verbracht als überhaupt mit der Schule."
Weitere entwicklungsförderliche Tätigkeiten seien Lesen, Musizieren und Bewegung – damit verbrächten die Kinder während Corona aber nur drei Stunden täglich. Diese Zahl sei also ein bisschen angestiegen, aber nicht wesentlich.
Warum haben die Schüler so wenig gelernt?
Über die Hälfte der Schülerinnen und Schüler hatten seltener als einmal pro Woche gemeinsam Online-Unterricht, hobt Ludger Wößmann hervor. Bei fast der Hälfte der Schüler (45 Prozent) war das sogar nie der Fall, die hatten nie Online-Unterricht.
Auch individuelle Kontakte zwischen Lehrkräften und Schülern seien sehr selten gewesen. Dagegen hätten die meisten Kinder wöchentlich Arbeitsblätter zur Bearbeitung bekommen hätten. Ludger Wößmann: "Man muss vermuten, dass das nicht genug ist, um Kinder wirklich zu beschulen."
Eltern könnten Lehrer und Pädagogen nicht ersetzen: "Das sind die Fachleute, die den Kindern Inhalte vermitteln können – und das ist eben jetzt ausgefallen."
Gab es Unterschiede bei den Kindern?
Die Studie zeigte bei dieser Frage ein überraschendes Ergebnis: Der Rückgang der Lernzeit sei bei Akademikerkindern fast genauso stark wie bei Nicht-Akademikerkindern, erklärte Ludger Wößmann.
Und: "Wir sehen, dass es gerade die leistungsschwächeren Kinder sind, bei denen die Lernzeiten zurückgegangen sind und bei denen die Zeit mit Computerspielen und Fernsehen ganz besonders stark hochgegangen sind."
Gerade leistungsschwächere Kinder seien aber darauf angewiesen, dass die Lehrer ihnen den Stoff vermitteln, und genau das sei im Homeschooling in vielen Fällen ausgefallen.
Folgerungen aus der Studie
Wo immer es irgendwie möglich ist, sollten Schulen in den Regelbetrieb kommen: "Dass die Kinder wirklich in die Schule gehen können, denn da wird etwas vermittelt, da können sie wirklich lernen."
Bei einem Infektionsgeschehen sei es sinnvoller, einzelne Lerngruppen oder Klassenverbände in Quarantäne zu schicken und nicht ganze Einrichtungen und schon gar nicht ganze Landkreise, betonte Ludger Wößmann.
Die zweite Erkenntnis aus der Studie laut Ludger Wößmann: "Wenn es nicht verhindert werden kann, dass die Schule geschlossen werden muss, sollten die Schulen umgehen auf Online-Unterricht umschalten. Da müsse es klare Vorgaben der Schulpolitik geben, dass Lehrerinnen und Lehrer täglich ihre Schüler kontaktieren müssen."
Wie kann Präsenzunterricht gewährleistet werden?
Mit Blick auf die ifo-Studie sei zu empfehlen, alles zu tun, den Präsenzbetrieb in den Schulen beizubehalten, sagt Olaf Köller, Direktor des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) an der Universität zu Kiel, im Deutschlandfunk. Er gehört zu der Arbeitsgruppe, die die Stellungnahme der Nationalakademie Leopoldina verfasst hat, den Schulunterricht für Krisenzeiten widerstandsfähiger und flexibler zu gestalten vor allem bezogen auf eine verlässliche technische und organisatorische Infrastruktur.
"Dazu gehört auch, dass Schülerinnen und Schüler, wenn sie alt genug sind, also ab dem fünften Schuljahr, eine Maske im Unterricht tragen, so dass das Infektionsrisiko minimiert wird." Auf diese Weise werde die Aufrechterhaltung des Präsenzbetriebes wahrscheinlicher, so Olaf Köller.
Wie kann Online-Unterricht verbessert werden?
Bund und Länder müssten sich gemeinsam auf den Weg machen, nachhaltige digitale Lernsysteme in den Schulen zu etablieren, forderte Olaf Köller: "Sodass man in und außerhalb der Schulen im Distanzlernen erfolgreich mit diesen digitalen Medien weiterlernen kann."
Langfristige Strategien gegen die Coronakrise müssten länderübergreifend umgesetzt werden. Es müsse eine Organisation gefunden werden, "die in allen Bundesländern nachhaltiges Lernen auch in Pandemiezeiten ermöglicht".
Kein Bundesland verfüge über ein intelligentes digitales System, mit dem die Kinder alleine zuhause lernen können, konstatierte Olaf Köller: "Wo es um intelligentes Lernen mit digitalen Medien geht, sind die Länder alle unvorbereitet."
Wie kann der Lernrückstand wieder aufgeholt werden?
Zunächst sei eine Lernstandserhebung sinnvoll, Olaf Köller, "um empirische Daten zu erhalten, wie groß die Verluste sind und um zu sehen, wo genau die Defizite der Schülerinnen und Schüler liegen, an denen wir ansetzen können."
Zusätzlich brauche es aber Födermaßnahmen, Angebote, beispielsweise in Deutsch und Mathematik, und weitere Lerngelegenheiten, beispielsweise im Nachmittagsunterricht: "Das sind auch keine einmaligen Angebote, sondern diese Schülerinnen und Schüler wird man sicherlich das ganze Schuljahr begleiten müssen, um diese Defizite zu beseitigen."