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Lernvideos im Studium
Der Hörsaal für zu Hause

Lernvideos sind allgegenwärtig - auch an Universitäten: Christian Spannagel etwa von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg nutzt die Clips methodisch. Zur Vorbereitung seiner Veranstaltungen gibt er Studierenden keine Texte, sondern Videos: "Das gibt mir ganz viel Zeit, um mit den Studierenden ihre Fragen zu besprechen", sagte Spannagel im Dlf.

Christian Spannagel im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Ein lächelnder Mann sitzt an einem Schreibtisch, vor ihm steht ein Laptop
    Clips anschauen zur Vorbereitung von Vorlesungen: Mathematikprofessor Christian Spannagel findet, dass sich Videos gut eignen um z.B. Beweisverfahren zu lernen (imago stock&people)
    Benedikt Schulz: Wir berichten in dieser Woche über Trends beim Lernen im und mit dem Netz, und da ganz besonders das Lernen zu Hause mit Videoclips – "Aus dem Netz in den Kopf". Und heute gehen wir an die Hochschule.
    Wir wollen darüber sprechen mit einem, der Vorlesungen hält und der keine Berührungsängste mit YouTube hat. Christian Spannagel, Prorektor der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Prorektor für Forschung, Medien und IT, und er produziert selbst YouTube-Videos. Herr Spannagel, hallo!
    Christian Spannagel: Hallo!
    Schulz: Was genau machen Sie da, wie setzen Sie Clips ein für die eigene Didaktik?
    Spannagel: Ich lasse die Studierenden Videos in Vorbereitung auf die Vorlesung anschauen, zu Hause. Ich halte keine Vorlesungen im eigentlichen Sinne mehr, sondern die Studierenden bereiten sich auf die Vorlesungen vor, indem sie sich meine Vorlesungen online anschauen.
    Und das gibt mir ganz viel Zeit, in der Vorlesungszeit mit den Studierenden ihre Fragen zu besprechen, gemeinsam vertiefte Aspekte zu diskutieren oder gemeinsam Aufgaben zu rechnen.
    Schulz: Sie unterrichten Mathematik – ist das auch für jedes Fach geeignet, zum Beispiel für Geschichte oder Germanistik?
    Spannagel: Die Methode kann man prinzipiell in jedem Fach einsetzen, aber vielleicht nicht in allen Bereichen der Fächer. Insbesondere eignen sich natürlich Grundvorlesungen dafür, also bei Inhalten, die sich nicht jedes Semester ändern.
    Es gibt aber durchaus auch Lern- und Lehrformate an der Hochschule wie beispielsweise Seminare, Forschungsseminare, Masterseminare, in denen würde ich diese Methode nicht wählen, einfach, weil sich die Inhalte entweder zu stark ändern, oder weil ich andere Kompetenzen der Studierenden im Blick habe und sie selbstständig an Themen arbeiten. Da macht es keinen Sinn, Videos für zu produzieren.
    "Ich muss das Konzept sehr authentisch vertreten und mit Nachdruck"
    Schulz: Mich erinnert das ein bisschen daran, dass man in Seminaren oder auch in Vorlesungen die Aufgabe bekommen hat, lesen Sie für die nächste Sitzung bitte diesen Text. Das hat, vorsichtig ausgedrückt, nicht jeder getan. Wie ist das, werden YouTube-Videos häufiger dann geguckt, als dieser Text vorbereitet wird.
    Spannagel: Sie sprechen an, dass Flipped Classrooms letzten Endes eine ganz alte Methode ist jetzt im neuen Gewand, vielleicht ist es auch so, und natürlich ist es da auch nicht so, dass Studierende automatisch sich vorbereiten, sondern man muss das methodisch wirklich gut angehen. Ich mache das so: Ich wiederhole am Anfang der Vorlesung nichts.
    Also, wiederholen darf man nicht, sonst bereitet sich keiner vor, weil es wird ja kurz zusammengefasst. Und ich frage beispielsweise auch am Anfang nicht, wer sich vorbereitet hat, denn wenn sich dann 50 Prozent melden, die sich nicht vorbereitet haben, was mache ich dann? Ich bringe mich selbst in eine ungünstige Situation.
    Ich muss das Konzept also sehr authentisch vertreten und mit Nachdruck, und ich sage den Studierenden, ich gehe davon aus, dass sie vorbereitet sind, und wir beginnen gleich am Anfang mit einer Fragerunde auf recht hohem Niveau, bei der die Studierenden, die sich vorbereitet haben, ihre Fragen stellen und gegenseitig beantworten. Und wer sich nicht vorbereitet hat, kriegt relativ schnell mit, dass er mit der Sitzung gar nichts anfangen kann.
    "Videos sind besonders gut für Prozesse geeignet"
    Schulz: Wofür sind denn solche Clips, sage ich jetzt mal, überhaupt gar nicht geeignet?
    Spannagel: Das ist eine schwierige Frage. Das hängt immer von den Inhalten oder Themen ab. Ich kann sagen, wofür Clips besonders gut geeignet sind. Besonders gut sind sie für Prozesse geeignet. In der Mathematik zum Beispiel Beweisverfahren oder Problemlöseprozesse, weil Videos ja ein Medium sind, in dem man zeitabhängige Inhalte sehr gut darstellen kann. Texte wiederum sind vielleicht für andere Dinge geeignet. Also wenn ich möchte, dass Studierende wissenschaftliche Publikationen lesen lernen, dann würde ich ihnen auch eine Text geben und das Ganze natürlich nicht als Video machen. Oder vielleicht, wenn sie historische Dokumente oder Originaltexte von Philosophen oder ähnliches lesen müssen, da würde ich wahrscheinlich auch nicht ein Video vorbereiten, sondern da würde es mir darum gehen, dass die Studierenden lernen, sich mit diesen Texten auseinanderzusetzen.
    Schulz: Sie machen jetzt Ihre eigenen Clips, und das kann, behaupte ich jetzt einfach mal, vermutlich nur ein Bruchteil der deutschen Profs und Dozenten, oder?
    Spannagel: Videos zu produzieren ist total einfach, und ich habe das tatsächlich am Anfang mit null Minuten Aufwand gemacht. Und zwar habe ich einfach eine normale Vorlesung gehalten und die Vorlesung aufzeichnen lassen von einem studentischen Mitarbeiter. Da gibt es an vielen Hochschulen auch Systeme, die automatisch mitschneiden, und viele Professorinnen und Professoren zeichnen ja schon ihre Vorlesungen auf, setzen sie dann anschließend aber nicht im nächsten Semester als Ausgangsmaterial ein.
    Das Aufzeichnen kann sehr unaufwendig sein, wenn man die Vorlesungsaufzeichnungen nutzt, die man vielleicht sowieso schon hat oder einfach anlegen kann. Aufwendiger wird es natürlich, und da gibt es keine Grenze nach oben, je nach Perfektionismus und Aufwand, den man reinsteckt, wenn man die Videos separat produziert. Das muss aber nicht unbedingt sein.
    "Ich würde eher für eine Methodenvielfalt plädieren an der Hochschule"
    Schulz: Jetzt habe ich eingangs etwas plakativ erwähnt, die Vorlesung hat möglicherweise ausgedient oder eben noch nicht ausgedient. Wie sehen Sie das?
    Spannagel: Ich sehe es so, dass wir eine Vielfalt an Methoden an der Hochschule haben sollten. Es wäre schlimm, wenn jetzt alle Flipped-Classroom machen würden, und keiner würde mehr eine Vorlesung halten oder keiner würde mehr Seminare machen oder Ähnliches, sondern ich finde es gut, wenn einige diese Methode einsetzen und andere jene Methode.
    Und es gibt ja auch Professorinnen und Professoren, die total fesselnde Vorlesungen halten, die ein Event für sich sind. Und da wäre es vielleicht schade, wenn diese tatsächlich gar nicht mehr existieren würden. Also ich würde eher für eine Methodenvielfalt plädieren an der Hochschule.
    Schulz: Christian Spannagel, Prorektor für Forschung, Medien und IT an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, und er produziert für seine Vorlesungen selber YouTube-Clips. Unsere Reihe "Aus dem Netz in den Kopf" geht morgen und noch die ganze Woche weiter, morgen dann mit dem Schwerpunkt Lernvideos im Schulunterricht. Und natürlich, sie finden das alles auch im Netz – deutschlandfunk.de.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.