Ein dunkelblauer Polizeibus fährt von der Küstenstraße ein paar Kilometer weit durch Olivenhaine, vorbei an Mohnblumen, grünen Wiesen, blühenden Pfirsichbäumen. Dann taucht am Horizont ein lang gezogener grauer Klotz auf. Die Menschen im Bus - neu angekommene Flüchtlinge - starren vom Bus aus auf hohe Mauern, Stacheldraht, drumherum riesengroße Leuchtmasten ... es ist der Hotspot Moria auf Lesbos. Seit Sonntag sei er zum Gefängnis für immer mehr Flüchtlinge geworden, sagt Constance Theissen, die Frau, die für Ärzte ohne Grenzen in der Hafenstadt Mytilini Hilfe koordiniert:
Ja, es ist ein Gefängnis, eine Haftanstalt, sagt die Französin, denn es ist komplett abgeriegelt, Journalisten inzwischen unerwünscht. Auch die grade neu einfahrenden Flüchtlinge können weder raus noch wieder rein. Aber wie lange eigentlich? Diese Frage kann niemand auf Lesbos beantworten - auch wenn der Sprecher der Bundeskanzlerin weit weg in Berlin gestern von kurzer Aufenthaltsdauer gesprochen hat. Auf Lesbos, mitten in einer der fast stündlich nötigen Absprache-Runden von Ärzte ohne Grenzen, lächeln einige Mitarbeiter sarkastisch über solche Ferndiagnosen. Der renommierte Hilfsdienst hat schweren Herzens entschieden, seine Helfer aus dem Lager Moria abzuziehen. Gestern morgen war ein Ärzte-Ohne-Grenzen-Team nochmal drin - und ... ziemlich entsetzt:
"Menschen müssen bei heftigem Ägais-Sturm Windböen teilweise unter freiem Himmel schlafen, es gibt zu wenige Wasseranschlüsse und zu wenige Toiletten und Duschen. Was, wenn bei besserem Wetter wieder mehr Flüchtlinge kommen? Will die griechische Regierung dann auch an den neuen Regeln festhalten? Und wo sind eigentlich die versprochenen EU-Fachleute, die mit der nötigen Sorgfalt das Asyl-Recht anwenden sollen? Der UNHCR-Sprecher auf Lesbos, Boris Cheshirkow, schüttelt den Kopf:
Griechenland hat in den letzten Tagen, so sagt er, seine Grundeinstellung komplett gewechselt - von Offenheit auf extrem eingeschränkte Bewegungsfreiheit der geflohenen Menschen. Der UN-Flüchtlingsexperte hat zum Interview in die Lobby eines Hotels geladen, in dem jetzt auffallend viele UNHCR-Mitarbeiter ziemlich genervt wirken. Denn auch das UN-Flüchlingshilfswerk hat deutlich reagiert auf die neuen Verhältnisse - nicht nur auf Lesbos: Keine Transporte mehr werden betreut, die Flüchtlinge am Ende kasernieren sollen.
Boris Cheshirkow sagt:
"Der weitaus größte Anteil der Flüchtlinge, die nach Lesbos kommen sind Familien mit kleinen Kindern. Können Sie sich vorstellen, was es für ein Kind bedeutet, das bis zu fünf Jahre Krieg miterlebt hat, sich nur noch benachteiligt fühlt - und das dann bei der Ankunft in Europa hofft, dass es endlich in Sicherheit ist - und dann muss es auf hohe Mauern und Stacheldraht schauen - das verstärkt die seelischen Verletzungen doch wieder".
"Wir fürchten, dass sie zurückgeschickt werden könnten"
Die junge Griechin, die das Interview mit dem UN-Mann mithört, erzählt später, wie toll das vor einer guten Woche war, als die US-Schauspielern Angelina Jolie genau in dieser Lobby aufkreuzte, und sie und das UNHCR noch voller Hoffnung war, Europa könnte sich doch noch zum Happy End in dieser Flüchltingstragödie überreden lassen. Stattdessen dürfte die Tragödie einer langen Flucht ebenso tragisch weitergehen, sagt die Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen:
"Wir fürchten, dass sie zurückgeschickt werden könnten jetzt in die Türkei, massenhaft. Ohne dass sie eine Chance bekommen - kein Grundrecht auf Asyl. Ein Skandal - auch für die vielen anderen Nicht-Regierungsorganisationen, deren Mitarbeiter gestern zum Teil wie gelähmt wirkten - und ins Mikrofon wollten sie alle nichts sagen."