Michael Köhler: Heinrich Heine, dieser große, wunderbare Lyriker und Spötter des jungen Deutschland, der die preußischen Zensurmaßnahmen gut kannte und für Teufelswerk hielt, nannte Johannes Gutenberg einmal sehr schön, den Erfinder der Buchdruckerkunst mit beweglichen Lettern, er nannte ihn den "Mainzer Teufelsbanner". Und Heine sprach damit aus leidvollen Erfahrungen und sah im gedruckten Buch und in der Zeitung ein anti-teuflisches Aufklärungswerk, ein gedrucktes Mittel der Emanzipation. Die Zeitung aber heute hat keine gute Zeitung. Die "Frankfurter Rundschau" ist insolvent, die "Financial Times Deutschland" macht auch dicht, und deshalb habe ich Helmut Heinen, den Präsidenten im Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger, gefragt, woran denn der mangelnde Erfolg seiner Meinung nach liegt?
Helmut Heinen: Sicherlich ist es so, dass die "Financial Times Deutschland" von Anfang weg als ein sehr engagiertes Projekt gestartet wurde, bei dem die Verleger sich auch dazu bekannt haben, notfalls über eine längere Zeit Anlaufverluste in Kauf zu nehmen. Hier ist also kein Titel, der lange erfolgreich und gewinnträchtig im Markt war, sondern ein Titel, der immer kämpfen musste und der jetzt bei den gleich ja noch zu besprechenden allgemeinen Schwierigkeiten in der Lage dabei eben dann wirklich keine Perspektive mehr finden konnte.
Köhler: Wir beobachten seit 20 Jahren so etwas, was man durchaus einen Sinkflug von Tageszeitungsauflagen nennen könnte: von 1990/91 etwa 27 Millionen ungefähr bis runter auf 18 Millionen, wenn meine Zahlen so einigermaßen stimmen. Ist das Verlieren von Auflage und Reputation im Tageszeitungsgeschäft eigentlich ein Automatismus?
Heinen: Also ich glaube, Auflage und Reputation sind zwei grundverschiedene Dinge. Ich will jetzt mal zur Auflage etwas sagen. Da ist ganz bemerkenswert, dass Sie den Zeitraum ab 1990/91 genannt haben, und wenn Sie sich schon die ersten Jahre dieses Zeitraumes, also die erste Hälfte der 90er anschauen, dann werden Sie feststellen, dass bevor das Internet eine nennenswerte Bedeutung erlangte schon ein Rückgang der Tageszeitungsauflagen, gar nicht im Durchschnitt so viel weniger als in den letzten Jahren, stattgefunden hat. Wir haben es hier nicht unbedingt mit einer Konkurrenz durch digital verbreitete Inhalte zu tun, aber wir haben es mit einer allgemeinen Veränderung der Medien-Nutzungsgewohnheiten zu tun, mit einer in zumindest Teilen unserer Gesellschaft klar diagnostizierbaren Abkehr vom Lesen, vom Bezahlen für Lesestoff, und das ist sehr, sehr stark korrelierend mit Bildungs- und Sozialfaktoren. Es ist gar keineswegs so, dass der gut gebildete, agile Internet-Nutzer besonders desinteressiert an Print wäre – das Gegenteil ist eigentlich eher der Fall. Wir haben also eine Veränderung der Medien-Nutzungsgewohnheiten, die auch ohne die enorme Steigerung des Informationsangebotes im digitalen Bereich zu einem Abschmelzen der Zeitungsauflagen geführt hätte.
Köhler: Herr Heinen, habe ich das richtig verstanden, oder fühlen Sie sich richtig wiedergegeben, wenn ich das so zusammenfasse, was Sie gerade gesagt haben: Das Internet allein ist nicht Schuld, wir haben ein verändertes Nutzungsverhalten, wir haben eine Abkehr vom Lesen, die Leute wollen nicht bezahlen und manche meinen, geistige Arbeit sei nichts wert?
Heinen: Das ist gar nicht schlecht zusammengefasst. Und wenn ich noch mal die zwei Nicht-Internet-Faktoren auch noch mal hervorheben darf, dann ist es zum einen eben eine Lesemüdigkeit in einem ziemlich klaren Sinne. Wir haben ja aus Pisa-Studien und ihren Folgestudien heraus die klare Kenntnis, dass wir heute in der Altersklasse der um die 20jährigen etwa 20 Prozent haben, die nicht imstande sind, längere Texte zu lesen. Die scheiden aus als potenzielle Leser für unsere Zeitungen. Und wir haben zum zweiten in der Tat diese, ich nenne es jetzt mal ganz schlagwortartig, Gratismentalität, die dazu führt, dass man zwar gerne liest, aber nicht unbedingt bereit ist, dafür zu bezahlen. Das geht natürlich auch einher mit einer gar nicht zu beklagenden, aber einfach festzustellenden Ausweitung des Angebotes an kostenlos erhältlichem Lesestoff und auch an anderem Unterhaltungsstoff. Auch da spielt das Internet wieder eine Rolle, aber mehr die Entscheidungen, die getroffen worden sind, Stoffe dort einzustellen. Aber da gibt es natürlich viel mehr als früher kostenlose Kundenzeitschriften, teilweise sehr hochklassiger Art. Da gibt es das vermeintlich kostenlos empfundene Rundfunkangebot und da gibt es so eine Vielzahl von Medienangeboten, die der Leser nicht mehr bezahlen muss, und dann fällt es ihm schwer, gerade für die Zeitung zu bezahlen, wie das in früheren Generationen selbstverständlich war.
Köhler: Herr Heinen, ich frage abschließend mal nicht den Vorsitzenden des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, sondern den Herausgeber der "Kölnischen Rundschau". Wir leben ja in sehr komplexen Zeiten, internationalisierten Gesellschaften, Nachdenken, Reflexion ist gefragt. Was ich sagen will: Eigentlich ist die Zeitung doch ein prima Medium dafür: ist ein reflexives Medium, ist ein nachdenkliches Medium, braucht Zeit, man muss sich ein paar Gedanken dazu machen. Merkwürdig ist dann aber doch, dass das irgendwie nicht zu funktionieren scheint. Funktioniert die Tageszeitung nur noch im Nahbereich, also als lokales Blatt?
Heinen: Nein, auf keinen Fall. Aber die meisten Titel haben natürlich mit ihrem lokalen Informationsangebot dasjenige Verkaufsargument, das sie befähigt, auf Dauer auch entgeltlich ihre Informationen zu verteilen. Wir brauchen keine 200 überregionalen Nachrichtenangebote, von denen jedes meint, so wertvoll zu sein, dass es unbedingt damit einen Preis am Markt rechtfertigen kann. Das gelingt den meisten Titeln in Zukunft über die lokale Kompetenz und das lokale Angebot. Ich bin sicher, dass die Nutzung von Angeboten der Zeitungen, wenn sie denn gemacht werden, weiter zunehmen wird, aber die Umsetzung in bezahlte und in werbevermarktbare Angebote mit vernünftigen Erträgen, die ist noch ein ganzes Stück weit offen und problematisch und die wird auch nicht jedem gelingen. Im lokalen Bereich ist darauf zu achten, dass nicht der Fehler gemacht wird, die lokale Kompetenz abzubauen und damit für den Leser unattraktiv zu werden. Wo das vermieden wird, wo eine gute Arbeit geleistet wird, bin ich sicher, wird es auch ein Interesse und auch eine Nachfrage und auch eine Finanzierung geben.
Köhler: Das sagt Helmut Heinen, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Zeitungsverleger.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Helmut Heinen: Sicherlich ist es so, dass die "Financial Times Deutschland" von Anfang weg als ein sehr engagiertes Projekt gestartet wurde, bei dem die Verleger sich auch dazu bekannt haben, notfalls über eine längere Zeit Anlaufverluste in Kauf zu nehmen. Hier ist also kein Titel, der lange erfolgreich und gewinnträchtig im Markt war, sondern ein Titel, der immer kämpfen musste und der jetzt bei den gleich ja noch zu besprechenden allgemeinen Schwierigkeiten in der Lage dabei eben dann wirklich keine Perspektive mehr finden konnte.
Köhler: Wir beobachten seit 20 Jahren so etwas, was man durchaus einen Sinkflug von Tageszeitungsauflagen nennen könnte: von 1990/91 etwa 27 Millionen ungefähr bis runter auf 18 Millionen, wenn meine Zahlen so einigermaßen stimmen. Ist das Verlieren von Auflage und Reputation im Tageszeitungsgeschäft eigentlich ein Automatismus?
Heinen: Also ich glaube, Auflage und Reputation sind zwei grundverschiedene Dinge. Ich will jetzt mal zur Auflage etwas sagen. Da ist ganz bemerkenswert, dass Sie den Zeitraum ab 1990/91 genannt haben, und wenn Sie sich schon die ersten Jahre dieses Zeitraumes, also die erste Hälfte der 90er anschauen, dann werden Sie feststellen, dass bevor das Internet eine nennenswerte Bedeutung erlangte schon ein Rückgang der Tageszeitungsauflagen, gar nicht im Durchschnitt so viel weniger als in den letzten Jahren, stattgefunden hat. Wir haben es hier nicht unbedingt mit einer Konkurrenz durch digital verbreitete Inhalte zu tun, aber wir haben es mit einer allgemeinen Veränderung der Medien-Nutzungsgewohnheiten zu tun, mit einer in zumindest Teilen unserer Gesellschaft klar diagnostizierbaren Abkehr vom Lesen, vom Bezahlen für Lesestoff, und das ist sehr, sehr stark korrelierend mit Bildungs- und Sozialfaktoren. Es ist gar keineswegs so, dass der gut gebildete, agile Internet-Nutzer besonders desinteressiert an Print wäre – das Gegenteil ist eigentlich eher der Fall. Wir haben also eine Veränderung der Medien-Nutzungsgewohnheiten, die auch ohne die enorme Steigerung des Informationsangebotes im digitalen Bereich zu einem Abschmelzen der Zeitungsauflagen geführt hätte.
Köhler: Herr Heinen, habe ich das richtig verstanden, oder fühlen Sie sich richtig wiedergegeben, wenn ich das so zusammenfasse, was Sie gerade gesagt haben: Das Internet allein ist nicht Schuld, wir haben ein verändertes Nutzungsverhalten, wir haben eine Abkehr vom Lesen, die Leute wollen nicht bezahlen und manche meinen, geistige Arbeit sei nichts wert?
Heinen: Das ist gar nicht schlecht zusammengefasst. Und wenn ich noch mal die zwei Nicht-Internet-Faktoren auch noch mal hervorheben darf, dann ist es zum einen eben eine Lesemüdigkeit in einem ziemlich klaren Sinne. Wir haben ja aus Pisa-Studien und ihren Folgestudien heraus die klare Kenntnis, dass wir heute in der Altersklasse der um die 20jährigen etwa 20 Prozent haben, die nicht imstande sind, längere Texte zu lesen. Die scheiden aus als potenzielle Leser für unsere Zeitungen. Und wir haben zum zweiten in der Tat diese, ich nenne es jetzt mal ganz schlagwortartig, Gratismentalität, die dazu führt, dass man zwar gerne liest, aber nicht unbedingt bereit ist, dafür zu bezahlen. Das geht natürlich auch einher mit einer gar nicht zu beklagenden, aber einfach festzustellenden Ausweitung des Angebotes an kostenlos erhältlichem Lesestoff und auch an anderem Unterhaltungsstoff. Auch da spielt das Internet wieder eine Rolle, aber mehr die Entscheidungen, die getroffen worden sind, Stoffe dort einzustellen. Aber da gibt es natürlich viel mehr als früher kostenlose Kundenzeitschriften, teilweise sehr hochklassiger Art. Da gibt es das vermeintlich kostenlos empfundene Rundfunkangebot und da gibt es so eine Vielzahl von Medienangeboten, die der Leser nicht mehr bezahlen muss, und dann fällt es ihm schwer, gerade für die Zeitung zu bezahlen, wie das in früheren Generationen selbstverständlich war.
Köhler: Herr Heinen, ich frage abschließend mal nicht den Vorsitzenden des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, sondern den Herausgeber der "Kölnischen Rundschau". Wir leben ja in sehr komplexen Zeiten, internationalisierten Gesellschaften, Nachdenken, Reflexion ist gefragt. Was ich sagen will: Eigentlich ist die Zeitung doch ein prima Medium dafür: ist ein reflexives Medium, ist ein nachdenkliches Medium, braucht Zeit, man muss sich ein paar Gedanken dazu machen. Merkwürdig ist dann aber doch, dass das irgendwie nicht zu funktionieren scheint. Funktioniert die Tageszeitung nur noch im Nahbereich, also als lokales Blatt?
Heinen: Nein, auf keinen Fall. Aber die meisten Titel haben natürlich mit ihrem lokalen Informationsangebot dasjenige Verkaufsargument, das sie befähigt, auf Dauer auch entgeltlich ihre Informationen zu verteilen. Wir brauchen keine 200 überregionalen Nachrichtenangebote, von denen jedes meint, so wertvoll zu sein, dass es unbedingt damit einen Preis am Markt rechtfertigen kann. Das gelingt den meisten Titeln in Zukunft über die lokale Kompetenz und das lokale Angebot. Ich bin sicher, dass die Nutzung von Angeboten der Zeitungen, wenn sie denn gemacht werden, weiter zunehmen wird, aber die Umsetzung in bezahlte und in werbevermarktbare Angebote mit vernünftigen Erträgen, die ist noch ein ganzes Stück weit offen und problematisch und die wird auch nicht jedem gelingen. Im lokalen Bereich ist darauf zu achten, dass nicht der Fehler gemacht wird, die lokale Kompetenz abzubauen und damit für den Leser unattraktiv zu werden. Wo das vermieden wird, wo eine gute Arbeit geleistet wird, bin ich sicher, wird es auch ein Interesse und auch eine Nachfrage und auch eine Finanzierung geben.
Köhler: Das sagt Helmut Heinen, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Zeitungsverleger.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.