Atomarer Schutzschirm
Lettischer Ex-Präsident Levits: "Europa muss sich verteidigen können"

Der frühere Präsident Lettlands, Levits, hat für eine stärkere Rolle Europas in der NATO plädiert. Er sagte, deshalb seien auch Diskussionen wie jene über einen europäischen Atom-Schutzschirm ohne die USA notwendig. In Deutschland gibt es dazu ganz verschiedene Meinungen.

    Der lettische Präsident Egils Levits spricht im November 2022 während einer Medienkonferenz zum Abschluss des Symposiums "Die Idee von Europa" in Kaunas/Litauen.
    Der lettische Präsident Egils Levits (Archivbild) (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Mindaugas Kulbis)
    Levits sagte im Deutschlandfunk, Europa müsse in der Lage sein, sich zu verteidigen. Man könne nicht ewig auf die Solidarität der Vereinigten Staaten zählen.
    In den USA hatte der republikanische Präsidentschaftsbewerber Trump erklärt, er werde im Fall eines Wahlsiegs im November anderen NATO-Ländern im Angriffsfall nicht beistehen, wenn sie nicht genug in die Verteidigung investierten. Mit Blick auf diese Aussage sagte Levits, die Beistandspflicht sei die Grundlage der NATO. Eine stärkere NATO sei für den Weltfrieden unabdingbar.
    Das komplette Interview mit Egils Levits können Sie hier nachlesen.

    Pistorius ruft zur Zurückhaltung auf

    Die Bundesregierung verwies auf das bereits bestehende nukleare Abschreckungspotenzial durch Frankreich und Großbritannien. Regierungssprecher Hebestreit sagte in Berlin, die französischen und britischen Atomwaffen seien bereits jetzt gemeinsam mit dem US-Arsenal Teil der Abschreckung durch die NATO. An diese glaube man. Zuvor hatte bereits Bundesverteidigungsminister Pistorius in der Debatte um den atomaren Schutzschild der USA zur Zurückhaltung aufgerufen. Der SPD-Politiker sagte dem Fernsehsender "Welt", er könne nur davor warnen, mit dieser Leichtfertigkeit eine Diskussion vom Zaun zu brechen, nur weil der frühere US-Präsident Trump mit seinen Äußerungen zur NATO Zweifel am Beistandswillen der USA ausgelöst habe. Das transatlantische Bündnis sei keine Einbahnstraße.
    Der SPD-Außenpolitiker Stegner bezeichnete den Vorstoß für gemeinsame europäische Atomwaffen als "brandgefährliche Eskalation". Gegenüber dem "Tagesspiegel" betonte er: "Eine europäische Atommacht braucht es nicht - sie wäre das Gegenteil von europäischer Sicherheit." Der frühere Außenminister Gabriel, ebenfalls SPD, fordert indes den Ausbau von nuklearen Fähigkeiten in der EU: "Ich hätte nie gedacht, dass ich darüber mal nachdenken muss. Aber Europa braucht eine glaubwürdige Abschreckung. Dazu gehört eine gemeinsame nukleare Komponente“, schreibt Gabriel in einem Gastbeitrag für das Magazin "Stern". Der amerikanische Schutz werde absehbar zu Ende gehen, die Debatte darüber, woher der Ersatz kommen solle, müsse jetzt beginnen. Gestern hatte die SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Barley, gesagt, sie rechne mit baldigen Debatten über Atombomben für die Europäische Union. Auf den amerikanischen Schutzschirm sei angesichts der Infragestellung des NATO-Beistandsprinzips durch US-Präsidentschaftsbewerber Trump kein Verlass mehr, erklärte Barley im "Tagesspiegel".

    Lindner (FDP) für Kooperation mit Atommächten Frankreich und Großbritannien

    Bundesfinanzminister Lindner verwies in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine" auf Angebote von Frankreichs Präsident Macron, unter dem Dach der NATO bei der nuklearen Abschreckung zu kooperieren. Die Frage sei, unter welchen politischen und finanziellen Bedingungen die französische und auch die britische Regierung bereit seien, ihre Atombomben für eine kollektive Sicherheit vorzuhalten oder auszubauen, schrieb der FDP-Chef. Dabei müsse Deutschland sich fragen, welchen Beitrag es leisten wolle.
    Seine Parteikollegin, die Spitzenkandidatin für die Europawahl und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages, Strack-Zimmermann, wies ebenfalls Überlegungen zurück, auf eine eigene europäische Nuklearabschreckung zu setzen.Im Deutschlandfunk sagte sie, dieser Vorschlag sei überschaubar klug. Sie habe den Eindruck, dass vielen die Dimension eines solchen Schrittes nicht klar sei. Weder die französischen noch britischen Atomwaffen könnten den amerikanischen Schutzschirm ersetzen. Und selbst wenn man es wollte, wäre Europa nicht in der Lage, innerhalb von wenigen Jahren eine eigene Abschreckung aufzubauen. Strack-Zimmermann betonte, vielmehr müsse man die USA davon überzeugen, dass es auch in ihrem Interesse sei, weiterhin einen nuklearen Schutzschirm für Europa zu garantieren.

    Skepsis bei CDU und Linken, Zustimmung aus CSU

    Linkenchef Schirdewan sprach von "Säbelrasseln". "Die richtige Antwort auf Trumps Unsinn ist nicht atomare Aufrüstung, sondern eine Politik der Deeskalation und zivilen Konfliktlösung", sagte Schirdewan, der Spitzenkandidat seiner Partei für die Europawahl ist, der Nachrichtenagentur AFP.
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Kiesewetter warnte im TV-Sender "Welt", eine solche Debatte würde die USA aus Europa treiben. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wadephul (CDU), sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Die Diskussion um eine europäische nukleare Abschreckung erfolgt derzeit völlig im luftleeren Raum." Es fehle derzeit jede politische, strategische, technische und finanzielle Grundlage für ein solches Ziel. Der CDU-Außenexperte Röttgen sagte, der Vorschlag sei in jeder Hinsicht nicht von dieser Welt.
    Bereitschaft zum Aufbau eines europäischen Nuklearschirms zeigte sich hingegen der CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl, Weber. "Europa muss militärisch so stark werden, dass sich keiner mit uns messen will", sagte er der "Bild"-Zeitung. "Dies bedeutet, wir brauchen Abschreckung. Zur Abschreckung gehören Nuklearwaffen."

    Politikwissenschaftler Münkler: "Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf"

    Bereits Ende vergangenen Jahres hatte der renommierte Politologe Herfried Münkler Europa zu einer atomaren Aufrüstung geraten, um besser vor Kriegen geschützt zu sein. Der Wissenschaftler sagte dem Magazin "Stern", Europa müsse atomare Fähigkeiten aufbauen. Die Briten hätten zwar Atom-U-Boote und Frankreich Atombomben. Aus Sicht des Kremls dürfe man aber bezweifeln, dass sie diese auch wirklich einsetzen würden, um Litauen oder Polen zu schützen. Wörtlich wird Münkler mit den Worten zitiert: "Wir brauchen einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen großen EU-Ländern wandert." Es sei längst eine Aufrüstungsspirale in Gang, der sich Europa nicht entziehen könne.

    Ischinger nennt Idee einer europäischen Atombombe "Unsinn"

    Der frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, bezeichnete die Idee einer europäischen Atom-Bombe wiederum als Unsinn. Es sei unklar, wer in einer EU mit 27 Mitgliedsstaaten eine Entscheidung treffen solle, sagte er im Sender MDR. Für den Fall, dass die USA sich von Europa abwendeten, müsse mit den Nuklearmächten Frankreich und Großbritannien über eine verstärkte nukleare Abschreckung gesprochen werden.
    Die nukleare Abschreckung der NATO basiert derzeit fast ausschließlich auf den US-Atomwaffen. Großbritannien und Frankreich sind daneben die einzigen beiden anderen NATO-Staaten, die über solche Waffensysteme verfügen. Macron hat Deutschland und anderen EU-Partnern bereits 2020 Gespräche über eine europäische Kooperation bei der atomaren Abschreckung angeboten - bisher ohne große Resonanz. 

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    Diese Nachricht wurde am 15.02.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.