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Nahtod-Erfahrungen haben nicht nur mit dem Sterben zu tun

Manche sehen einen dunklen Tunnel mit Licht am Ende, andere berichten, wie sie sich von ihrem Körper gelöst hatten und diesen von oben sahen. Sind Nahtod-Erfahrungen bloße Halluzinationen oder doch reale Erinnerungen? Eine Studie zeigt, dass diese Bewusstseinszustände offenbar häufiger sind als bislang gedacht.

Von Nele Rößler |
Futuristischer Tunnel - am Ende scheint Licht durch eine Öffnung. Es ist eine Computergrafik.
In Nahtod-Erfahrungen wird oft vom Schweben durch einen Tunnel berichtet (Imago / Science Photo Library)
Eigentlich ist Sterben ganz einfach – zumindest auf physiologischer Ebene betrachtet, sagt Professor Lukas Radbruch, Palliativmediziner am Universitätsklinikum Bonn.
"Letztendlich ist es immer irgendwann so, dass das Herz oder die Atmung aufhört. Und wenn die Atmung aufhört kurz danach auch das Herz. Und dass dann innerhalb weniger Minuten das Gehirn nicht mehr durchblutet ist und dass dann eben das Bewusstsein erlischt und der Mensch stirbt."
Jeder Mensch stirbt seinen eigenen Tod. Sie können an akuten Ursachen wie Autounfällen oder Lungenembolien sterben, oder langsam, an einer Krankheit und ihren Folgen. Im letzteren Fall beginnt der Sterbeprozess bereits einige Tage vorher durch veränderte Stoffwechselprozesse, erzählt Lukas Radbruch:
"Wenn man daneben sitzt, merkt man, dass die Leute immer langsamer atmen, irgendwann lange Atempausen machen, dann irgendwann die Atmung eben ganz aufhört. Irgendwann gibt es dann ein paar extra Schläge vom Herzen und dann bleibt das Herz stehen."
Studie zur Häufigkeit von Nahtod-Erfahrung
Früher markierte das den offiziellen Todeszeitpunkt. Heute wird neben dem Herzstillstand aber auch den Hirntod diagnostiziert, der normalerweise einige Minuten später eintritt. Es sei denn, der Patient wird rechtzeitig wiederbelebt. Denn auch wenn Herz und Lunge bereits den Dienst versagt haben - das Gehirn funktioniert noch eine Zeit lang weiter. Dieses Phänomen ist der Schlüssel für eine Nahtod-Erfahrung, sagt Daniel Kondziella, Neurologe am Reichshospital Kopenhagen.
"All diese Leute werden ja wieder reanimiert, und ihr Gehirn besteht die Situation auch ohne größeren Schaden. Sonst wären diese Leute nicht in der Lage, noch viele Jahre später davon zu berichten. Das heißt, diese Erfahrungen müssen gemacht werden in einem Zustand, in dem das Gehirn noch funktionsfähig ist."
Es gebe viele verschiedene Situationen, in denen Menschen Nahtoderfahrungen gemacht haben, erklärt Daniel Kondziella. Und nicht immer müsse das Leben dabei wirklich auf Messers Schneide gestanden haben. Mitunter genüge schon die Angst, gleich zu sterben:
"In Verkehrssituationen, in denen man beinahe von einem Laster überfahren wird, ohne dabei wirklich zu Schaden zu kommen, das ist physiologisch gesehen ein ganz anderer Zustand als ein Patient, der einen Herzstillstand hat und reanimiert wird. Unsere Studie zeigt, dass diese Nahtod-Erfahrungen trotzdem sehr stereotyp sind."
Jeder Zehnte hat schon einmal eine Nahtod-Erfahrung gemacht
Bei dieser Studie hat Kondziella gemeinsam mit Kollegen von der Universität Kopenhagen rund 1.000 Menschen aus verschiedenen Kulturen nach Nahtod-Erlebnissen gefragt. Ein Zehntel von ihnen erfüllten die Kriterien. Geistererscheinungen, außerkörperliche Erfahrungen, Licht am Ende eines Tunnels - die Schilderungen gleichen sich. Das belegen verschiedenen Studien aus unterschiedlichen Kulturen, aber auch Aufzeichnungen aus verschiedenen zeitlichen Epochen, so Kondziella.
"Auch das Gefühl der Friedfertigkeit und der Ruhe ist ein Thema, das immer wieder kommt. Insofern scheint es schon ein sehr universelles Geschehen zu sein."
Aber nicht nur das subjektive Erleben von Nahtod-Erfahrungen ähnelt sich. Eine Studie, bei der sterbende Menschen beobachtet wurden, die auf Grund eines Schädel-Hirntraumas noch Elektroden im Kopf hatten, zeigte, dass das Sterben mit einer charakteristischen Gehirnwelle einhergeht.
"Genau in dem Augenblick, in dem die Gehirnfunktion erlischt oder wenige Sekunden, bis ein, zwei Minuten danach. Wenn dieser Zustand einmal eingetreten ist, dann liegt tatsächlich ein irreversibler Zustand vor."
Der Mensch ist dann tatsächlich hirntot. Die letzten Gehirnwellen ähneln dabei stets den Ausschlägen bei einem Migräneanfall. Die Schmerzen, die normalerweise damit einhergehen, bekommt der Sterbende nicht mehr mit, womöglich allerdings andere typische Reize.
"Es geht mehr um die visuellen und andere Sinneseindrücke, die man im Zusammenhang mit einer Migräneaura entdecken kann."
Was das für Sterbende konkret bedeutet, wird der Forschung wohl verborgen bleiben, weil - anders als beim Nahtod - niemand mehr seine Erfahrungen schildern kann.