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"Leute, schützt euch!"

Vor 25 Jahren wurde in Berlin die Deutsche AIDS-Hilfe gegründet, die heute als Dachverband über hundert regionale Gruppen vertritt. HIV sei heute nicht mehr so stark im Bewusstsein von Menschen, sagt Carsten Schatz, Mitglied des fünfköpfigen Vorstands. Angesichts des leichten Anstiegs der Infiziertenzahlen in den vergangenen Jahren betont Schatz, wie wichtig die Vorbeugung weiterhin sei.

Carsten Schatz im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Gleich zwei Anlässe gibt es für die Bundeskanzlerin, heute Abend einem Empfang der Deutschen AIDS-Hilfe in Berlin beizuwohnen und eine Rede zu halten. Am 1. Dezember nämlich wird wie jedes Jahr der Welt-Aids-Tag begangen und die Deutsche AIDS-Hilfe feiert ihr 25-jähriges Jubiläum in diesen Tagen. In unserem Berliner Studio begrüße ich Carsten Schatz, der lange schon aktiv ist in der Deutschen AIDS-Hilfe und der seit Oktober Mitglied des fünfköpfigen Vorstands ist. Guten Morgen, Herr Schatz.

    Carsten Schatz: Schönen guten Morgen nach Köln.

    Spengler: Herr Schatz, vor 25 Jahren - wir haben es auch eben kurz gehört - hat man sehr viel mehr über die Immunschwächekrankheit geredet, vor ihr gewarnt, als heute. Ist das ein gutes, oder ein schlechtes Zeichen?

    Schatz: Es ist ein gutes und ein schlechtes Zeichen zugleich. Es ist ein gutes Zeichen insofern, dass es uns natürlich auch durch unsere Arbeit gelungen ist, den Druck, der auf vielen Menschen mit HIV lastete, durch die starke Dramatisierung, wegzunehmen, zu mildern. Auf der anderen Seite ist es ein schlechtes Zeichen, weil natürlich die Gefahren, die eine Infektion mit HIV und eine Aids-Erkrankung haben, mittlerweile nicht mehr so stark im Bewusstsein von Menschen sind. Ich glaube, in dem Zusammenhang ist es einfach noch mal wichtig zu sagen: Es infizieren sich immer noch Leute mit HIV. Wir verzeichnen in den letzten Jahren sogar einen leichten Anstieg der Zahlen. Ich glaube, vor dem Hintergrund ist es nach wie vor wichtig zu sagen: Leute, schützt euch! Vor einer Infektion mit HIV kann man sich, wenn man sich beim Geschlechtsverkehr infizieren könnte, mit einem Kondom schützen. Und ansonsten, wenn man intravenöse Drogen gebraucht, dann sollte man steriles Spritzbesteck verwenden. Dann kann man die Risiken einer Infektion minimieren.

    Spengler: Herr Schatz, was bedeutet Ihnen das, dass die Kanzlerin heute zu Ihrem Empfang kommt, auch die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt übrigens, und dort reden wird?

    Schatz: Richtig. - Es ist ein Zeichen für uns, für die Anerkennung, die unsere Arbeit, die wir seit 25 Jahren machen, durch die Institution des Staates, also Regierung und Verwaltung, genießt. Ich glaube, das freut uns sehr.

    Spengler: Was genau machen Sie denn?

    Schatz: Die Deutsche AIDS-Hilfe ist vor 25 Jahren gegründet worden im Wesentlichen aus den so genannten Haupt-Betroffenengruppen - schwule Männer, Drogen gebrauchende Menschen und später kamen dann noch Frauen und Männer, die in der Sex-Industrie arbeiten, hinzu, Leute, die sich betroffen fühlten damals, die Angst hatten vor einer Infektion, die Angst hatten vor dem Tod, wenn sie infiziert waren. Die haben diese Organisation über die Jahre aufgebaut, deren originärer Ansatz immer Selbsthilfe war, deren originärer Ansatz immer Interessenvertretung war und die sich bis heute das Ziel setzt, vor Infektionen zu schützen, also Menschen in die Lage zu versetzen, ihnen erstens Informationen zu geben über Infektionswege, und sie auch strukturell in die Lage zu versetzen, auch die Rahmenbedingungen anzugucken, weil wir glauben, dass man sich vor einer Infektion am besten schützen kann, wenn man ein hohes Selbstwertgefühl hat, wenn man weiß, es ist gut, dass ich lebe, und es ist gut, dass ich da bin, und zweitens auch die Informationen hat, über Infektionswege und über Strategien Risiken zu minimieren.

    Spengler: Die Infektionswege - das muss man klar sagen - sind durch Körperflüssigkeiten.

    Schatz: Richtig. Ich hatte es ja vorhin angedeutet. Die wesentlichen Infektionswege sind bei sexuellen Kontakten über Körperflüssigkeiten, Sperma in dem Falle oder andere Körpersekrete. Da hilft ein Kondom, sich zu schützen im Wesentlichen vor einer Infektion. Oder über Blutkontakte. Wir hatten ja auch in den 90er Jahren den Bluterskandal in Deutschland, wo raus kam, dass viele Leute sich über Blutkonserven infiziert haben. Dieser Weg ist Gott sei Dank damals durch eine relativ starke Intervention des Staates zugemacht worden. Die Sicherheit dort an dieser Stelle ist heute sehr viel größer. Aber der weitere Weg ist eben für Leute, die intravenös Drogen gebrauchen, dass sie sterile Spritzbestecke verwenden, um sich vor einer Infektion zu schützen.

    Spengler: Es gibt, das muss man auch sagen, trotz gelegentlicher Erfolgsmeldungen - gestern erst gab es eine aus der Berliner Charité - noch kein wirkliches Gegenmittel gegen Aids oder?

    Schatz: Nein. Die Meldung von gestern in der großen Zeitung mit den vier Buchstaben ist eine von ganz vielen.

    Spengler: Wir können ruhig sagen, die "Bild"-Zeitung.

    Schatz: Okay. - Ich denke, es kam gestern so daher, als wenn es jetzt irgendwie wieder eine neue Entlastung gebe. Ich glaube, das ist nicht der Fall. Renommierte Wissenschaftler haben sich auch jetzt schon dazu geäußert. Ich glaube, es ist ein sehr aufwendiger Weg. Es kann vielleicht für die Zukunft was bedeuten, aber momentan leben wir in der Situation, dass Aids und eine HIV-Infektion behandelbare Krankheiten sind durch einen Cocktail von Medikamenten, die auch Nebenwirkungen haben, und nach wie vor das Leben mit HIV von erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen geprägt ist.

    Spengler: Wichtig ist, tatsächlich irgendwie aufzupassen, eben sich nicht zu infizieren.

    Schatz: Richtig.

    Spengler: Wir haben die Stimme eines Berliner Club-Besuchers. Die wollen wir uns mal eben anhören.

    " - "In Berlin ist es ganz krass. Ich kenne genug Leute, die unsafen Sex praktizieren, obwohl sie positiv sind - auf jeden Fall. Ich kenne auch viele, die lassen sich überhaupt nicht testen."

    - "Ich bin seit 1988 ungetestet, weil ich vor den Tests selbst Angst habe." "

    Spengler: Herr Schatz, wie gehen Sie mit solchen Menschen um, die eine solch leichtfertige Haltung haben, also "unsafen Sex praktizieren", wie er sagte?

    Schatz: Ich hatte ja vorhin gesagt, unser Ansatz ist, nicht das Verhalten von Leuten zu bewerten, sondern sie in die Lage zu versetzen, für sich und für andere Entscheidungen zu treffen, indem wir ihnen Informationen vermitteln und indem wir sie in die Lage versetzen, also uns die Umstände angucken. Ich denke, in dem Zusammenhang muss man einfach darauf hinweisen: Wir haben mit der neuen Kampagne, die wir Anfang Oktober gestartet haben, die sich vorwiegend an Männer richtet, die Sex mit Männern haben, die den Titel trägt: "Ich weiß, was ich tue", wollen wir gerade uns als eine Gruppe unter vielen an Männer richten, die in den letzten Jahren müde geworden sind in ihrem Präventionsverhalten. Ich glaube, dass es notwendig ist, erstens nach wie vor das Wissen zu vermitteln, was uns zur Verfügung steht. Da kommt neues Wissen hinzu. Beispielsweise in der Schweiz hat die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen sich auch mit dem Thema beschäftigt, wie sieht es aus mit der Infektiosität von HIV-Positiven, die unter einer Behandlung sind. Und ich glaube, wir müssen lebensnahe Botschaften vermitteln an diese Gruppen. Wichtig ist nach wie vor, dass es das Wissen zu verbreiten gilt. Die Goldregel bleibt das Kondom. Und wir wollen letztlich auch in dieser Kampagne die Leute zum Test ermutigen, weil Informationen zu haben, heißt heute auch zu wissen, ob man eine HIV-Infektion hat, weil Sie durch die Behandelbarkeit sozusagen die Senkung der Viruslast, was dann gleichzeitig die Infektiosität senken kann, auch Möglichkeiten bietet, präventiv vorzugehen.

    Spengler: Herr Schatz, Sie haben es eben kurz angedeutet. Die Zahl der Infektionen steigt wieder leicht an. Das führt mich zu der Frage: wie erfolgreich ist denn Ihre Arbeit seit 25 Jahren?

    Schatz: Ich denke, sie ist international betrachtet sehr erfolgreich. Wir haben in Deutschland über lange Zeit die Zahlen sehr stabil halten können bei etwa 2.000 Neudiagnosen pro Jahr. Die Zahlen steigen an. Im letzten Jahr waren es rund 2.700 Neudiagnosen.

    Spengler: Und das ist im internationalen Maßstab wenig?

    Schatz: Das ist im internationalen Maßstab wenig, verglichen mit anderen europäischen Ländern, aber darüber hinaus, denke ich, ganz klar. Ich würde es nicht als Misserfolg bezeichnen. Wir schauen als Deutsche AIDS-Hilfe aber auch in Zusammenarbeit logischerweise mit den staatlichen Stellen, die diese Arbeit machen und unsere Arbeit begleiten, beispielsweise der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, nach neuen Entwicklungen und versuchen, darauf adäquate Antworten zu geben. Eine dieser Antworten, sagte ich ja eben, ist die neue Kampagne, die wir gestartet haben. Die versucht, einfach den sich verändernden Verhaltensweisen, den sich verändernden Lebensstilen von Schwulen, bisexuellen Männern und anderen Männern, die Sex mit Männern haben, entgegenzukommen und denen Antworten zu geben, denen Informationen zu vermitteln und sie trotzdem auch zu bestärken, sich vor einer Infektion zu schützen.