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"Leute tanzen auf verschiedenen Kontinenten anders zur Musik"

Der Deutsch-Chilene Matias Aguayo ist DJ und Technoproduzent. 2005 brachte er sein erstes eigenes Album heraus. Jetzt folgt das dritte: "The Visitor". Es wurde über einen Zeitraum von fünf Jahren in Brasilien, Mexiko, Frankreich, Kolumbien, aber auch in der Uckermark und im eigenen Berliner Studio aufgenommen.

Mit Dennis Kastrup |
    Dennis Kastrup: Sie sind in Chile geboren und Köln aufgewachsen. In Deutschland haben sie Anfang der 90er im Umfeld des Kölner Kompakt-Labels elektronische Musik kennengelernt. Wie sind Techno- und Housemusik eigentlich anfangs in Südamerika angekommen?

    Matias Aguayo: Ich glaube, dass Techno und House in Lateinamerika fast gleichzeitig stattfanden. Es hat halt nur in Europa wahrscheinlich eine allgemeinere, größere Szene angesprochen. In Südamerika war das vor allen Dingen zu Beginn glaube ich eher eine recht elitäre Sache, was einfach an den sozialen Zusammenhängen dort lag, was damit halt einfach zusammenhängt. Mittlerweile ist das glaube ich schon anders. Mittlerweile, wo es einfacher geworden ist, die Musik zu machen, die Musik auch untereinander mitzuteilen oder zu teilen über das Netz, gibt es ganz andere Ansätze und hat es eine andere Natürlichkeit gewonnen.

    Kastrup: Ist es schwer, die südamerikanischen Rhythmen, die sich eher schleppend bewegen, in die gradlinigen Beats einzuweben?

    Matias Aguayo: Es gibt natürlich eine viel längere oder stärkere rhythmische Tradition in Lateinamerika als in Europa, die bewusster mit der Idee operiert, dass Rhythmen zum Tanzen sind und das sie einen Dialog zum Körper bedeuten, also dass bestimmte Rhythmen auch bestimmte Bewegungen hervorrufen können, bestimmtes Rasseln oder bestimmte High-Hats, die eher vielleicht die Schultern ansprechen, während die Bässe oder die Bassläufe vielleicht eher so die untere Körperhälfte zum Bewegen bringt und es da einen ständigen Dialog und so eine Berücksichtigung des Tänzers gibt, die natürlich eine andere "Sophistication" hat, die vielleicht andere Ebenen erreicht. Oft ist bei europäischer Tanzmusik der Rhythmus ein tragendes, aber nicht weiter wichtigeres Element, das eigentlich das Fundament bildet für das, was oben drüber passiert, was eigentlich wichtiger ist. Mich interessiert der Rhythmus auch als ein vielfältiges Ausdrucksmittel.

    Kastrup: Sie arbeiten als DJ weltweit. Tanzen Leute in den verschiedenen Kontinenten eigentlich anders zur Musik?

    Matias Aguayo: Ja, Leute tanzen auf verschiedenen Kontinenten anders zur Musik, aber das entspricht oft gar nicht irgendwelchen Klischees, die man erwarten würde. Ok, teilweise schon. Ich meine, es ist schon so, dass das Publikum in Kolumbien besser oder hüftschwingender tanzt als das Publikum in Italien meinetwegen. Ja, das ist so, oder in Norwegen vielleicht. Aber es lässt sich eigentlich gar nicht so verallgemeinern, weil wir ja heutzutage in einer Zeit leben, wo viele Leute in unserem Alter ja schon mit sehr rhythmischer Musik aufgewachsen sind. Als wir nach Deutschland gekommen sind und ich klein war, konnte ich mich daran erinnern, dass die meisten Leute hier gar nicht im Rhythmus klatschen konnten. Das war dann immer lustig zu beobachten, dass die rhythmische Erziehung halt einfach gar nicht so existiert oder so schwach ist, im Vergleich zu dem, womit man dort aufwächst, dass das immer sehr erstaunlich war, wie wenig da ist. Mittlerweile finde ich das gar nicht mehr so. Da kann man auf einer Party meinetwegen, sage ich in Köln spielen und dann sieht man da unglaubliche Tänzer, die natürlich... klar, die sind dann mit Disco, Funk oder was weiß ich aufgewachsen, obwohl sie hier in Deutschland aufgewachsen sind. Deswegen löst sich so etwas auch so ein bisschen auf, glaube ich.

    Kastrup: Wo genau haben sie denn gesehen, dass wir Deutschen nicht klatschen konnten?

    Matias Aguayo: Das war halt immer so. Wir sind ja auch mit meinen Eltern auf Konzerte gegangen und dann gibt es ja diesen Moment, wo dann die Leute anfangen, im Rhythmus zu klatschen, weil irgendjemand spielt. Aber das war dann immer so, dass die dann irgendwann völlig daneben lagen und sich der Rhythmus der Klatschenden zum Rhythmus der Spielenden auf der Bühne immer verschoben hat. Das ist mittlerweile besser geworden. Ich glaube, das hat mit wirklich einer musikalischen Erziehung zu tun, die wahrscheinlich in den letzten 20,30 Jahren stattgefunden hat, dass mehr rhythmische oder mehr schwarze, keine Ahnung, Musik, oder mehr Tanzmusik einfach, wieder Raum gefunden hat.

    Kastrup: Sie haben mal gesagt, dass die Entdeckung des Klangs der "Cowbell", also der Glockenklang, sie besonders beeinflusst hat. Die Cowbell ist ja auch ein wichtiges Stilelement in der Discomusik...

    Matias Aguayo: Die "Cowbell" ist extrem wichtig. Ich glaube nicht nur die "Cowbell" im engen Sinne, sondern die "Cowbell" als musikalisches Element, wie es benutzt wird. Also eine "Cowbell" kann man auch in eine "Rimshot" oder in eine "Clap" oder auch in irgendeine "Snaredrum" umsetzen, aber dieses "ditt ditt ditt", was man von Liquid Liquid bis zu Tito Puente und überall eigentlich hört, wo es dann wirklich ums Tanzen geht, also das ist von hoher Wichtigkeit. Das ist das, was die Schultern bewegen lässt, was zum "Shaken" bringt sozusagen. Und ich glaube, mindestens genauso wichtig sind die "Shaker". Die "Shaker" spielen auch eine wichtige Rolle auf der Platte, weil dieser Rhythmus, der nicht genau betont ist, sondern den Rhythmus leicht ankündigt … der "Shaker" hat ja so einen soften "Attack", der macht ja "schhhhack". Da lässt sich viel mit sehr feiner Rhythmik spielen. Deswegen war mir das auch wichtig bei einigen Stücken, mit "Shakern" zu spielen. Einer meiner größten Idole, Bo Diddley, da gibt es glaube ich gar kein Stück, wo keine "Shaker" sind.

    Kastrup: Wie sehen sie ihren Gesang? Was für eine Funktion nimmt er ein?

    Matias Aguayo: Mich interessiert Sprache sehr. Ich finde, dass wir alle dadurch, dass wir jeden Tag sprechen, unsere Sprache sehr ausgebildet haben beziehungsweise die Melodie unserer Sprache, die Rhythmik unserer Sprache. Und das sind ja alles musikalische Elemente. Deswegen finde ich oft in Dialekten oder in der Redeweise von irgendeinem Freund oder auch bei mir selber, wie ich irgendwas ausgesprochen habe oder gesagt, eine Musikalität, die ich versuche, dann in eine Gesangslinie umzusetzen, die dann oft viel interessanter ist, als wenn ich mich jetzt hinsetzen würde und im klassischen Sinne versuche, was zu singen. Das ist für mich auf jeden Fall dieses Ideen aus dem Leben zu greifen oder zu hören, was schon da ist: Wie die Vögel, die im Hintergrund zwitschern im Studio und sich davon inspirieren zu lassen. Durch so etwas finde ich ,gewinnt Musik an einer gewissen Natürlichkeit oder Wesentlichkeit, die mich interessiert. Da zählt auf jeden Fall auch der Gesang dazu und die Lyrics. Für mich sind Inhalte schon auch wichtig. Manchmal ist es auch wichtig in dem Sinne, diese Inhalte auch wegzulassen, aber wenn die weggelassen sind, ist das ja auch eine Entscheidung. Bei "The Visitor" ist es oft so, dass ich ja schon etwas Bestimmtes mitteilen will. Vielleicht bleibt es manchmal vage oder geheimnisvoll, aber das ist ja dann auch Absicht. Da gibt es halt viele Geschichten zu erzählen, viele Sachen, die Erlebnisse sind oder Fantasien, die mir irgendwie gekommen sind.

    Kastrup: Können Sie ein Beispiel nennen?

    Matias Aguayo: Zum Beispiel "Llegó El Don". Das ist ein Stück, bei dem es um eine Art Geisteraustreibung aller bösen Geister oder Sachen geht, die uns irgendwie das Leben manchmal schwer machen, Hindernisse, die uns gestellt werden oder die wir uns selber stellen und das ist in einer Art Beschwörungsformel mit einer seltsamen Mischung aus einer Art peruanischen Akzent mit einer fast afrikanischen Betonung von Spanisch, wo ich viel gespielt habe mit dieser typisch südamerikanischen Sache, die man auch in Chile viel hat, dass man die S-Laute weglässt und so haucht. Das ist zum Beispiel eine Geschichte, aber dann gibt es irgendwelche Liebesgeschichten wie die Thematik von "Aonde", was eher so eine ähnliche Thematik hat wie "I heard it through the grapevine". Oder "Las Cruces", wo es um den unglamorösen Strand Las Cruces geht, in der Nähe von Santiago, wo wir immer hingefahren sind, Familie, und wo ich viel Kindheit verbracht habe, viele Jugenderinnerungen habe. Das ist eigentlich ein Song, welcher explizit gegen Kokain ist und gegen den Gebrauch von Kokain, weil ich denke, dass es viel in der Musikszene vermiest hat. Das ist eine Droge, die ich nicht so gut finde. Da fand ich es irgendwie ganz lustig, das als Thema zu haben und zu illustrieren mit der unglamorösen, aber lustigeren Alternative dieses etwas abgewrackten Strandes dort und des selbst angebauten Grases, was dort geraucht wird.

    Kastrup: Was genau ist das Problem mit der Droge Kokain in der Musikszene?

    Matias Aguayo: Naja, Kokain ist natürlich in Lateinamerika eine sehr präsente Droge, aber hier ja auch. Die hat sich leider auch in vielen Musikerkreisen durchgesetzt und das ist ja nicht gerade die psychedelischste Droge oder eine Droge, die wirklich sehr auf die Liebe oder auf die Bewusstseinserweiterung geht, sondern auf so ein hartes, kaltes Funktionieren. Sowas widerspiegelt sich dann natürlich auch in der Musikszene. Diese Härte im Körper, die diese Droge entwickelt, ist auch nicht etwas, was wirklich zum Tanzen einlädt. Ich finde, ganz abgesehen davon, dass es irgendwie nicht nur in der Musikszene, sondern auch politisch sich sehr negativ auf die ganzen Länder, in denen man arbeitet, ausgewirkt hat. Und deswegen ist das irgendwie so ein Spaßssong, aber es ist explizit auch dann wirklich bei der Entwicklung des Songs entstanden. Da ist dann das jetzt so eine Sache gewesen.

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