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Libanesische Künstlerin Caline Aoun
Drucken bis zur Erschöpfung

Die Kunst der Libanesin Caline Aoun ist eine Antwort auf die digitalen Zeiten: Sie lässt Tintenstrahldrucker wandfüllende Bilder drucken und Druckerfarben in Springbrunnen sprudeln. Das Ziel: Skulpturen zu schaffen, die uns in den flüchtigen Zeiten der Digitalisierung ein bisschen Erdung versprechen.

Von Marie Kaiser |
Die 1983 in Beirut geborene Caline Aoun hockt über ihrer Arbeit: Im Hintergrund hängen ihre Drucke an der Wand
Die 1983 in Beirut geborene Caline Aoun bei der Arbeit (Luis Do Rosario)
Es plätschert so vor sich hin in Caline Aouns Ausstellung – vier kleine Springbrunnen sind in der Mitte des Raumes installiert. Statt Wasser sprudeln darin Druckerfarben. Ein Brunnen in Cyan-Blau, ein anderer in Gelb, einer in Magenta und der vierte in Schwarz. Es sind die Farben des CMYK-Farbmodells, das Tintenstrahldrucker für den Vierfarbdruck verwenden. Über durchsichtige Schläuche sind die Farbbrunnen miteinander verbunden – an jedem Tag tauschen sie einen winzigen Teil ihrer Farbe miteinander aus, erklärt Caline Aoun.
"Das ist der gelbe Brunnen. Wenn er ein bisschen von der blauen Farbe abbekommt, wird er grün. Wenn dann noch etwas Magenta hinzufließt, verfärbt er sich braun. Irgendwann am Ende der drei Monate der Ausstellung wird der gelbe Brunnen schwarz sein. Aber das wird so langsam passieren, dass die Farbveränderung sich mit bloßem Auge nicht beobachten lässt. Je nachdem, ob man sich die Ausstellung im Dezember oder im Februar anschaut, werden die Farben immer anders sein."
Sichtbar machen, wie die Zeit vergeht
Die Farbbrunnen haben etwas Beruhigendes und erinnern an einen Zen-Garten. Doch vor allem macht Caline Aoun durch diese Farbspiele etwas Unsichtbares sichtbar – die Zeit, die vergeht. Die libanesische Künstlerin hat in London Malerei studiert, aber ihr wurde schnell klar, dass sie nicht mit Leinwand und Pinseln arbeiten will.
"Ich wollte genau die Maschinen benutzen, mit denen unsere Bilder hergestellt werden. Ich wollte sichtbar machen, wie die Mechanik dahinter funktioniert. Und so habe ich angefangen mich mit den Grundlagen auseinanderzusetzen: dem CMYK-Farbmodell, den Druckerpatronen und den Farbstrukturen."
Tintenfarbenbrunnen vor bedrucktem Druckerpapier: Die Arbeit "Seeing is Believing" von Caline Aoun
Tintenfarbenbrunnen vor bedrucktem Druckerpapier: Die Arbeit "Seeing is Believing" von Caline Aoun (Luis Do Rosario)
Für ihre raumgreifende Arbeit "Contemplating Dispersions" - zu Deutsch: Farbverteilungen betrachten - hat die Künstlerin hunderte DIN-A3-Blätter bedruckt und nebeneinander geklebt zu einem wandfüllenden Bild.
"Ich habe monochrome schwarze Seiten gedruckt, aber den Druckerpatronen ging dabei immer mehr die Farbe aus. Anstatt aufzuhören, habe ich weitergedruckt. Der Drucker versucht also diese schwarze Seite zu drucken, aber es gelingt immer schlechter. Es ist eine Arbeit über Erschöpfung, Wiederholung, Zeit und Rhythmus."
Dekonstruktion des Vierfarbdrucks
Ein Scheitern, das wirklich schön anzusehen ist – fast wie ein riesiges abstraktes Gemälde. Die ersten Seiten sind tiefschwarz, aber je weniger Farbe im Drucker ist, umso mehr kommen unter dem Schwarz das Cyanblau, Gelb und Magenta zum Vorschein. Die Farben werden immer zarter und blasser, bis das Papier schließlich fast komplett weiß bleibt. Über ein Jahr lang hat Caline Aoun an dieser Dekonstruktion des Vierfarbdrucks gearbeitet. Mit fünf Druckern parallel, weil sie mit wenig Farbe immer langsamer arbeiteten. Ein echter Kraftakt– nur zwei Drucker haben es überlebt.
"In dieser Arbeit steckt auch UNSERE Erschöpfung mit drin. Wir werden jeden Tag mit Informationen bombardiert. Unsere Erschöpfung ähnelt der des Druckers, wir sind total überfordert und versuchen dennoch verzweifelt, noch ein Blatt auszudrucken."
Verantwortlich für diese Erschöpfung ist auch die Flut der perfekten Bilder, die tagtäglich auf uns einströmt in sozialen Medien und Werbungen, glaubt Caline Aoun:

"Für mich ist das wie ein Lärm – ein unablässiger Umweltlärm."
Boden unter den Füßen spüren
Caline Aoun gelingt etwas ganz Besonderes: Sie schafft es in dieser sehr nachdenklichen Ausstellung, uns einen Moment der Stille zu verschaffen und unseren Alltagsblick, der alles nur überfliegt, zu stören. Ihre Arbeiten, die auf den ersten Blick oft wie abstrakte oder minimalistische Kunstwerke aussehen, verweigern sich dem schnellen Betrachter. Ein bisschen Nostalgie nach den alten analogen Zeiten steckt auch in ihren Arbeiten, das gibt Caline Aoun zu.
"Ja, vielleicht war ich ein bisschen nostalgisch, ich gehöre zu einer Generation, die diesen Wandel von analog zu digital miterlebt hat. Viele von uns verspüren so eine Sehnsucht nach dem Analogen und gerade deshalb konzentriere ich mich in meinen Arbeiten auch auf die Materialität der Dinge, weil wir in einer fast komplett durchdigitalisierten Welt leben. Wir verbringen so viel Zeit im Internet, kommunizieren über das Internet, schließen Freundschaften im Internet. Und verlieren dabei schnell das Gefühl für den Raum, in dem wir leben und für die Zeit, die verstreicht."
Das ist Caline Aouns Ziel: Eine Kunst zu schaffen, die uns in den flüchtigen und oberflächlichen Zeiten der Digitalisierung ein bisschen Erdung verspricht.
"Dass wir wieder den Boden unter den Füßen spüren und zu unseren Körpern zurückkehren – darum geht es mir!"