20 Jungen, Mädchen, junge Frauen, in bunten Jogginghosen, rosa und lila Kopftüchern, Turnschuhen, zwischen Zelten aus Plastikplanen, drücken die Fersen in den schotterverstärkten Ackerboden oder applaudieren am Rand. Tauziehen ist Spiel und Unterrichtsgegenstand in der kleinen Zeltsiedlung für syrische Flüchtlinge in der libanesischen Bekaa-Ebene. Soziale Fähigkeiten heißt diese Unterrichtseinheit. An sich soll das Miteinander der Kulturen eingeübt werden, der syrischen Flüchtlinge und der aufnehmenden libanesischen Gesellschaft.
Hier funktioniert das nicht. Libanesische Schüler kommen nicht auf diesen entlegenen Acker, auf dem mehr als 30 Familien in ebenso vielen Zelten zusammenleben. Jeder fünfte syrische Flüchtling lebt so im Libanon, in über tausend solcher kleinen Armutssiedlungen. Manche der syrischen Kinder kommen kaum weg von diesem Acker.
Wer zum Beispiel den Anschluss ans staatliche Schulsystem verpasst hat, wird direkt hier beschult, im roten Wellblechcontainer.
Wie Ahmed. Seine Eltern hätten ihn nicht in der staatlichen Schule angemeldet, sagt der 15-jährige. Manchmal blieb er zu Hause, manchmal las er Kartoffeln und Zwiebeln auf, als schlecht bezahlter Erntehelfer, wie viele Kinder, die die Familien unterstützen müssen. Erst seit drei Monaten geht er in die rote Schule, wie die Kinder sie nennen. Das soll die Ausnahme bleiben und inzwischen ist es die Ausnahme. Drei von vier Flüchtlingskindern gehen in staatliche Schulen.
Die meisten syrischen Flüchtlingskinder gehen in staatliche Schulen
Alle Mütter der Siedlung seien gerade erst im Bus zur nächsten Schule gefahren, 20 Frauen, alle ihre Kinder seien fürs kommende Schuljahr angemeldet. Sittá sagt das mit Stolz, neun Kinder, fünf Enkel hat die 47-jährige, seit sieben Jahren wohnt sie mit ihnen in dem zweiräumigen Zelt auf 20 Quadratmetern. Ihr Traum ist es, eines Tages ins syrische Rakka zurückzukehren.
Ihr Neunjähriger, hofft sie, wird weitermachen mit der Schule, eines Tages Arzt werden. Und es besser haben als sie.
Szenenwechsel. In der öffentlichen Schule in einem Beiruter Vorort haben das auch die Kinder verinnerlicht.
Als in dieser Woche Elke Büdenbender die Ibbtihaj-Kaddoura-Schule besuchte, die Frau des deutschen Bundespräsidenten in ihrer Eigenschaft als Schirmherrin von UNICEF Deutschland, zählten die 40 Schüler der vierten Klasse auf, welche Rechte Kinder haben.
Hilfe aus Deutschland soll Bildung verbessern
Es sind vor allem Varianten des Rechts auf Bildung, das den Kindern wichtig scheint. Vormittags werden syrische und libanesische Kinder gemeinsam unterrichtet, die später, nach Beginn des Krieges vor sieben Jahren Gekommenen nachmittags. In dieser Klasse sind es nur syrische Kinder, zwischen neun und 14 Jahren, je nachdem, wie viel sie kriegsbedingt verpasst haben. Inzwischen gehen mehr Syrer als Libanesen in diese öffentlichen Schulen. Der Grund ist einfach: Libanesen, die es sich leisten können, schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Bisher mit gutem Grund, meint die Leiterin von UNICEF Libanon Tanya Chabouisat.
"Das öffentliche Schulsystem wurde hier völlig vernachlässigt. Je mehr wir es wieder aufbauen können, das System verbessern, das Curriculum und die Lehrmethoden verbessern, desto mehr wird es den Kindern helfen – nicht nur den syrischen, auch den abgehängten libanesischen. Darum geht es uns hier also."
Über die Hälfte der internationalen Gelder für diese Programme kommt aus Deutschland. Für Elke Büdenbender geht es darum, zu verhindern, dass eine verlorene Generation heranwächst. Es geht darum, dass die Kinder auch in der Region eine Chance haben, nicht nur in Europa. Und es geht auch um den sozialen Frieden in dem Land, das so viele Menschen aufgenommen hat, dass inzwischen jeder vierte ein Flüchtling ist.
"Für die Gesellschaft ist es wichtig, dass junge libanesische Jugendliche und syrische Kinder, auch irakische Kinder und Jugendliche zusammenwachsen, damit sich keine Aggressionen aufstauen. Damit niemand das Gefühl hat: Er oder sie bleibt zurück, weil er jetzt nicht dieses Flüchtlingsschicksal hat. Ich glaube, das ist ungeheuer wichtig, um in dieser Gesellschaft auch den sozialen Frieden zu bewahren."
Die geflohenen Syrer waren häufig früher schon arm
Die Syrer, die hierher geflohen sind, waren meist schon früher arm. Inzwischen sind die meisten verschuldet, die Chancen ihrer Kinder sind immer noch eher schlecht. Die meisten gehen nur bis 14 oder 15 zum Unterricht, danach endet die Schulpflicht. Dabei ist es nicht nur die Armut, die die Flüchtlingskinder vor besondere Herausforderungen stellt. Syrer dürfen – anders als etwa in der Türkei - hier nicht in öffentlichen Schulen unterrichten. Unterrichtssprache ist – neben arabisch – im libanesischen Schulsystem Englisch oder Französisch.
"Die Kinder mussten sich an ein neues Land anpassen, an ein neues Curriculum, libanesische Lehrer und eine weitere Sprache. Dass das manche schaffen, ist umso mehr den Lehrern, den Kindern und den Lehrern zu danken."
Die Zahl derer, die den ersten wichtigen Abschluss schaffen, wächst stetig.
"Was die syrischen Flüchtlingskinder betrifft, die die Primarschule abschließen, das ist nach der neunten Klasse, und die die staatlichen Prüfungen schaffen, so waren das vor fünf Jahren noch wenige hundert Kinder im Jahr. Jetzt sind es drei- bis viertausend Kinder, die die Primarschule mit Abschluss beenden. "
Manche, nicht alle der Viertklässler in Beirut, sehen ihre Zukunft im Libanon. Auch wenn sie da nur in wenigen Feldern arbeiten dürfen, vor allem auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Alle haben sie Träume. Was möchten sie einmal werden?
"Ich möchte Anwalt werden, weil ich alle Menschen beschützen will."
"Ich will Fußballspieler werden. Am tollsten finde ich Messi."
"Ich will Ärztin werden. Ich will Kindern und Alten helfen."
"Ich will Architektin werden. Weil ich Syrien wieder aufbauen will."