Elie Ferzli ist ein Alteingesessener in der politischen Szene des Libanon. Er schickt einen Mercedes mit getönten Fenstern, um Gäste abzuholen. Am Steuer sitzt ein Soldat. Ferzlis Wohnung in Beirut ist teuer eingerichtet. Eine Hausangestellte aus Südostasien serviert Kaffee. Elie Ferzlis politische Vita ist lang: Er war Abgeordneter, Informationsminister und stellvertretender Parlamentssprecher. Nun kandidiert der 79-Jährige im Wahlbezirk West-Bekaa für die Liste "Das beste Morgen" für den Sitz für einen orthodoxen Christen. Für Ferzli sind Religionsgemeinschaften der politische Dreh- und Angelpunkt.
Er erzählt: "Ich war der erste im Libanon, der ein neues Wahlgesetz gefordert hat, welches darauf beruht, dass jede Konfession ihren eigenen Repräsentanten wählt. So gibt es in jeder einzelnen Konfession Demokratie und keine Person oder Partei kann in einer Konfession vorherrschen."
Die Politik ist von Religion geprägt
Die politischen Diskussionen im Libanon drehen sich aktuell um Themen wie: das Öl, das vor der Küste im Mittelmeer gefunden wurde. Die vielen Geflüchteten aus Syrien. Eine Lösung für das Müllproblem und die Wasserversorgung. Doch der Wahlkampf für die Parlamentswahlen an diesem Sonntag führt immer wieder zu einem anderen Punkt zurück: der Religion.
Das hat geschichtliche Gründe. Schon vor über 150 Jahren, in der Provinz Libanonberg im Osmanischen Reich, war das politische System geprägt von konfessioneller Machtverteilung. Seit Libanons Unabhängigkeit 1943 teilt eine Quote von sechs Christen zu fünf Muslimen die Sitze im Parlament auf. Nach Ende des Bürgerkrieges vor knapp 30 Jahren ordnete das Taif-Abkommen die Verteilung der Sitze im Parlament neu: genau eine Hälfte für Christen und eine Hälfte für Muslime. Die Quote sorgt auch dafür, dass Minderheiten wie Armenier oder Drusen vertreten sind.
Vor kurzem wurde das Wahlgesetz reformiert. Von dem alten Wahlsystem, das auf dem Mehrheitswahlrecht beruhte, fühlten sich viele nicht genug repräsentiert und die Wahlbezirke waren sehr unterschiedlich groß. Das neue Wahlsystem basiert auf dem Verhältniswahlrecht. Die Wahlkreise sind nach dem neuen Zuschnitt jedoch konfessionell noch einheitlicher geprägt als vorher. Geblieben sind auch die Quoten für Konfessionen.
"Die Christen sind jetzt viel entspannter. Sie können, auch wenn sie in einer Region eine Minderheit sind, selbst die Wahl treffen. Niemand kann ihnen einen Abgeordneten aufzwingen, der sie nicht repräsentiert."
Sagt der orthodoxe Kandidat Elie Ferzli. In jedem Wahlkreis legt die Quote genau fest, wie viele Abgeordnete aus welcher Konfession gewählt werden können. Auf zuverlässigen Daten über die Religionszugehörigkeit der Bevölkerung basiert die Verteilung nicht – die letzte Volkszählung ist über 80 Jahre her. Schätzungen zufolge machen die Christen heute weniger als 40 Prozent der Wählerschaft aus. Kritiker des Wahlgesetzes sagen darum, dass sich die Christen mit der Quote mehr Macht sichern, als ihnen zusteht.
Frauen sind unterrepräsentiert
Die etablierten Parteien spielen die Religionskarte bei Wahlen geschickt aus und werben um Stimmen von Mitgliedern der eigenen Konfession. Anders die vielen neuen, säkular ausgerichteten Listen. Deren Kandidaten kommen aus der Zivilgesellschaft, nicht aus den mächtigen Politikerfamilien. Nadine Itani kandidiert für die Kampagne "Kelna Beirut" – "Wir sind alle Beirut" im Wahlbezirk Beirut II für einen der Plätze für sunnitische Muslime. Sie schickt keinen Chauffeur, sondern kommt zum Interview in ein leeres Büro der Universität. Die 38-Jährige ist Strategieberaterin für Luftfahrt, ihr politisches Engagement begann, als sie sich für bessere Bedingungen für Frauen in der Luftfahrt einsetzte. Ihre Kampagne legt Wert auf themenbezogenen Wahlkampf statt auf konfessionelle Rhetorik.
"Bei Medienauftritten treten wir als Kandidaten für den Wahlbezirk Beirut II auf. Wir erwähnen nicht unsere Religion oder den Sitz im Parlament, für den wir kandidieren."
Nach dem neuen System können die Wählerinnen und Wähler nun mit der ersten Stimme eine Liste wählen, häufig ein Zusammenschluss mehrerer Parteien. Die zweite Stimme ist für einen Kandidaten auf derselben Liste.
Nadine Itanie sagt: "Dadurch, dass man eine Person von der gleichen Liste wählen muss, damit die Stimme überhaupt gültig ist, werden die Wähler eher einen Kandidaten wählen, der der eigenen Religion angehört. So geht mehr darum, dass die eigene Konfession im Parlament gut vertreten ist, als um die Ideen der Kandidaten."
Itani findet außerdem, dass das Wahlgesetz Frauen und jüngere Menschen besser einbeziehen sollte. Tatsächlich sind von den 128 Abgeordneten im aktuellen Parlament nur vier Frauen. Die Abgeordneten hat zwar über eine Frauenquote diskutiert, sie aber letztendlich nicht mit in das neue Wahlgesetz aufgenommen.
"Alle Themen müssen angegangen werden"
Weil die letzten Wahlen neun Jahre zurückliegen, ist jeder Fünfte Erstwähler. Auch Tracy Nehme gibt an diesem Sonntag zum erstem Mal ihre Stimme ab. Sie studiert Public Policy in Beirut. Wie viele aus der jungen, gebildeten Oberschicht sieht sie das System kritisch und hofft auf frischen Wind:
"Für mich ist das Wichtigste, neue Gesichter zu wählen, jemanden außerhalb des aktuellen Systems. Ich werde für jemand Unabhängiges stimmen, mit Plänen und einem eindeutigen Programm. Alle Themen müssen angegangen werden: die Umwelt, Korruption, Schaffung von Arbeitsplätzen, Sozialhilfe. Weil nämlich alles fehlt."
Tracy Nehme organisiert den monatlichen Treffpunkt "Coffee and Politics", um über politische Themen zu diskutieren. Sie ist sehr skeptisch, was das neue Wahlgesetz angeht.
"Ich bin sicher das die Parteien an der Macht dafür gesorgt haben, dass sie auch noch morgen an der Macht sind mit diesem neuen Gesetz."