Waffenruhe im Libanon
Immerhin ein Hoffnungsschimmer

Die Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah ist die erste gute Nachricht aus der Region seit langem. Kann das auch zu Fortschritten im Gaza-Streifen führen?

    Zerstörte Gebäude in einem Außenbezirk von Beirut nach einem israelischem Luftangriff.
    Außenbezirk von Beirut: Die israelischen Angriffe haben massive Schäden im Libanon hinterlassen. (IMAGO / UPI Photo / Rahim Rhéa)
    Eine von den USA und Frankreich vermittelte Waffenruhe zwischen Israel und der Hisbollah sorgt im Libanon und international für Hoffnung. Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023 hatte die mit ihr verbündete Hisbollah mit regelmäßigen Raketenangriffen vom Süden des Libanon aus eine zweite Front gegen Israel eröffnet. Als Reaktion beschoss Israel Hisbollah-Ziele im Nachbarland und verstärkte die Angriffe ab Mitte September deutlich, hinzu kamen Bodeneinsätze im Süden des Libanon.
    Laut libanesischen Regierungsangaben wurden in dem Konflikt mehr als 3800 Menschen getötet, Hunderttausende flohen laut UN-Einschätzung vor den Kämpfen. Auf israelischer Seite wurden nach offiziellen Angaben 82 Soldaten und 47 Zivilisten getötet und etwa 60.000 Menschen vertrieben. Ist nun Frieden in Sicht? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

    Inhalt

    Was sieht das Abkommen vor?

    Die Vereinbarung basiert auf der UN-Resolution 1701, die bereits den Krieg 2006 zwischen Israel und der Hisbollah beenden sollte, aber nie vollständig umgesetzt wurde. Zu den wichtigsten Punkten zählen ein Ende der Feindseligkeiten für vorerst 60 Tage, ein Rückzug der Hisbollah-Kämpfer bis zu einem Fluss rund 30 Kilometer von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt, die Stationierung von Soldaten der libanesischen Armee im Grenzgebiet, ein schrittweiser Abzug der israelischen Bodentruppen und Maßnahmen, die verhindern, dass die Hisbollah sich wieder bewaffnet.

    Wie stabil ist die Waffenruhe?

    Auch nach Inkrafttreten der Vereinbarung am Mittwoch melden Israel und der Libanon vereinzelt weitere Angriffe. Israel hat nach eigenen Angaben unter anderem eine Raketenabschussrampe sowie ein Waffenlager der Hisbollah im Südlibanon aus der Luft angegriffen.
    Der Hisbollah warf die Armee vor, mehrfach gegen die Waffenruhe verstoßen zu haben. Laut einer Mitteilung wurde unter anderem eine aus dem Osten des Libanon abgefeuerte Drohne abgefangen.
    Die libanesische Armee hat die Bevölkerung bereits aufgefordert, im Süden des Landes wieder in die Dörfer zurückzukehren. Zehntausende durch den Konflikt vertriebene Libanesen sind auf dem Weg in ihre Heimatorte, bepackt mit ihrem Hab und Gut. Die israelische Armee wiederum warnte die Menschen davor, sich schon jetzt auf den Weg in den Südlibanon zu machen. Auch Nahostexperte Gerlach glaubt nicht, dass es dort noch eine "echte Lebensgrundlage" gibt. In dem Gebiet sei in den vergangenen Monaten viel zerstört worden.

    Warum haben Israel und die Hisbollah sich gerade jetzt auf eine Waffenruhe geeinigt?

    Der Nahostexperte Daniel Gerlach spricht von einem „sehr komplexen Netzwerk aus Interessen und Verhandlungen“, das zu der Einigung geführt hat. Die Hisbollah wolle retten, was noch von ihr übrig geblieben sei nach den heftigen Angriffen Israels der letzten Monate. Und sie sei offensichtlich auch vom Iran dazu gedrängt worden, der Waffenruhe zuzustimmen.
    Der israelische Premier Netanjahu hatte erklärt, durch die Waffenruhe könnten sich die israelischen Soldaten vom Kampf erholen und das israelische Waffenarsenal erneuert werden. Das öffentliche Eingeständnis deute auf Druck durch die USA hin, sagt Gerlach. Die Ankündigung von Partnern Israels, nicht mehr bedingungslos Waffen und Munition für die Kriege in Gaza und im Libanon liefern zu wollen, habe offensichtlich gefruchtet.

    Ist auch eine Waffenruhe im Gaza-Streifen in Sicht?

    Nein. Die Waffenruhe im Libanon hat für die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu den Nebeneffekt, nun wieder im Gaza-Streifen freie Hand zu haben. Netanjahu sagte, die Vereinbarung mit der Hisbollah biete Israel die Möglichkeit, "sich auf die iranische Bedrohung zu konzentrieren" und im Gaza-Krieg den Druck auf die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas zu erhöhen.
    Das israelische Militär verstärkte dann auch den Beschuss des Gazastreifens. Vor allem im Zentrum, aber auch im Norden und Süden flog die Luftwaffe Angriffe. Die Hisbollah sei immer eine viel größere Bedrohung gewesen als die Hamas, analysiert der Nahostexperte Gerlach: Doch politisch sei die Palästina-Frage für Netanjahu und seine Anhänger viel wichtiger.
    Die Hisbollah hatte ursprünglich erklärt, eine Waffenruhe gebe es erst bei einem Ende des Gaza-Kriegs. Die Hamas erklärte sich nach der Einigung zwischen Israel und der Hisbollah grundsätzlich bereit, die Kämpfe im Gazastreifen zu beenden - beharrt aber zugleich auf Bedingungen, die Israel nicht akzeptiert.

    Wer soll die Einhaltung des Abkommens überwachen?

    Eine Staatengruppe unter Führung der USA zusammen mit Frankreich, dem Libanon, Israel und der UN-Friedenstruppe Unifil. Unifil ist bereits mit rund zehntausend Blauhelmen im Land stationiert, scheiterte aber wiederholt daran, das Grenzgebiet zu überwachen. Die libanesische Armee soll ebenfalls mit zehntausend Soldaten im Süden vertreten sein. Sie ist laut dem Nahostexperten Daniel Gerlach allerdings in keiner guten Verfassung und war gegenüber der Hisbollah in der Vergangenheit machtlos. Nun wird die Staatengruppe aber durch Frankreich und die USA unterstützt. Berichten zufolge soll Israel mögliche Verstöße gegen die Waffenruhe melden.

    Welche Bedeutung hat die Einigung für die Menschen im Libanon und in Israel?

    In beiden Ländern warten viele Menschen darauf, in ihre Wohnorte zurückzukehren. Im Libanon wurden rund 800.000 Menschen vertrieben, Hunderttausende flüchteten über die Grenze nach Syrien. Und auch in Israel herrscht Erleichterung: Durch den schweren Beschuss mit Raketen aus dem Libanon mussten schätzungsweise 60.000 Israelis aus dem Norden evakuiert werden. Deren Rückkehr hatte Israel zu einem der Kriegsziele im Konflikt mit der Hisbollah erklärt. Es gibt allerdings auch kritische Stimmen zu der Vereinbarung in Israel: Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir sagte, Israel verpasse eine historische Gelegenheit, die geschwächte Miliz zu zerschlagen.

    Welche Chancen gibt es auf einen echten Frieden?

    Der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah dauert seit Jahrzehnten an. Es dürfte auch dieses Mal eine große Herausforderung werden, ein längerfristiges Ende der Kämpfe zu erreichen. Nach dem schweren gegenseitigen Beschuss über mehr als ein Jahr und verheerenden israelischen Angriffen im Libanon ist die Skepsis auf beiden Seiten groß. Israels Präsident Jitzchak Herzog betonte nach Verkündung der Feuerpause, es müsse klar sein, dass Israel seine Bürger jederzeit, an jedem Ort und auf jede Art und Weise verteidigen werde.
    Auch die Libanon-Expertin und Mitgründerin der Hilfsorganisation "Zeltschule" Jacqueline Flory blickt nicht optimistisch in die Zukunft. Niemand im Libanon rechne momentan mit einem dauerhaften Frieden, sagt sie. Die Waffenruhe sei davon abhängig, dass die Hisbollah kooperiere und hinter dem Litani-Fluss bleibe. Doch die Chance, dass sich die Hisbollah langfristig daran halte, sei sehr gering, meint Flory. Ob die Dominanz der Hisbollah im Libanon gebrochen wird, hängt ihrer Ansicht nach davon ab, ob die Terrormiliz auch künftig so viel Geld aus dem Iran erhält wie bisher.

    ahe