Eine Imamin leitet das Gebet, Männer und Frauen beten zusammen, Gleichberechtigung der Geschlechter ist eine Selbstverständlichkeit.
Alleine mit diesen Punkten - es gibt natürlich noch mehr - provoziert der Liberal Islamische Bund andere Muslime.
"Die spinnen wohl."- "Die haben Probleme mit dem Fasten und halluzinieren jetzt."
Annika Mehmeti, Koordinatorin beim Liberal Islamischen Bund, kennt solche Reaktionen:
"Ich denke, mittlerweile haben wir schon unseren Platz beansprucht.
Aber wir hören leider allzu oft noch, aus unterschiedlicher Ecke, dass wir keine echten Muslime seien oder den Islam verwässern. Es gab sogar auch Versuche - in einer Stadt, wo wir eine Gemeinde haben - einen Raum anzumieten in einer bestehenden Moschee. Aber wenn wir dann erzählen, was wir da machen, eine Frau leitet das Gebet, oder Frauen und Männer beten gemischt, da hört das Verständnis dann meistens auf."
"Liberal bedeutet Freiheit und Eigenverantwortung"
Der Liberal Islamische Bund wurde 2010 gegründet. Er möchte eine Heimat für jene Muslime sein, die sich in den Verbänden und Moscheen nicht oder nicht mehr zu Hause fühlen. Annika Mehmeti sagt:
"Liberal bedeutet für uns, dass wir die Eigenverantwortung des Individuums vor Gott betonen. Und eben auch die Freiheit, die jedem Menschen in der Ausgestaltung seines Glaubens zusteht und liberal bedeutet für uns nicht Beliebigkeit, sondern, dass wir Theologen und Theologinnen orientieren, die schon seit Jahren, oder Jahrzehnten oder Jahrhunderten Konzepte entwickelt haben, oder Gedanken geäußert haben, wie man den Islam zum Beispiel feministisch lesen kann, oder wie man gendergerecht Gebete gestalten kann."
Kooperationen mit den bestehenden Verbänden, wie z.B. der DITIB oder dem Zentralrat der Muslime, gibt es nicht. Dafür aber mit christlichen Kirchen und jüdischen Gemeinden. Auf den Vertretern eines liberalen Islam ruht die Hoffnung der Mehrheitsgesellschaft. Doch wie viele Muslime in Deutschland stehen dahinter? Bei der Recherche zum Liberal Islamischen Bund wollten nur wenige sich öffentlich äußern.
"Beten ohne Kopftuch? Geht gar nicht."
Eine von ihnen ist die 28-jährige Friseuermeisterin Gamze Erdogan – eine gläubige Muslimin, wie sie selber sagt. Ihre erste Reaktion, nachdem sie sich auf Youtube das Selbstbildnis des Liberal Islamischen Bundes angesehen hat:
"Ich muss erst einmal das Video verkraften, Entschuldigung. Es gibt einige Sachen, die ich tolerieren kann, wie zum Beispiel Gleichberechtigung, Transgender, Lesben und Schwule. Da bin ich neutral. Ich habe ja auch Kundschaft in der Hinsicht. Aber zu beten ohne Kopftuch ist ja wie so, ich fass den Koran ohne mich zu reinigen an. Also das ist jetzt wie ein Schlag ins Gesicht. Ich kann das gerade nicht verkraften. Das kommt mir so rüber, als würden die den Islam komplett neu schreiben wollen. Und das geht nicht, das ist seit Jahrhunderten so und das wird so bleiben."
Im weiteren Gespräch erzählt die junge Frau, dass natürlich jeder sein Leben, auch seinen Glauben, so leben soll, wie er oder sie das möchte. Nur Gott ist man verpflichtet, nicht den Menschen. Den Hinweis, dass sie dann doch auch liberal ist, wehrt sie vehement ab.
"Nein, das jetzt so nicht, das so nicht. Also zu beten ohne Kopftuch, das geht schon mal gar nicht. Da bin ich schon bisschen konservativ. Es gibt viele Variationen vom Islam und jetzt kommt eine neue Variation - also das schockiert mich gerade."
Auch ihre Angestellte Gizem, eine junge Frau, geschminkt, enge weiße Hosen, offenes Haar, zeigt sich nach dem Gucken des Youtube-Videos schockiert:
"Nein, nein, nein. Man soll so bleiben, wie man geboren ist, also auch die Religion. Wenn der eine Christ ist, soll er Christ bleiben. Wenn der eine Moslem ist, soll er Moslem bleiben, keiner soll sich für eine Religion austauschen. So sein halt, wie man geboren ist."
"Wird nicht akzeptiert werden"
Gizem stört sich nicht an dem Bund, aber daran, dass auch Konvertierte unter den Mitgliedern sind. Konvertieren ist für sie eine Sünde. Auch Aynur, eine langjährige Kundin, ist skeptisch:
"Die haben sich einen eigenen Glauben zusammengeschustert, ich weiß nicht, ob der Rest der islamischen Welt das so wahrnehmen und akzeptieren wird. Ich hinterfrage das sehr, weil das doch sehr eine Männerdomäne ist und für die Frauen, auch wenn es eine Imamin ist, was ich auch interessant finde und gut heiße, wird das nicht akzeptiert werden. Definitiv nicht."
Nachdem sie sich das Video dreimal angesehen hat, ist sie ziemlich sicher, dass der Liberal Islamische Bund es sehr schwer haben wird. Aynur:
"Alles was neu ist, kann und wird nicht akzeptiert werden."
Lale Akgün ist, neben Lamya Kaddor, vielleicht das bekannteste Gesicht des Liberal Islamischen Bundes. Sie hat genau das erlebt, was Aynur schon vermutet hat. Anfeindungen und Nicht-Akzeptanz . Akgün sagt:
"Ich glaube, dass wir liberale Muslime den orthodoxen Angst machen, weil einfach ihre kleine, kleinkarierte Welt, in der es nur Schwarz-Weiß gibt, das diese Vorstellung abgelöst wird von einem anderen Islam und das macht ihnen natürlich Angst. Deswegen müssen sie die Art, wie wir den Islam ausleben, schlecht reden. Diffamieren und uns sogar absprechen, dass wir Muslime sind. Es gab sogar einen, der öffentlich gesagt hat: Frau Akgün ist vom Glauben abgefallen, darauf steht die Todesstrafe. Das heißt solche Leute gehen sogar so weit, mich dem Zorn einfacher Gläubiger auszusetzen."
"Ein zeitgemäßer Islam"
Lale Akgün hat diesen Mann übrigens angezeigt. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete ist Mitbegründerin der Gemeinde im Rheinland. Sie sagt:
"Es geht darum, dass die Religion mit dem Leben, das man führt, vereinbar sein muss. Das heißt, ich kann nicht im 21. Jahrhundert leben, mich als Feministin bezeichnen, berufstätig sein, ein Vorbild sein für viele junge Frauen und trotzdem versuche mich nach den Regeln des 7. Jahrhunderts zu richten. Der Islam muss zeitgemäß ausgelegt werden. Das heißt nicht, dass der Kern der Religion angetastet wird. Der Glaubenskern bleibt."
Trotz der Anfeindungen von Seiten der orthodoxen Muslime, oder wie sie sagt, Ritualmuslime - die Zukunft sieht Lale Akgün positiv.
"Ich bin der Meinung, wir sind diejenigen, die den Islam ins 21. Jahrhundert retten werden. Ich glaube, dass diejenigen, die versuchen mit Gewalt den Islam im 7. Jahrhundert zu halten, irgendwann nicht mehr Akzeptanz finden werden bei den jungen Menschen. Die islamischen Verbände haben nicht mehr so viele Anhänger wie es von außen scheint. Denn viele Menschen wenden sich komplett von der Religion ab, weil sie sagen, ich werde nicht mehr angesprochen."