Silvia Engels: Theresa May behält ihr Amt als Parteichefin. Wir haben in dieser Sendung mehrfach bereits berichtet. Die britische Premierministerin überstand gestern Abend im britischen Unterhaus ein Misstrauensvotum aus ihrer eigenen Fraktion.
Am Telefon ist nun Graham Watson. Er ist Schotte und bis 2014 war er Mitglied im Europäischen Parlament. Lange Jahre war er dort Fraktionschef der Liberalen und er ist gegen den Brexit. Guten Morgen, Herr Watson!
Graham Watson: Schönen guten Morgen.
Engels: Sind Sie Ihrem Ziel, doch zu einem zweiten Referendum zu kommen, mit der gestrigen Abstimmung nähergekommen?
Watson: Ich glaube, das ist im Moment nicht wahrscheinlich. Aber es könnte die eigentliche Lösung sein für das Land und für die Partei Theresa Mays. Sie hat sich eine Gnadenfrist erkauft. Sie hat aber immer noch das Problem, dass sie ihre Brexit-Abstimmung im Parlament machen muss, und dafür scheint es, sie hat keine Mehrheit.
Engels: Sie haben es schon angedeutet: Es gibt da zwei Ebenen. Zum einen inhaltlich für ihren Brexit-Plan keine Mehrheit; auf der anderen Seite können ihre innerparteilichen Gegner – so sind die Regularien – sie jetzt ein Jahr lang nicht noch mal mit einem Misstrauensvotum angreifen. Ist sie also doch gestärkt?
Watson: Gestärkt ist sie leider nicht. Sie ist eigentlich geschwächt. Die andauernde Selbstzerfleischung innerhalb der Konservativen Partei geht weiter. Theresa May hat 200 Stimmen gekriegt, aber davon sind 120 Leute, die keine Wahl hatten. Die sind entweder Minister oder VIPs oder so was. Das heißt, die sind Teil der Regierung. In der Tat hat sie eine Minderheit von Unterstützern in ihrer eigenen Partei. Sie wird da bleiben, aber ob diese Partei im Amt bleiben kann, muss man sich fragen, und ob die Opposition entscheidet, gegen die Regierung etwas zu machen, ist auch zu wissen. Im Moment scheint es, dass Theresa May das so lang wie möglich ausspielen will, dass es dann wirklich keine Wahl gibt, nur ihr Plan, oder dass Großbritannien einen harten Brexit macht.
"Es könnte ein Misstrauensvotum im Parlament geben"
Engels: Rechnen Sie denn nun mit weiteren Misstrauensvoten gegen Theresa May, diesmal allerdings aus anderen Unterhaus-Fraktionen, die Labour-Fraktion vorneweg?
Watson: Es könnte ein Misstrauensvotum im Parlament geben und dann muss Theresa May sehen, ob sie die Unterstützung dieser kleinen Partei aus Nordirland kriegen kann oder nicht. Etwas ist sicher: Viele Abgeordnete haben für Theresa May gestimmt aus Selbsterhaltungstrieb. Es herrscht aber innerhalb der Partei und auch, ich muss sagen, innerhalb des Parlaments eine große Angst davor, was geschehen kann. Und ich glaube, dass die eigentliche Lösung dafür wäre, dass man eine zweite Volksabstimmung macht, dass man das Volk fragt, wollen Sie oder wollen Sie nicht diesen Plan, und dass es dann auch die Möglichkeit geben könnte, innerhalb der Europäischen Union zu bleiben, keinen Brexit zu machen. Es scheint von den Meinungsumfragen, dass es dafür jetzt eine Mehrheit gibt, aber ich muss auch zugeben, das wäre im Moment nur eine kleine Mehrheit.
Engels: Eine kleine Mehrheit. Aber auch die praktikable Umsetzung steht ja dahin. Jetzt sieht es ja so aus, als ob über einen Brexit-Plan von Theresa May erst im kommenden Jahr abgestimmt werden soll. Wenn dann noch, wenn das Ganze scheitert, ein zweites Referendum kommen sollte, dann schafft man das doch zeitlich gar nicht mehr vor dem Austritt.
Watson: Ja, dafür braucht man Zeit. Es ist klar vom Europäischen Gerichtshof, dass man bis 29. März diesen Artikel 50 zurückziehen kann. Ich glaube, Theresa May könnte vielleicht die anderen Staats- und Regierungschefs fragen, geben Sie mir bitte etwas mehr Zeit, noch zwei, drei Monate. Aber das Ganze scheint sehr, sehr schwierig und ich fürchte, dass Großbritannien jetzt in einer großen Gefahr steht, dass es ein Brexit ohne Abkommen gibt.
Engels: Sie haben es schon angesprochen: Die Angst wächst auch auf der britischen Insel vor einem solchen harten Brexit. Diejenigen, die sich das wünschen, sind wohl in der Minderheit. Aber spricht das nicht doch dafür, dass am Ende auch viele Parlamentarier in den sauren Apfel beißen und dann lieber das Modell von Theresa May befürworten, als gar nichts zu haben?
Watson: Ja. Aber das Problem ist, man sieht diesen Plan an und man sagt, Großbritannien wird dann ärmer, schwächer und mit weniger Sicherheit für unsere Mitbürger. Niemand will das. Jetzt, wo man wirklich ansieht, was Brexit bedeutet, da fragen sich viele und besonders viele Abgeordnete, ob sie das wirklich wollen. Ich glaube, es könnte auch dazu kommen, dass Großbritannien sagt, nein, es wäre am besten, wenn wir bleiben.
Watson: Exit vom Brexit wäre möglich
Engels: Dann wechseln wir jetzt die Perspektive und blicken auf die Brüsseler Akteure. Denn nun will Theresa May ja heute zum Gipfel kommen und will alles daran setzen, dass noch einmal nachverhandelt wird. Das Stichwort ist hier der Backstop für Nordirland, die Frage, wie soll sichergestellt sein, dass eine offene Grenze erhalten bleibt, dass hier noch einmal den Briten entgegengekommen wird. Wir haben vor einer Stunde den deutschen Außenminister gehört. Heiko Maas ist sich recht sicher, dass sich da nichts mehr bewegen wird. Sie auch?
Watson: Ich sehe es auch schwierig, dass man in Brüssel irgendwie diesen Zurückziehungsakt ändert. Man kann Worte geben. Man kann an Theresa May vielleicht eine politische Erklärung geben. Man kann sagen, ja, diese Garantie für Nordirland muss es geben, aber niemand will das in Gang setzen. Aber ich glaube nicht, dass britische Abgeordnete davon überzeugt werden. Es ändert wirklich nichts vom Plan Theresa Mays. Was sie mit Brüssel ausgearbeitet hat, ist die eine Möglichkeit, wenn man den Brexit machen will, und deshalb stimme ich denen zu, die sagen, man kann versuchen, Theresa May zu helfen. Aber in der Tat kann man gesetzlich nichts ändern.
Engels: Sie kennen Brüssel und die Debatten dort ja sehr gut. Wird am Ende, wenn der Druck auch auf Brüssel weiter wächst, dass die Gefahr eines harten Brexit real wird, nicht doch der Kreis derjenigen überwiegen, die sagen, wir müssen hier noch etwas tun, damit es keinen harten Brexit und damit auch keine Gefährdung des nordirischen Friedens gibt?
Watson: Beeindruckend ist bis jetzt, wie 27 Länder sich geeinigt haben, um zu sagen, es kann keine Rosinenpickerei vom Binnenmarkt geben. Wenn man dazu nicht hält, dann kann es auch immer noch Probleme mit der Schweiz geben und vielleicht auch mit anderen Ländern. Wenn ein Club existiert, wenn es diese Europäische Union gibt, dann kann man die Regeln nicht ändern, und ich glaube, das ist auch gerecht. Ich glaube, Großbritannien muss sich dann fragen, will es oder will es nicht diesen Brexit machen.
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