Christine Heuer: Die Partei ist aus dem Bundestag und vielen Landesparlamenten geflogen, sie regiert nirgends mehr mit. Aber das Dreikönigstreffen ist ihr geblieben. Heute treffen sich die Freien Demokraten wie jedes Jahr in Stuttgart und wollen dort einen Neuanfang starten. Am Telefon begrüße ich Karl-Rudolf Korte, parteienforscher an der Uni Duisburg-Essen. Guten Tag, Herr Korte.
Karl-Rudolf Korte: Hallo! Guten Tag, Frau Heuer.
Heuer: Neue Farbe, neues Glück bei der FDP, Herr Korte?
Korte: Ja! Das eine hängt durchaus mit dem anderen zusammen. Eine Aufmerksamkeitsökonomie beginnt auch manchmal mit Äußerlichkeiten, und da haben ja viele drüber berichtet. Insofern hört man auch erstmals wieder hin.
Heuer: Es ist wieder von der FDP die Rede. Christian Lindner hat da einen interessanten Auftritt hingelegt. Das ganze Setting ist anders als früher, erinnert so ein bisschen an Steve Jobs bei Apple. Ist das jetzt modern oder etwas albern?
Korte: Nein, das ist angemessen, ein anderes Format zu wählen. Das hat sogar etwas von Talkshow-Charakter. Es ist diskursiver, es wirkt auch ein bisschen partizipativer. Er hat immer wieder einzelne Teilnehmer der Veranstaltung aufgerufen, sie eingebunden in seine Rede. Das machen ja andere auch, das finde ich nicht ungewöhnlich. Das Altbackene, vielleicht auch das Elitäre der bisherigen Treffen ist damit weg.
"Die Mehrheit hat mehr Angst vor der Freiheit"
Heuer: So ein bisschen Steve Jobs, ein bisschen SPD, gleiche Chancen für alle, ein bisschen Pegida-Kritik. Was greifen Sie da raus, womit kann Christian Lindner, womit kann die FDP punkten?
Korte: Die Lust auf Freiheit und die Faszination an Freisinn, wie er es formuliert hat, und zwar eben nicht für breite Schichten, sondern vermutlich für zehn Prozent, und das ist die Grundsatzproblematik, der sich die FDP stellen muss. Für wen werden sie ihre Themen zuspitzen und formulieren? Die Mehrheit hat mehr Angst vor der Freiheit und freut sich nicht auf Freiheit in Deutschland. Insofern gibt es einen kleinen, vielleicht zehn Prozent Anteil der Bürger, die durchaus diese Melodie lieben. Die muss man angehen und ansprechen.
Heuer: Am 15. Februar ist die Wahl in Hamburg. Da liegt die FDP im Moment mit zwei Prozent in den Umfragen. Sie müsste also binnen weniger Wochen ihre Stimmen verfünffachen. Wie soll das gehen?
Korte: Na ja, dadurch, dass man erst mal auffällt, dass man wahrgenommen wird. Das beginnt ja heute erst. Viele Wähler sind ja nicht Frühwähler, sondern mittlerweile auch sehr viele Spätwähler, die sich spät auch entscheiden. Es kommt darauf an, dass man auch profitiert von dem Klima der Debattierallergie in Großen Koalitionszeiten. All das spielt eigentlich den kleineren Parteien zu. Ich würde jetzt wenige Wochen vor der Wahl die Partei auch für Hamburg auf keinen Fall abschreiben, denn man kann rauf und runter in Marktzeiten auch auf dem Parteiensektor gehandelt werden. Das geht nicht nur immer in eine Richtung.
"Nicht versuchen, eine Gesamtpalette an Themen aufzubauen"
Heuer: Aber im Moment hat man ja den Eindruck, die politische Großwetterlage spielt der AfD zu und nicht der FDP. Was muss die FDP tun, um diesem Konkurrenten gefährlich werden zu können?
Korte: Sie muss konkrete Projekte für diese zehn Prozent entwickeln, die auf Eigenverantwortung, auf Ziele auch vor allen Dingen des Mittelstands setzen, die auf vor allen Dingen auch Selbstständigkeit ausgerichtet sind, also diese Themen durchaus mit Bildung angereichert, aber ganz zugespitzt, ganz konkret diese traditionellen Wähler auch zurückzugewinnen, und nicht versuchen, eine Gesamtpalette an Themen aufzubauen. Nur mit so einem positiven Denken kann man auch Leute zurückgewinnen. Das war auch interessant heute, dass er sich nicht nur gegen andere abgegrenzt hat.
Heuer: Ist das positives Denken, Herr Korte, oder ist es das Pfeifen im Walde? Denn den Mittelstand, die Bürgerschicht, die Sie immer ansprechen, die hat die FDP ja offenbar gründlich verprellt, sonst wäre sie ja nicht aus den Parlamenten rausgeflogen.
Korte: Ja, genau. Das war weder konzeptionell, noch vom Personalangebot glaubhaft. Deswegen haben sich die abgewandt, die Leute. Aber diese Leute gibt es ja weiter und da ist die Nische. Welche Nische, die hat eigentlich Lindner heute beschrieben und diese Nische müssen sie personell und programmatisch besetzen und dann wird diese Nische auch wählen. Es geht nicht um 20 Prozent, es geht um 10 Prozent. Es geht um die Rückkehr in Parlamente und die Chance, in Zeiten der Großen Koalition am Ende als kleinere Parteien zu punkten, zu profitieren von diesen Lähmungswirkungen bei den großen Parteien, die Debattierunlust, die ist eigentlich gegeben.
"Lindner ist ein brillanter Kopf"
Heuer: Aber die Konzepte scheinen doch die alten zu bleiben, nur dass an der Spitze ein neuer Mann steht, nämlich Christian Lindner. Ist das eine Personalfrage? Reißt es Lindner persönlich raus? Hat er die Chance dazu?
Korte: Ja. Personen müssen die Programmträger sein. Er ist ein brillanter Kopf, er hat ja die Themen vorgegeben. Das muss jetzt unterfüttert werden. Er muss mit zwei, drei Leuten durch das Land reisen und es auch personell unterfüttern, dass es nicht nur so aussieht, als wäre er es alleine. Er muss Tandems bilden, er muss auch aus sein auf Koalitionspartner, auch hier in eine Richtung blinken, nicht verunklaren, zu meinen, er könnte mit allen aktiv werden, denn die Partei war auch immer ein Mehrheitsbeschaffer. Wenn diese Rollenfunktion wächst, auch Mehrheiten wieder zu stabilisieren durch die FDP, ist das eine zusätzliche Funktionsbeschreibung, die die Partei auch über lange Zeit nicht mehr hatte.
Heuer: Kurz zum Schluss, Herr Korte. Ihre Prognose: Zieht die FDP 2017 wieder in den Bundestag ein?
Korte: Ja, ich sehe das so, und zwar Ausgangspunkt wird NRW sein und von NRW, wenn sie dort reinkommen, haben sie auch große Chancen. Die Grünen und die Linken haben es auch vorgemacht: raus aus dem Bundestag, rein in den Bundestag.
Heuer: Karl-Rudolf Korte, Parteienforscher an der Uni Duisburg-Essen. Vielen Dank für das Interview. Und ich glaube, im Hintergrund haben wir Ihre Kinder gehört. Schöne Grüße auch an die.
Korte: Okay. Tschüss!
Heuer: Tschüss.
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