Die Imamin Ani Zonneveld ist eigens aus den USA angereist und ruft in Berlin zum muslimischen Gebet. Der etwa 60 Quadratmeter große Raum hat weder eine Kuppel noch eine Gebetsnische; weiße Wände, weißer Teppich, drei große Fenster an der Längsfassade. Es ist ein Raum im dritten Stock der evangelischen St. Johanniskirche im Berliner Stadtteil Moabit; ab jetzt Gebetsraum der Ibn Rushd-Goethe-Moschee.
"Ich finde, es ist ein geniales Projekt. Es wurde Zeit, dass auch Frauen Imame werden können und dass alle gemeinsam beten, dass die Frauen nicht in der hintersten Ecke in der Garage beten müssen. Ich hoffe, es wird noch größer – in ganz Deutschland am besten", sagt die 18-jährige Miriam. Sie trägt ein schwarzes Kopftuch, eine Jeansjacke und hat in der Nase und der Unterlippe mehrere Piercings. Sie schafft es nicht, beim ersten Gebet in der neuen Moschee dabei zu sein; denn der Raum ist überfüllt.
Zu Beginn des Gebets hält die Initiatorin der Moschee Seyran Ates ihre erste Predigt vor etwa einem Dutzend Muslimen, die hier beten wollen und 60 bis 70 Medienvertretern. Ateş' Worte gehen im Blitzlichtgewitter der Fotografen fast unter.
Die liberale Moschee sei gegründet worden, um ein Zeichen zu setzen gegen den politischen Islam und den islamistischen Terror sowie gegen den Missbrauch der Religion, liest Ateş etwas aufgeregt vom Blatt ab. Die Moschee soll ein Ort sein, an dem Muslime aller Konfessionen gemeinsam beten können, Frauen und Männer aller sexueller Orientierungen und Identitäten gleichberechtigt nebeneinander.
"Mystik ist der beste Weg"
Ateş bezieht sich in ihrer Predigt größtenteils auf den persischen Sufi-Mystiker Rumi aus dem 13. Jahrhundert, dessen Mausoleum in der heutigen Türkei ein Wallfahrtsort für Muslime ist.
Sie sagt: "Rumi ist auf jeden Fall jemand, der einem einfällt, wenn es um die Liebe geht, die Liebe zu Gott. Wir sind hier teilweise inspiriert und getragen von der Mystik. Ich denke, es ist die Mystik, die Menschen dazu bringt, ohne zu politisieren, in der Religion zusammenzukommen. Das ist der beste Weg, meine ich, zu zeigen, dass Religion etwas so Tiefgehendes ist, das es nicht politisiert werden kann. Es ist etwas, was man nicht politisch greifen darf und kann."
Die Besucher der Moschee teilen diese Meinung. Am ersten Tag sind das größtenteils geladene Gäste, darunter viele Wissenschaftler, die sich gemeinsam mit Seyran Ateş für einen säkularen Islam einsetzen. Das Gebet wird von einer Frau und einem Mann zusammen geleitet. Ateş selbst ist noch keine Imamin, weswegen sie hinter den beiden Platz nimmt.
Tränen in den Augen
Der jemenitische Student Haytam kommt aus dem Süden Brandenburgs zur Eröffnung der Moschee. Gewundert habe er sich nur darüber, dass ein Gebet von zwei Personen geleitet werde.
"Ich wollte etwas Neues erleben, weil es hier mehr Akzeptanz und mehr Toleranz gibt. Es war ein ganz normales Gebet, egal ob eine Frau neben mir betet oder sowas. Ich habe vollen Respekt und bin überzeugt, dass Frauen und Männer gleich sind."
Der Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi, der das Gebet mit einer Frau gemeinsam leitet, hat Tränen in den Augen, als er danach darüber spricht:
"In jeder Moschee, wo ich bin, ist es diese Suche nach Gott, wo ich auch seine Präsenz spüre. Und heute durch das Neue, dass auch Frauen zusammen beten, das Gebet mit einer Frau zu leiten, ich war überwältigt. Ich spürte Gott noch näher. Deshalb sage ich, das ist ein historischer Tag. Es ist sehr schön, und ich bin einfach überglücklich."
Beginn eines Reformprozesses
Es gibt so kaum Moscheen, wo Männer und Frauen nebeneinander beten dürfen. Möglich ist das in in der Moschee in Mekka und im Felsendom in Jerusalem. Die Ibn Rushd-Goethe-Moschee sieht der Islamwissenschaftler Ourghi als den Beginn eines Reformprozesses im europäischen Islam.
Er sagt: "Es geht darum, einen Reformislam im westlichen Kontext, besonders bei uns in Deutschland zu etablieren. Und durch solche Projekte, durch solche Gemeinden, die progressiv sind, beginnt eine Reform des Islam. Wir als Intellektuelle versuchen das theoretisch zu machen. Aber dass man in der Tat auch agiert und was organisiert, ist auch wichtig."
Spott auf Facebook
Zur Eröffnung kommen keine Vertreter der konservativen Islamverbände. Der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Mehmet Alparslan Celebi, verspottet Seyran Ateş auf Facebook. Einige regierungsnahe türkische Zeitungen behaupten mit falschen Bilduntertiteln, hinter der Moschee stecke die Gülen-Bewegung. Der Sprecher der Gülen-Bewegung in Deutschland, Ercan Karakoyun, begrüßt den Ansatz der Moschee, für alle Muslime offen zu sein und mit anderen Religion in Kontakt zu treten. Aber eine Kooperation bestehe nicht:
"Ich finde, dass jeder das Recht haben sollte, so wie er möchte, Moscheen zu gründen. Deshalb bin ich auch heute hier, um diesen Zuspruch zu zeigen. Es entspricht nicht zu hundert Prozent meinem Islamverständnis, aber das muss es ja auch nicht. Zum Beispiel bin ich dagegen, dass Mann und Frau gemischt in einem Gebet in einer Reihe stehen. Das ist etwas, was ich mit meinem Islamverständnis nicht richtig finde. Aber darüber hinaus gibt es nicht viel, wo wir uns widersprechen würden."
"Ich finde es erstmal kritisch", sagt eine muslimische Zahnärztin, die nach dem Gebet kommt und sich über das Projekt informiert. "Es ist eine neue Sache, die für uns Muslime fremd ist. Das Gebet hat bestimmte Regeln, an die man sich als Muslim halten muss. Wenn man diese bricht, ist es kritisch. Aber ich würde es mir trotzdem anschauen. Heute habe ich es wegen der Arbeit nicht geschafft. Aber nächsten Freitag vielleicht."
Gewalt ächten
Solche kritischen Stimmen bleiben bei der Eröffnung aber die Ausnahme. Zwei Tage lang dauert das Eröffnungsprogramm mit Gebet, Musik, politischen und theologischen Diskussionen mit Teilnehmern aus mehreren Ländern. Seyran Ateş ist mit dem Auftakt zufrieden.
"Mir geht es sehr gut", sagt sie. "Mir geht es sehr gut, vor allem weil so viel Zuspruch da ist: Leute, die das gehört und zum Gebet gekommen sind, Frauen mit Kopftuch, ohne Kopftuch; Männer und Frauen zusammen. Und alle sind in der Liebe zur Religion, zu Gott verbunden. Das haben wir heute bewiesen."
Die sieben Gesellschafterinnen und Gesellschafter der Moschee versäumen es nicht, den Friedensmarsch der liberalen Muslime in Köln anzusprechen. Der Terror der Islamisten habe selbstverständlich mit dem Islam zu tun; denn die Terroristen bezögen sich auf denselben Koran wie alle Muslime. Die Gewalt müsse geächtet werden. Und es sollten auch Demonstrationen gegen die Unterdrückung der Frau im Islam organisiert werden.