Sambatrommeln begleiten spektakuläre Luftaufnahmen, wie sie nur Rio de Janeiro bietet: Strände, Zuckerhut und die famose Christus-Statue: Zu ihren Füßen: der Pokal der Libertadores. So inszeniert der südamerikanische Fußballverband Conmebol das Endspiel der Copa in einem Werbeclip.
Beim Verband ist man stolz darauf, das Turnier über die Bühne gebracht zu haben: Mit Charterflügen für die Teams und einem strickten Pandemie-Protokoll, zu dem auch tausende Corona-Tests gehörten. "98 Prozent negativ", heißt es. "Die Bubble hat funktioniert."
Physische Schwächen bei Spielern nach einer Infektion
Tatsache ist aber auch: Durch die Missachtung von Quarantäne sorgte man nicht nur für einige diplomatische Konflikte, sondern auch für über hundert Infektionen von Protagonisten. Allein die vier Halbfinalisten kamen im Turnierverlauf auf über 60 Infizierte. Finalist Palmeiras musste zwischenzeitlich 22 Akteure ersetzen. Auch den Trainer erwischte es gleich zweimal. Der Co-Trainer João Martins übernahm das Kommando und stellte nach dem Viertelfinale im Dezember fest:
João Martins: "Wir haben eindeutig physische Schwächen bei Spielern nach der Infektion. Viele denken, die Spieler kommen zurück und es geht gleich weiter. Aber man darf nicht vergessen, dass es sich um ein Virus handelt, das den Körper angreift. Wir hatten 22 Fälle fast gleichzeitig. Bei ihrer Rückkehr sind die Spieler dann gerade mal bei 50 Prozent."
"Wir haben einen Präsidenten, der die Schwere des Virus leugnet"
Der Portugiese Martins bezieht sich auch auf den engen Terminkalender nach der Corona-Pause, durch den Palmeiras im letzten halben Jahr 60 Spiele absolvierte. In Brasilien rollte der Ball sehr schnell wieder. Vielleicht kein richtiges Zeichen, findet William De Lucca aus der aktiven Fanszene von Palmeiras. "Wir haben einen Präsidenten, der die Schwere des Virus leugnet, der sich gegen die Wissenschaft ausspricht und öffentlich Stimmung gegen die Impfung macht! Das hat dafür gesorgt, dass viele Menschen denken, das Virus sei nicht so schlimm. Obwohl wir über 200.000 Tote haben, sehen Teile unserer Gesellschaft nicht den Ernst der Lage. Und der Fußball ist ein Spiegelbild davon."
Der umstrittene Präsident Jair Bolsonaro äußerte zuletzt – im verschwitzten Trikot des Finalteilnehmer Santos, in einer Menschentraube ohne Mundschutz: "Ich habe vor zwei Monaten mit dem Gesundheitsminister darüber gesprochen und er war der Meinung, dass 30 Prozent der Zuschauerplätze wieder belegt werden könnten. Ich weiß nicht warum, aber der brasilianische Verband hat diese Entscheidung nochmal aufgeschoben."
Zuschauer per Dekret zugelassen
Die Infektions- und Opferzahlen sind derzeit auf dem höchsten Stand seit Anfang August. Dazu kommt aus dem Amazonasgebiet die akute Bedrohung der so genannten brasilianischen Mutation, die als hochansteckend gilt. Aber während viele Länder ihre Grenzen zu Brasilien schließen, öffnet Rio de Janeiro wahrhaftig die Stadiontore:
Nachrichtensprecherin TV: "Die Regierung von Rio de Janeiro genehmigt die Anwesenheit von Zuschauern im Maracanã-Stadion beim Libertadores-Finale zwischen Palmeiras und Santos!"
Per Dekret entschied der Gouverneur des Bundesstaates beim Endspiel, bis zu 10 Prozent des Fassungsvermögens des Maracanã zu nutzen. Selbst die Moderatorin im brasilianischen Fernsehen zeigt sich überrascht und ergänzt: "Wir sind mitten in einer Pandemie und wissen, dass praktisch ganz Rio de Janeiro als Risikogebiet gilt. Gestern haben wir die Absage des Karnevals veröffentlicht und heute werden Zuschauer im Maracanã zugelassen. Da verstehe ich nicht ganz die Logik der Entscheidungen."
Keine Fans - aber Journalisten, Funktionäre, Sponsoren
Aber der südamerikanische Fußballverband Conmebol zögerte nur kurz, ließ sich dann diese Vorlage aber nicht nehmen und lud per Fingerzeig mehrere Tausend Zuschauer ein. Offiziell heißt es weiter, dass das Endspiel "ohne Fans" stattfinde. Unverständlich für Palmeiras-Anhänger De Lucca. "Die Conmebol erlaubt jetzt 5.000 Gäste, obwohl in allen vorherigen Spielrunden nur 150 Personen pro Spiel im Stadion zugelassen waren! Neben Stadionmitarbeitern und Spielern sind das Journalisten, Funktionäre, Sponsoren und Angehörige. Alle sollen natürlich Mundschutz tragen, aber ich halte das dennoch für ziemlich riskant. Auch viele Spezialisten kritisieren diese hohe Anzahl an Menschen auf einer Veranstaltung."
Auch wenn sich im riesigen Maracanã ein paar Tausend Zuschauer aus dem Weg gehen können, ist es in einem dramatischen Moment der Pandemie wohl erneut ein falsches Zeichen.
Bolsonaro gibt den volksnahen Stadiongänger
Ob auch Präsident Bolsonaro dabei sein wird, ist noch unklar. Aber der südamerikanische Fußballverband stellte in einem Sonder-Kommuniqué klar: Kein Politiker wird nach dem Abpfiff den Pokal überreichen oder Zugang zum Spielfeld haben.
William De Lucca und sein Fankollektiv 'Palmeiras Livre', das sich gegen Homophobie und jegliche Form der Diskriminierung im Fußball einsetzt, freut diese Nachricht. Denn Bolsonaro gilt als Palmeiras-Sympathisant und suchte bei vergangenen Pokalerfolgen das Rampenlicht an der Seite der Spieler.
De Lucca: "Bolsonaro hat schon Trikots von allen Klubs in Brasilien getragen. Ich finde, Bolsonaro ist ein Opportunist. Man kann ihn nicht als richtigen Palmeiras-Fan bezeichnen. Er benutzt Palmeiras für seine Politik!"