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Libertäre in Georgien
Spaßkirche mit ernstem Anliegen

Die orthodoxe Kirche in Georgien ist empört: Der Staat lässt zu, dass sich immer mehr Männer von einer Konkurrenzkirche zu Priestern weihen lassen. Sie entziehen sich so dem Wehrdienst. Die "Pseudo-Kirche" wurde von einer libertären Partei gegründet.

Von Gesine Dornblüth |
Bischof Herman Sabo mit einer Priesterurkunde
Ausgetrickst! Wer in Georgien eine Priesterurkunde vorweisen kann, darf nicht zum Wehrdienst eingezogen werden. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
Die "Georgisch-Christlich-Evangelisch-Protestantische Kirche Biblische Freiheit" residiert im dritten Stock eines Bürogebäudes im Zentrum von Georgiens Hauptstadt Tiflis.
"Wir haben ein kleines Büro, nichts besonderes. Jeden Nachmittag von zwei bis fünf Uhr weihen wir Priester."
Der Gang ist schmal. Ein Plakat hängt an der Wand: Eine rot gekleidete Frau mit herrischem Blick streckt dem Betrachter ein Papier mit dem militärischen Eid der Sowjetarmee entgegen – Propaganda aus der Zeit, in der Georgien noch zur Sowjetunion gehörte.
Herman Sabo ist 32 Jahre alt, trägt T-Shirt und Jeansjacke. Er stellt sich als "Bischof von Ungarn und Ozora" vor. Er geht voraus in einen länglichen Raum. Dort sitzen zwei junge Frauen an Computern. Der Bischof stellt sie vor: "Das sind unsere Priesterinnen: Schwester Ruska und Schwester Anna."
Schwester Ruska vertreibt sich gerade die Zeit mit einem Skizzenblock. "Jetzt gerade zeichne ich", sagt sie, "aber sonst stelle ich Urkunden aus. Ich helfe jungen Männern, den Wehrdienst zu umgehen."
Mit richtigem Namen heißt sie Rusudan Abuaschwili und hat gerade ihr Studium beendet. Priester sind in Georgien von der Wehrpflicht ausgenommen.
"Wir betrachten die Wehrpflicht als legale Sklaverei"
Ein junger Mann betritt den Raum, die langen Haare zu einem Dutt hochgebunden, olivgrüne Kopfhörer um den Hals. Er nimmt Platz und legt seinen Ausweis auf den Tisch. Schwester Ruska tippt Daten in den Computer. Dann trägt sie seinen Namen in eine Urkunde ein. Die Priester-Urkunde, erläutert Sabo.
"Mit diesem Papier kann er die Wehrpflicht umgehen. Wir betrachten die Wehrpflicht als legale Sklaverei. Sie ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern es ist auch ökonomisch unsinnig, einen jungen Menschen zum Wehrdienst einzuziehen. Ein Jahr lang steckt der Staat Geld in seine Ausbildung. Danach ist er kein Soldat, sondern geht nach Hause und tut nichts Gutes mehr für das Land oder die Verteidigungskraft."
Ein junger Mann lässt sich von den Priesterinnen Ruska und Anna zum Priester weihen
Ein junger Mann lässt sich von den Priesterinnen Ruska und Anna zum Priester weihen (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
Ein Geldschein wechselt den Besitzer: 50 Lari, etwa 12 Euro. Dann hält der junge Mann die Urkunde in den Händen. Die Prozedur hat keine fünf Minuten gedauert. Er heißt Luka Gawaraschwili und lächelt verlegen. Luka ist 22 Jahre alt und Tontechniker bei einem Fernsehsender. Glaubt er an Gott?
"Ich weiß nicht, ich möchte glauben. Ich war gezwungen, hier herzukommen. Ich habe kürzlich die Einberufung bekommen. Mein Arbeitgeber kann mir kein Schreiben ausstellen, das mich von der Wehrpflicht befreien würde. Deshalb muss ich diese Urkunde haben."
Mehr Geistliche als die georgisch-orthodoxe Kirche
Der Staat akzeptiert die Priester-Urkunden. Was vor drei Jahren als eine verrückte Idee entstanden ist, funktioniert bis heute. Er habe das anfangs selbst nicht erwartet, erzählt Herman Sabo, aber:
"Wir sind ein säkulares Land. Die Regierung kann nicht entscheiden, was Religion ist und was nicht."
Georgisch-orthodoxe Kirche - Bischof hinter verdunkelten Autoscheiben
Würdenträger der georgisch-orthodoxen Kirche legen Wert auf sichtbare Autorität. Regierungen, die sich den Klerus zum Gegner machen, haben darum einen schweren Stand. Es ist die Kirche, die sich als Hüterin nationaler Werte inszeniert.
Nun wächst die Kirche und wächst. Einfache Gemeindemitglieder gibt es nicht, jeder ist Priester.
"Wir haben den Überblick verloren. Aber wir glauben, es sind mittlerweile etwa 30.000. Gemessen an der Zahl der Geistlichen sind wir die größte Kirche in Georgien, sechs Mal so groß wie die georgisch-orthodoxe Kirche."
Erwartungsgemäß ist die georgisch-orthodoxe-Kirche von der neuen Kirche nicht begeistert.
"Sie können nicht mehr an den Sakramenten teilhaben"
Etwas außerhalb von Tiflis feiert die Gemeinde von Priester Andria Jagmaidze den Sonntagsgottesdienst. Sonnenlicht fällt durch die hohen Fenster auf die Ikonen. Kerzen brennen. Die Frauen tagen Röcke und Kleider. Einige stehen zweieinhalb Stunden in stiller Andacht.
Priester Jagmaidze ist zugleich Sprecher des Patriarchen der georgisch-orthodoxen Kirche. Was Herman Sabo und seine Mitstreiter in Tiflis betreiben, nennt er Blasphemie.
"Diese Menschen sagen sich von der Kirche los. Wer in eine andere Gemeinschaft eintritt und das Religion nennt, löst sich automatisch von der orthodoxen Kirche."
Die Kirche von Priester Andria Jagmaidze in der Nähe von Tiflis
Die Kirche von Priester Andria Jagmaidze in der Nähe von Tiflis (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
Sie hätten keine Möglichkeit, dagegen vorzugehen, räumt Jagmaidze ein.
"Es ist sehr schlecht, dass es in der Gesetzgebung Georgiens keine Regeln gibt, die festlegen, wann sich eine Organisation religiös nennen darf. In vielen europäischen Staaten sind dafür besondere Verdienste für das Land erforderlich. Hier gibt es solche Regeln bisher nicht. Aber wir sind sehr streng: Wenn jemand bei einer anderen sogenannten religiösen Organisation Mitglied wird, dann sagt sich die orthodoxe Kirche von ihm los. Diese Menschen gehören dann nicht mehr zu uns, sie können nicht mehr an Gottesdiensten und an den Sakramenten der Kirche teilhaben."
"Freiheit ist das Wichtigste"
Für solche Fälle haben Herman Sabo und seine Mitstreiter vorgesorgt. Er holt ein Papier aus einer Schublade. Sie nennen es "Beicht-Papier". Es sieht ähnlich aus wie die Priesterurkunde. Rusudan Abuaschwili, Schwester Ruska, blickt von ihrem Zeichenblock auf.
"Wir hatten einen jungen Mann in unseren Reihen, der war unser Priester und ist gestorben. Der christliche Priester hat sich geweigert, ihn zu bestatten. Das war der Anlass, dieses Papier zu entwerfen. Auch für den Fall, dass jemand heiraten und sich kirchlich trauen lassen möchte."
Und 'Bischof' Sabo ergänzt: "Dieses Papier ist der größte Spaß in unserer Kirche. Es besagt einfach: Diese Person ist nicht länger Priester der Bibelfreien Kirche. Es kostet auch 50 Lari. Wir verdienen also ein bisschen Geld damit."
Mit den Einnahmen finanzieren sie ihre Parteiarbeit. Denn Herman Sabo und seine Mitstreiter haben eine politische Partei gegründet. Sie heißt "Girchi", auf Deutsch "Tannenzapfen", und bezeichnet sich als libertär. Sie fordert totale Freiheit und Eigenverantwortung. Bei der jungen und westlich orientierten Tifliser Bevölkerung kommt sie damit gut an, bei der Parlamentswahl Ende Oktober konnte sie vier Mandate erringen. Die Gründung der ungewöhnlichen Kirche sei ein Mittel gewesen, um Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, räumt Herman Sabo ein. Aber nicht nur. Ihm geht es um mehr:
"Ich glaube wirklich ganz fest daran, dass Freiheit das Wichtigste ist, was Gott den Menschen gegeben hat. Du findest in der Bibel keinen Fall, in dem Gott den Menschen seinen Willen aufzwingt. Er zeigt immer Wege auf: Du kannst das machen oder das. Wenn du das machst, kommst du in den Himmel, wenn du etwas anderes machst, gehst du in die Hölle. Die Freiheit des Willens ist das Wichtigste, was unsere Zivilisation geprägt hat. Und daran glaube ich ganz fest. Nicht an den Gott der Bibel, sondern an die Freiheit."