Der Bürgerkrieg in Libyen droht zu einem internationalen Stellvertreterkrieg zu werden. Im Bürgerkriegsland mischen viele Mächte mit und unterstützen eine der Konfliktparteien – entweder die international anerkannte Einheitsregierung in Tripolis, oder die zahlreichen Milizen im Osten des Landes unter der Führung des selbsternannten Generals Chalifa Haftar.
Trotz internationalen Aufrufen zu einer Waffenruhe will der einflussreiche General seine Offensive gegen die Regierung fortsetzen. Man müsse anzweifeln, dass Russland sowie die Türkei in der Lage sind, in Libyen Schlichter zu spielen und dass sie genügend Einfluss auf die Konfliktparteien haben, sagte Libyenexperte Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die russisch-türkische Waffenruhe habe zu diesem Zeitpunkt praktisch keine Aussicht auf Erfolg.
Das Interview in voller Länge:
Zerback: In der Nacht hat sich jetzt General Haftar geäußert und eben jene Waffenruhe abgelehnt, auf die sich Erdogan und Putin geeinigt haben. Ist sie damit auch schon wieder vom Tisch?
Lacher: Ja, ich glaube, diese russisch-türkische Waffenruhe hat zu diesem Zeitpunkt praktisch keine Aussicht auf Erfolg. Es ist klar von der Reaktion Chalifa Haftars, dass Russland und die Türkei diese Offensive offensichtlich nicht mit Bemühungen in Libyen selbst vorbereitet hatten. Vermutlich geht es den beiden zum jetzigen Zeitpunkt auch gar nicht darum, wirklich einen Waffenstillstand herbeizuführen, sondern möglicherweise um etwas ganz anderes, nämlich darum, die Bemühungen in Berlin und die Bemühungen der Europäer im Rahmen des sogenannten Berliner Prozesses zu untergraben und selbst das Heft der internationalen Libyen-Diplomatie in die Hand zu nehmen.
Zerback: Dem Westen seine Schwäche an der Stelle vorzuführen und die eigene Stärke?
Lacher: Ja, so ist es.
Russland und Türkei – zweifelhafte Schlichterrolle
Zerback: Jetzt ist es ja auch so, dass auf dem Balkan zum Beispiel Russland und die Türkei Rivalen sind. Im Syrien-Krieg sind sie militärische Gegner. Auch in Libyen unterstützen sie unterschiedliche Seiten. Hat das überhaupt jemals zusammengepasst, oder wie bewerten Sie das, dass da jetzt zumindest in diesem Interesse scheinbar beide auf einen gemeinsamen Nenner kommen?
Lacher: Nun, es stimmt: Beide sind auf unterschiedlichen Seiten des Konflikts. Beide sind in den letzten Monaten mit ihrem militärischen Engagements, das im Falle Russlands verdeckt ist, zu den zentralen externen Akteuren in dem Konflikt geworden, und zwar mit sehr geringen Investitionen. Deswegen muss man auch anzweifeln, dass sie schon jetzt in der Lage sind, in Libyen auch die Schlichter zu spielen, dass sie genügend Einfluss auf die Konfliktparteien haben und auch das Interesse, jetzt diese Rolle zu übernehmen.
Kein Druck der Europäer auf Haftars Unterstützer
Zerback: Lassen Sie uns das Interesse noch mal vertiefen. Wir haben gerade über die Schwäche des Westens gesprochen und die eigene Stärke. Aber die Türkei hat in den vergangenen Tagen ja auch ganz schnell ganz konkret gehandelt und Militär nach Tripolis entsandt. Russland hat Kräfte dort. Warum wollen denn in Libyen so viele Seiten mitmischen? Was macht die Region strategisch so wichtig? Geht es da nur ums Öl, um handfeste ökonomische Interessen auch?
Lacher: Es mischen so viele mit, weil man sie mitmischen lässt, weil sich ihnen niemand entgegenstellt. Dieser Krieg hält ja schon seit April an und unterstützt wird Haftar militärisch von Anfang an von den Vereinigten Arabischen Emiraten, hatte aber auch von Anfang an politische Rückendeckung aus Frankreich, Ägypten, Saudi-Arabien, zeitweise auch von der Trump-Administration. Und weder die Amerikaner, noch die Europäer sind bereit, ernsthaften Druck auf Haftars Unterstützer auszuüben. Dafür sind ihnen die guten Beziehungen mit diesen Staaten zu wichtig. Und das hat dazu geführt, dass zunächst die Türkei angefangen hat, die Gegenseite zu unterstützen, und dann Russland die Gelegenheit gewittert hat, mit der Unterstützung für Haftar eine zentrale Rolle in dem Konflikt zu ergattern.
Jetzt legt die Türkei nach, indem sie ihre Unterstützung für die Regierung in Tripolis offiziell macht und ausweitet. Haftar hat wesentlich großzügigere Unterstützer aus dem Ausland, die aber von den betreffenden Staaten abgestritten wird.
Initiative Erdogans und Putins kommt Berlin nicht gelegen
Zerback: Bleibt die Frage, was der zweite große Player in der Region für eine Rolle spielen kann. Morgen reisen ja die Kanzlerin und der Außenminister zu Gesprächen nach Moskau. Wie glaubwürdig ist denn Wladimir Putin als Mediator in dem Konflikt?
Lacher: Nun, nach Merkels Vorstellung sollte ja gar nicht Putin der Mediator sein, sondern sie selbst und der UN-Sondergesandte Ghassan Salamé. Die Initiative Erdogans und Putins, denke ich, kommt hier in Berlin gar nicht gelegen, denn man möchte ja in diesem Monat noch eine internationale Libyen-Konferenz abhalten, die man jetzt schon seit Monaten vorbereitet. Das Problem ist, dass dieser Berliner Prozess ein Produkt der sehr schwachen Libyen-Politik der Europäer und Amerikaner ist, die ja nur ja nichts tun möchten, um sich Haftars Unterstützern insbesondere in den Emiraten in den Weg zu stellen, was ja gerade dazu geführt hat, dass die Türkei und Russland immer stärker eingegriffen haben und jetzt die zentralen Akteure sind.
Zerback: … und in dieses Machtvakuum eingreifen können. – Der Berliner Prozess, den Sie ansprechen, die Konferenz sollte ja auch schon Ende 2019 eigentlich stattfinden. Eine solche Konferenz, ein solcher Prozess, ist das überhaupt möglich, mit jemandem wie General Haftar sich an einen Tisch zu setzen?
Lacher: Es ist praktisch ausgeschlossen, dass das zu einem Erfolg wird, solange die Europäer und natürlich auch die Amerikaner nicht bereit sind, auf Haftar und seine wichtigsten Unterstützer, nämlich die Emiratis, Druck auszuüben. Das sehen wir bisher nicht und solange das der Fall ist, glaube ich, können diese Bemühungen keinen Erfolg haben.
Zerback: Ist ihr ein bisschen fatalistisches Resümee heute, die Reise können sie sich morgen auch sparen, Maas und Merkel?
Lacher: Das würde ich so nicht sagen, denn da wird es natürlich auch um andere Themen gehen.
Zerback: Nämlich um den zweiten großen Krisenherd, um die Krise am Golf. Was sehen Sie da? Lassen Sie uns vielleicht den ganz kleinen Exkurs noch wagen an diesem Morgen.
Lacher: Nein, dazu kann ich Ihnen nichts sagen. Tut mir leid.
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